- Wo bitte ist der Sexismus, Ladies?
Seit einer Woche wissen wir: Es gibt ihn, den Sexismus in Politik und Alltag. Aber warum lesen wir nichts von Pöbeleien in den Redaktionen, von Übergriffen gegen Volontärinnen? Ein Versuch, Opfer zu finden
Eigentlich sollte dieser Text ein schönes Empörstück werden. Er sollte jenen Chauvinismus in den Medien anprangern, den schon Spiegel-Feuilletonist Matthias Matussek erblickte, als er von seiner „Großredaktion mit 300 vorwiegend Testosteron-gesteuerten Bullen“ sprach: der zotige Spruch hier, der flirtende Ressortleiter da, der unflätige Blick ins Dekolleté dort.
Schließlich erheben sich eine Woche, nachdem die Sexismus-Debatte von Spiegel und Stern angestoßen wurde, nun allerorten die Stimmen. Etwa im NDR-Politmagazin Panorama 3, in dem drei weitere Journalistinnen über ihre schlüpfrigen Begegnungen mit Rainer Brüderle berichten. Die Katze ist aus dem Sack, Zeit also für etwas Prügel gegen die Medien-Machos!
Ein Kinderspiel, dachte ich. Und fragte bei den zuständigen Stellen nach: Wie oft wenden sich Sexismus-Opfer an sie? Und welcher Fall war besonders aufsehenerregend?
Zuerst die Gewerkschaften: Ver.di kann nicht weiterhelfen; der Deutsche Journalistenverband verweist auf seine Landesverbände. In Berlin und Brandenburg erinnert man sich „nur an einen einzigen Fall, der schon länger zurückliegt“ und den man aus Datenschutzgründen nicht ausführen könne. Das Macho-Land Bayern? Fehlanzeige: Der Landesverband weiß von keinen Fällen zu berichten. Im Fachbereich Gleichstellung? „Keine offiziellen Beschwerden oder Hilfegesuche.“
[gallery:20 Gründe, Männer zu lieben]
Langsam fürchte ich, mich trifft der durchschnittliche Reporteralbtraum: Ich recherchiere mir meine These kaputt.
Bleibt noch die Geheimwaffe. Der Verein „ProQuote“, der sich für mehr Frauen in Führungspositionen einsetzt. Dort muss man doch von irgendwelchen Fällen wissen!
Ein Anruf bei der Vorsitzenden Annette Bruhns, die selbst unter den Spiegel-„Bullen“ arbeitet. Wir plaudern über die Notwendigkeit von mehr Frauen in den Chefetagen, darüber, dass es echtes Teamwork zwischen den Geschlechtern braucht. „Natürlich gibt es auch in unserer Branche Sexismus."
Hätte sie ein Beispiel parat? Bruhns zögert. „Die erschütterndste Meldung erreichte uns via Facebook von einer Frau, die in der Werbung arbeitet.“ Sie halte es für "naiv zu erwarten, dass Angestellte ihre Vorgesetzten öffentlich anprangern – egal ob Journalistinnen, Bankangestellte oder Arzthelferinnen. Für solche Vorfälle – die meines Wissens in keiner Branche zum Alltag gehören – gibt es Betriebsräte, Personalabteilungen oder, etwa bei öffentlich-rechtlich Sendern, Frauenbeauftragte."
Beim WDR schwärmt die Gleichstellungsbeauftragte Wilhelmine Piter erst einmal von den dortigen Strukturen: Frauen in Nöten könnten sich an sie, ihre Vorgesetzten, den Personalrat, die Personalabteilung oder aber an den hauseigenen psychosozialen Dienst wenden. Außerdem gebe es Verhaltenskodizes und regelmäßige Konfliktbewältigungsschulungen. Sexismus im Arbeitsalltag? Eigentlich „kein Problem“, ausgenommen von „wenigen Einzelfällen“, lässt Piter wissen. Vielleicht liegt das auch daran, dass sich die WDR-Belegschaft im Jahre 2011 aus 2158 Frauen und 2304 Männern zusammensetzte.
Das war's, Geschichte gestorben.
Liebe Ladies in den Medien, was ist hier eigentlich los??
Seite 2: Wenig Fundament, viel Wortgewalt
Wollt ihr wirklich zulassen, dass die Sexismus-Debatte von den Herren geführt wird? Von solchen wie FAZ-Autor Claudius Seidl, der den Fall Brüderle als bewusstes, nächtliches „Machtspiel“ der Reporterin interpretierte? Oder solchen wie meedia.de-Autor Stefan Winterbauer, der sich fragte, wer in der Geschichte „der wahre Loser“ sei?
Kann es vielleicht sein, dass hier eine gewaltige Sexismus-Debatte aufgeblasen wurde? Eine Debatte, die zwar wenig Fundament, dafür aber umso mehr Wortgewalt bietet? Die im Kampf um die rare Ressource Aufmerksamkeit einen deutlichen Punktsieg für das weibliche Geschlecht verspricht?
[gallery:#aufschrei: Der ganz alltägliche Sexismus]
Es ist interessant, dass mir zwar keine der Gesprächspartnerinnen konkrete Beispiele für Sexismus im Medienbetrieb nennen kann, aber dennoch alle versichern, dass es sich um ein gesamtgesellschaftliches, strukturelles Problem handle. „Es zieht sich auch durch alle Arbeitsbereiche und ist keineswegs auf den Journalismus beschränkt“, teilt etwa verdi-Frau Cornelia Haß mit. Es ist leichter, Pudding an die Wand zu nageln, als aus so einer Aussage irgendeinen empirischen Wahrheitsgehalt herauszulesen.
Mechthild Mäsker, Frauenbeauftragte des Deutschen Journalistenverbands, hat eine andere Erklärung: die Angst bei den Betroffenen. „Sobald ich einen solchen Vorfall melde, gelte ich als humorlose Zicke, die nicht schlagfertig genug ist.“ Häufig werde sogar ihre Professionalität als Journalistin in Frage gestellt – die Frauen riskierten nichts weniger als ihren Ruf.
Und dennoch: Es stimmt nachdenklich, wenn Berichte über den Sexismus im System Politik – bei Piraten, Brüderle oder Kubicki – zwar prominent und auflagefördernd in Wochenmagazinen platziert werden, diese zugleich aber journalismusimmanent nicht nachweisbar sind. Dabei, so ist Mäsker überzeugt, sei „der Sexismus im Journalismus sogar ein kleines bisschen größer als der in der Gesellschaft.“
Und schon der ist nicht gerade gering: Nach Angaben der Internationalen Arbeitsorganisation berichtet fast jede zweite Frau über „irgendeine Form von sexueller Belästigung“ oder von „unerwünschtem sexuellen Verhalten am Arbeitsplatz“, wie der Deutsche Gewerkschaftsbund Nord meldet. Wie wäre es also, wenn dagegen mal jemand aufschreit – gegen seinen Vorgesetzten? Gut möglich, dass es karrierefördernder ist, sich über Politiker zu erregen als über den eigenen Ressortleiter.
Und warum beschwert sich eigentlich niemand über jene sexistischen Botschaften, die die Medien selbst verbreiten? Über die allzu leicht bekleideten, barbusigen Damen, wie sie regelmäßig auf Stern-Titeln zu finden sind? Und ist die Nominierung des „Dschungelcamps“ für den Grimme-Preis nicht auch genau das: ein leiser Siegeszug des Sexismus? In einer Gesellschaft, in der Silikon-Brüste und sexistische Lagerkoller einer RTL-Ekel-Show möglicherweise zum preisverdächtigen Kulturgut zählen, aber keine einzige Journalistin aufmuckt, muss irgendetwas aus dem Lot geraten sein.
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