- Lohndumping wird zum Wahlkampfthema
Werkverträge dienen in vielen Branchen dazu, Mindestlöhne zu umgehen. Die Kanzlerin prangert das an. Nun will die Politik gegen Lohndumping in Unternehmen vorgehen
Der Missbrauch von Werkverträgen hat die Politik vor der Bundestagswahl aufgeschreckt: Es sei „schamlos“, wenn Unternehmen über Werkverträge mit osteuropäischen Arbeitern die Löhne drücken, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am Wochenende bei einer Wahlkampfveranstaltung im niedersächsischen Cloppenburg. Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) kündigte am Dienstag an, die rot-grüne Landesregierung werde am 20. September, zwei Tage vor der Bundestagswahl, einen Gesetzentwurf in die Länderkammer einbringen.
Warum sind Werkverträge kritikwürdig?
Manche Unternehmen nutzen Werkverträge als Schlupfloch, um Arbeitsstandards zu senken.
Sie ersetzen Stammbeschäftigte durch billigere Werkvertragskräfte und bewegen sich dabei in einer rechtlichen Grauzone. Dass sie gegen Gesetze verstoßen, ist oft schwer nachzuweisen. Bei einem Werkvertrag muss der Auftragnehmer ein bestimmtes Werk erstellen: Das kann das Einräumen eines Supermarktregals sein, das Zerlegen eines Schweins oder das Reinigen eines Hotelzimmers. Das Subunternehmen ist dabei zuständig für den Einsatz seiner Leute. Die Praxis sieht oft anders aus: Werkvertragsarbeiter sind in den Produktionsablauf des Unternehmens eingebunden, arbeiten mit dessen Werkzeugen und folgen den Anweisungen der dortigen Vorgesetzten – sie sind nur zum Schein in einem eigenständigen Unternehmen tätig.
Die Gewerkschaften klagen, der Missbrauch habe zugenommen – auch seitdem sich die Arbeitsbedingungen in der Leiharbeit durch die Einführung eines Mindestlohns verbessert hätten. Sie kritisieren außerdem, dass zunehmend Aufträge an ausländische Werkvertragsunternehmen vergeben werden. Dies könne Lohndumping und das Hinterziehen von Sozialversicherungsbeiträgen und Steuern erleichtern, heißt es beim Deutschen Gewerkschaftsbund. Die Arbeitgeberverbände halten Gesetzesänderungen jedoch für „überflüssig“, wie BDA-Präsident Dieter Hundt dem „Handelsblatt“ sagte. Scheinwerkverträge seien schon heute verboten und würden auch von den Arbeitgebern bekämpft.
Welche Branchen sind besonders betroffen?
Für Schlagzeilen sorgen immer wieder die Zustände in deutschen Schlachthöfen. Nach Schätzungen der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) haben zwischen 50 und 80 Prozent der Beschäftigten in dieser Branche einen Werkvertrag. „Da werden zum Teil Stundenlöhne von drei bis fünf Euro gezahlt“, berichtet eine NGG-Sprecherin. Oft seien dort osteuropäische Wanderarbeiter tätig, die zudem auf engstem Raum in Kasernen untergebracht sind.
Werkverträge gibt es aber auch in anderen Branchen: in der Bauindustrie, im Einzelhandel, im Hotel- und Gaststättengewerbe, aber auch in der Autoindustrie. Mit einer Klage gegen den Autokonzern Daimler bekamen Anfang August zwei IT-Experten vor dem Landesarbeitsgericht Stuttgart recht. Sie waren offiziell bei einem IT-Systemhaus beschäftigt, wurden aber aus ihrer Sicht wie Arbeitnehmer des Autobauers behandelt, nur dass sie ein Drittel weniger verdienten als ihre bei Daimler direkt angestellten Kollegen. Das Gericht urteilte, dass es sich um Scheinwerkverträge handele.
Was wurde bisher dagegen getan?
Wenig. Bisher gebe es kaum wirksame Kontrollen, kritisieren Gewerkschaftsvertreter. Außerdem gibt es keine offiziellen Daten darüber, wie groß das Problem ist. So werden noch nicht einmal Statistiken darüber geführt, in welchem Umfang Betriebe überhaupt Werkverträge abschließen.
Wie positionieren sich die Parteien?
SPD, Grüne und Linke fordern, den Missbrauch von Werkverträgen einzudämmen, und haben entsprechende Gesetzentwürfe in den Bundestag eingebracht. SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück verspricht, er werde als Bundeskanzler die tarifliche Mitbestimmung in dem Bereich ausweiten. Der rot-grüne Gesetzentwurf aus Niedersachsen sieht vor, dass Unternehmen künftig den Betriebsrat rechtzeitig und umfassend über Werkverträge informieren sollen. Derzeit werden diese häufig als Sachkosten und nicht als Personalkosten verbucht und gehen damit an den Belegschaftsvertretern vorbei.
Außerdem soll der Betriebsrat zustimmen müssen, wenn Stammbeschäftigte durch Werkvertragsarbeitnehmer ersetzt werden. Betriebsräte sollen darüber hinaus die arbeitsschutzrechtlichen Interessen von Werkvertragsarbeitnehmern vertreten dürfen. Während die FDP an den bestehenden Regeln festhalten will, denkt Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) über bessere Kontrollmöglichkeiten nach.
Was passiert auf EU-Ebene?
Deutschland könnte ein EU-Vertragsverletzungsverfahren wegen der sozialen Zustände in der Fleischindustrie drohen. Die Europäische Kommission geht mittlerweile einer Beschwerde der belgischen Regierung aus dem Frühjahr nach, die ihrem Nachbarland Lohndumping vorwirft. Die Minister Johan Vande Lanotte und Monica De Coninck hatten damals von „unwürdigen Praktiken“ gesprochen, denen die Kommission „ein Ende machen“ müsse.
Auf Anfrage teilte der Sprecher von EU-Sozialkommissar Lazslo Andor jetzt mit, dass „die Kommission von den deutschen Behörden Auskunft verlangt hat“. Die Fragen, die in dem Brüsseler Schreiben von Anfang Juli an die Bundesregierung gerichtet sind, gehen sehr präzise ins Detail: Welche Unternehmen sind es, die ausländische Arbeiter in den deutschen Schlachthöfen beschäftigen? Sind es deutsche Firmen oder kommen sie selbst aus dem Ausland? Wie sehen die entsprechenden Verträge aus? Unter welchen Bedingungen wird in der Branche gearbeitet? Wird die Einhaltung von Gesetzen überwacht? Und was verdienen die Menschen speziell im Bereich des Zerlegens geschlachteter Tiere?
Kurz nach der Sommerpause will die EU-Kommission das Thema zudem mit allen anderen Mitgliedstaaten besprechen – in der sogenannten Kommission zur Koordinierung der sozialen Sicherheitssysteme. Dieses Forum und beispielsweise auch die sogenannte Entsenderichtlinie sollen eigentlich Lohn- und Sozialdumping in der Gemeinschaft verhindern – doch die Kontrollen funktionieren nicht gut und die Reform der Richtlinie ist hoch umstritten.
Wann die EU-Kommission schließlich entscheiden wird, ob die Praxis in deutschen Fleischbetrieben für sie einen Bruch des europäischen Rechts darstellt oder nicht, steht noch nicht fest. Das Verfahren ist erst ganz am Anfang, der Brief an die Bundesregierung enthält auch noch keine Antwortfrist.
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