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(picture alliance) Warum wird man Terrorist?

BKA-Studie - Warum wird man Terrorist?

Eine Studie im Auftrag des Bundeskriminalamtes beschäftigte sich mit der Frage, warum Menschen zu politischen Extremisten und Gewalttätern werden.

Was bringt Menschen dazu, sich zu Extremisten zu entwickeln? Gibt es Gemeinsamkeiten zwischen linken Gewalttätern, militanten Muslimen und Neonazis? Und was ist die Ursache dafür, dass einige aus ihren Szenen wieder aussteigen und den Weg zurück in die Mehrheitsgesellschaft finden, andere wiederum in ihren Milieus verbleiben? Fragen, auf die eine Studie des Bundeskriminalamtes mit dem Titel „Die Sicht der anderen“ Antworten suchte. 40 Personen, allesamt Männer, wurden für die Studie befragt. Ein Team von Sozialwissenschaftlern führte zum Teil stundenlange Interviews. 39 davon flossen in die Studie ein. Die Befragten wussten, worum es in der Studie geht und ihnen wurde Anonymität, auch gegenüber dem Auftraggeber zugesichert. Die meisten von ihnen hatten, auch wenn ihre Taten zum Teil Jahre zurück lagen, kein entspanntes Verhältnis zum BKA. Wenig verwunderlich: Auch ehemalige Staatsfeinde legen in der Regel Wert auf eine Gewisse Distanz zum Gegner von einst. Das ändert sich selbst dann nur bedingt, wenn sie mit ihrer alten Szene gebrochen haben.

Und Staatsfeinde waren mehrere der Interviewten. Zum Beispiel der 1977 geborene mit dem Codenamen Ri01: Vom rechten Skinhead wurde er zu einem Mitglied der Neonazi-Partei FAP. Ihr Gründer war einer der prominentesten Nazis der Nachkriegszeit: Der 1991 an AIDS verstorbene Michael Kühnen. Die FAP wurde 1995 verboten. R01 saß zur Zeit der Befragung wegen eine Brandanschlags in Haft. Schon vorher war er durch zahlreiche Körperverletzungen und Sachbeschädigungen aufgefallen.

Oder id04. Im Gazastreifen geboren kam er über Umwege nach Deutschland. Er machte Abitur, studierte Medizin, lebte in verschiedenen europäischen Ländern und geriet immer wieder mit dem Gesetz in Konflikt. In Israel, wo er sich an gewaltsamen Protesten beteiligte und auch in Deutschland, wo er wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Gefängnis sitzt.

Nie inhaftiert war hingegen Ld04. Anfang der 80er geboren trat er in den 90ern in eine kommunistische Jugendgruppe ein. Ein paar Mal war er an Schlägereien mit Nazis beteiligt. Gewalttätig ist er längst nicht mehr und will sich auch künftig politisch engagieren – im demokratischen und legalen Rahmen.

Drei von 39 und alle drei haben sie auf den ersten Blick Lebensläufe, die kaum unterschiedlicher sein könnten. Und doch gibt es Gemeinsamkeiten. Der Duisburger Sozialwissenschaftler Thomas Schweer gehörte zu dem Team um Saskia Lützinger, das die Studie für das BKA erstellt hat. Schweer hat zahlreiche Interviews mit den Angehörigen der unterschiedlichsten Extremistengruppen geführt. Und dabei kristallisierte sich eine Parallele heraus: „Alle Befragten verbrachten ihre Kindheit oder Jugend in familiär schwierigen und unsicheren Lebensverhältnis. Das ist ein durchgängiges Motiv“, sagt Schweer und wirft ein, dass auch bei anderen Extremisten die Trennung der Eltern eine wichtige biografische Erfahrung war: „Von Osama bin Laden wissen wir, dass er mit seiner Mutter früh das Haus des Vaters verlassen musste, weil seine Mutter nicht seine Lieblingsfrau war.“

Natürlich sei nicht jedes Trennungskind auf dem Weg zum Gewalttäter, aber auffällig seien die Brüche in der Biografie: „Diese Brüche fanden wir über alle Milieus und Grenzen hinweg. Egal ob die Befragten Linke und Rechte waren, Muslime oder Atheisten, Deutsche oder Ausländer – fast alle teilten sie diese Erfahrung.“

Und es sind nicht die einzigen Gemeinsamkeiten: Als Kinder vermissten nahezu alle Befragten Akzeptanz und Sicherheit. Das hat, auch ein Ergebnis, wenig mit den wirtschaftlichen Lebensverhältnissen zu tun. Die Unsicherheit der Lebensverhältnisse war bei vielen von ihnen eher eine emotionale. Sie erhielten nicht die Unterstützung, den Rückhalt, das Vertrauen, das andere Kinder erfuhren und das denen die Stärke gab, auch in schwierigen Situationen auf sich selbst zu vertrauen. Dieser Mangel an Stärke machte sie schließlich empfänglich dafür, sich Gruppen unterzuordnen, in denen sie akzeptiert wurden.

Die Frage ist, was kann das BKA mit den Erkenntnissen dieser Studie anfangen? Für das Profiling, der Ermittlung unbekannter Tätern nach bestimmten, typischen Merkmalen, werden diese nach Ansicht von Schweer keine Rolle spielen. „Wir haben in dieser Studie politische Extremisten untersucht, aber ähnliche Ergebnisse liegen aus anderen Studien auf für gewöhnliche Gewalttäter vor. Der Hauptgrund, sich extremistischen Gruppen anzuschließen, war die Suche nach sozialem Rückhalt, Verständnis und Struktur. Die Ideologie ist lediglich ein Überbau, häufig eine Legitimation für die Taten.“ Für welche Szene sich die Extremisten entscheiden, ist nach den Ergebnissen der Studie eher zufällig.  „Alle Interviewten suchten Anschluss an eine Gruppe und Anerkennung – fanden sie die bei den Rechten wurden sie Rechts, gerieten sie in eine Islamistenclique wurden sie fromm und fanden sie linke Freunde, wurden sie eben Linksradikale.“

Tatsächlich ist es dann doch nicht der Zufall alleine, der darüber entscheidet, wo sich ein Jugendlicher auf der Suche hinwendet. Voraussetzung ist, dass es entsprechende Milieus gibt. In Teilen der neuen Bundesländer und im Ruhrgebiet existieren zum Beispiel intakte rechtsradikale Lebenswelten. Dies geht darauf zurück, dass sich rechtsextreme Vordenker in den 80er Jahren die Theorien des marxistischen, italienischen Theoretikers Antonio Gramsci angeeignet haben. Sie hatten erkannt, dass es darauf ankommt, eine kulturelle Hegemonie zumindest in Teilen der Gesellschaft  zu erreichen und sie waren erfolgreich. Mit Rechtsrock, den zum Teil umgedeuteten Symbolen anderer Jugendkulturen und einer starken Orientierung auf Aktionismus – zu dem häufig auch Gewalttaten gehören,  bieten sie ein Umfeld, das auf viele Jugendliche attraktiv wirkt.

Sicherlich beantwortet die BKA-Studie längst nicht alle Fragen. Vor allem bietet sie leider nur einen Erklärungsansatz. Aber sie legt zumindest dar, wie sehr es darauf ankommt, Kindern schon früh zu zeigen, dass sie akzeptiert sind und ihnen die Möglichkeit zu geben, durch Erfolgserlebnisse mehr Selbstbewusstsein zu entwickeln.

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