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Führungsstreit bei den Piraten - Weniger Transparenz wagen

Die Mitgliederbefragung bei den Piraten, die sich gegen den Geschäftsführer Johannes Ponader richtet, ist ein Machtspiel von Nebeneliten. Der Vergleich mit den Anfängen der Grünen zeigt: Ein Festhalten an der Basisdemokratie ist gefährlich

Autoreninfo

Michael Lühmann, geboren 1980 in Leipzig, Politikwissenschaftler und Historiker, lebt und arbeitet in Göttingen. Zuletzt ist von ihm das Buch "Der Osten im Westen – oder: Wie viel DDR steckt in Angela Merkel, Matthias Platzeck und Wolfgang Thierse?" e

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„Welche Überlebenskräfte fordert die Basisdemokratie. Eine veritable Hölle dies, gefährlich wie die Urwälder Amazoniens, bevölkert von reichlich Schlangen, wilden Tieren und erbarmungslosen Schlingpflanzen, und dreimal Wehe jedem Unerfahrenen oder Naiven, der von den oftmals nur schwer erkennbaren Pfaden abirrt oder den Anschluss an seine Expedition verliert – er ist verloren und wird zum Fraße freigegeben.“

Was wie ein Kommentar zu den derzeitigen Machtkämpfen in der Piratenpartei klingt, ist ein Zitat Joschka Fischers – aus dem Jahr 1983.

Johannes Ponader befindet sich gerade in dieser veritablen Hölle, wird der Basis zum Fraß vorgeworfen, nachdem er wiederholt und zugleich recht ungelenk – eben unerfahren und naiv – das Basis-Mantra der Piraten und die Schwäche des Bundesvorstands hinterfragt hat. Schließlich ist der Partei die Basisdemokratie in öffentlichen Bekundungen heilig, gilt als eines ihrer Alleinstellungsmerkmale, als Ausweis der eigenen Nicht-Etabliertheit. Deshalb gibt es keine klaren Positionen, sondern nur diffuse Meinungsbilder, die dann besonders demokratisch legitimiert sein sollen. Eine Lesart, die nicht wenige Kommentatoren teilen. Zugleich eine Lesart, die man wahlweise naiv oder töricht nennen muss.

Ein (interessierter) Blick zurück

Als die Piraten in Berlin über Nacht das Parteiensystem aufmischten, fühlten sich viele an die jungen Grünen erinnert. Anders gekleidet, politisch unkonventionell, neue Themen bedienend. Fertig war der  Vergleich – und die Grünen „etabliert“. Nur die Mühe, den Vergleich nicht nur an der Oberfläche zu vollziehen, sondern ein wenig intensiver zu schauen, was man aus der Geschichte der Grünen über die Piraten lernen könnte, machten sich wenige. Am allerwenigsten die Piraten selbst.

Dabei hätte man dann erfahren können, wo die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens eigentlich herkommt. Auch die Erfahrung der Grünen mit ihren eigenen basisdemokratischen Anfängen, mit der Frage nach der Stellung von Fraktionen und Parteispitze hätte ein Lehrstück dafür sein können, warum die Piraten erstens nichts Neues hervorbringen außer Politik als Kulturtechnik zu konzeptionalisieren. Und zweitens, warum sie damit zwangsläufig scheitern müssen. Denn das Problem der Piraten mit der Basisdemokratie – das Problem von starken Fraktionen und einer schwachen Parteispitze – ist ein strukturelles. Die persönliche Ebene gibt dieser strukturellen Schieflage lediglich den heftigen Drive, den die Debatte nun angenommen hat.

Das alles findet sich schon in den siebziger Jahren beim jungen Fischer. Der kritisierte die Basisdemokratie ebenso oft, wie er sie selbst ausnutzte, um politisch aufzusteigen, um sich politisch durchzusetzen. Der wohl profundeste wissenschaftliche Kenner der Frankfurter Sponti-Szene, Wolfgang Kraushaar, hat schon vor vielen Jahren skizziert, wie Fischer noch vor der Entstehung der Grünen die Schwächen der Basisdemokratie für sich geschickt einzusetzen wusste. Im Zusammenspiel mit Daniel Cohn-Bendit und dem heutigen Welt-Herausgeber Thomas Schmid und anderen Sponti-Häuptlingen nahm Fischer gezielt Einfluss auf Basisentscheidungen. Er nahm die Ergebnisse am Küchentisch vorweg. Nicht selten ist im Vorfeld der Sponti-Plena in Fischers Küche die Marschroute diskutiert worden: In verteilten Sprecherrollen wurde erst ein Dissens konstruiert, der dann in einem vorher festgelegten Konsens überführt werden konnte.

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Alter Wein in neuen Schläuchen

Fischer perfektionierte dieses Politikmuster über die Jahre weiter. Es machte ihn, ohne je Parteivorsitzender gewesen zu sein, zum mächtigsten Grünen. Und dieses Muster soll bei den Piraten nicht wirken? Das zu glauben ist naiv, das von sich selbst zu behaupten schlichtweg verlogen. Da kann die Partei noch so häufig auf ihre basisdemokratischen Parteitage verweisen, auf Liquid Feedback und die viel beschworene Transparenz. Letztere macht nur öffentlich, dass in der konkreten Auseinandersetzung noch die gleichen Muster wirken, die schon die Grünen existenziell bedroht haben: Machtkonzentrationen, Hinterzimmerpolitik, Flügelkämpfe, persönliche Befindlichkeiten, die Lust am Destruktiven.

Was die Grünen dennoch überleben ließ, waren letztlich drei Gründe: erstens, dass man der Basisdemokratie auf lange Sicht das Wasser abgegraben hat und sie nun nur noch aus der Mottenkiste holt, wenn die Folgen der Abstimmung zwar nicht für jeden erfreulich, aber insgesamt wenig gefährlich sind. Zweitens, weil die Grünen irgendwann unter Schmerzen und mit Rückfällen zugelassen haben, dass ein starker Fischer mit einer mächtigen Fraktion im Rücken am ehesten Regierungsmacht erringen kann. Und drittens, weil die Grünen diesen Dissens zwar heftig ausgetragen haben, aber nicht mit der Daueröffentlichkeit, die heute das Internet bietet. Unter diesen Umständen hätten die Grünen die achtziger Jahre wohl nicht überlebt.

Was bleibt?

Die Geschichte der grünen Etablierung lehrt den Piraten also dreierlei: Das naive Festhalten an der Basisdemokratie ist gefährlich, weil sie ihr innewohnende Paradoxien nicht auflösen kann. Konfliktfähige, politisch erfahrene, im Verborgenen handelnde Eliten werden naive Anfänger wie Ponader zwangsläufig zu Fall bringen. Das aber geht auf Kosten der Originalität, der ideologischen Substanz und kratzt auf lange Sicht an der Glaubwürdigkeitsressource der Partei.

Zweitens bedarf es für die politische Durchsetzung ein Machtzentrum. Ein solches sind aber weder die finanziell schlecht ausgestattete Partei noch der ehrenamtliche Vorstand. Folglich muss entweder der Parteivorstand ordentlich bezahlt und mit Macht ausgestattet werden – was die Basis aber fürchtet wie der Teufel das Weihwasser. Oder die Berliner Fraktion stößt in dieses Machtvakuum vor und konterkariert damit die pseudo-basisdemokratischen Parteitage. Die Grünen haben beide Modelle ausprobiert. Aber letztlich lag die Macht meist dort, wo Fischer war: erst in der hessischen Fraktion, dann an der formalen Spitze der Bundestagsfraktion und zuletzt an der informellen Spitze der Partei.

Und drittens sollten die Piraten weniger Transparenz wagen, statt dauernd öffentliche Konflikte auszutragen. Zudem sollte Transparenz nicht dahingehend instrumentalisiert werden, Fakten zu schaffen, andere öffentlich anzuzählen und so über Umwege die Basis zu beeinflussen. Zumal ohnehin klar ist, dass es eine Nebenöffentlichkeit gibt, in der die Debatten vorbereitet werden. Einige Abende am Küchentisch von, nur als Beispiel, Christoph Lauer wären da sicherlich äußerst lehrreich.

Allein, was bleibt, sollte sich die Partei von der Basisdemokratie zu Gunsten von Machtkonzentration und Personalisierung verabschieden? Was bleibt von der Partei, ohne ihr Transparenzmantra zu Gunsten der Anerkennung eines notwendigen politischen Arkanbereichs?

Ihr Programm. Und das ist derzeit nicht gerade viel.

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