- Warum jetzt jeder mit jedem kann
Zurzeit wird wieder viel und laut über Parteienkoalitionen nachgedacht. Wie wichtig ist die Frage nach dem Regierungsbündnis eigentlich noch?
Reichlich farbenblind müsste man derzeit schon sein, um zu ignorieren, wie sich die Parteien untereinander neu positionieren oder klammheimlich machtpolitische Optionen öffnen. Auch wenn also der CDU-Parteitag ein schwarz-grünes Bündnis nicht offen zum Wunschziel erklären kann, fest steht doch, dass die Christdemokraten längst umdenken. Das, was sich euphemistisch und selbstbeschwörend als „bürgerlicher Block“ aus Schwarzen und Gelben bezeichnet, implodiert einfach. Klar ist aber umgekehrt auch, dass die Sozialdemokraten den rot-grünen Pakt, den es mit Gerhard Schröder und Joschka Fischer schon einmal gab, zwar erneuern möchten – Rot/Grün II also, wenn das Wünschen helfen würde. Ebenso eindeutig steht aber auch fest, dass sie innerlich ohne Murren darauf eingerichtet sind, sich in die Neuauflage eines ganz anderen Modells zu schicken – die Große Koalition III, nach jener mit Kurt Georg Kiesinger (1966) und der letzten mit Angela Merkel (2005) an der Spitze. Worum es mir hier geht, ist aber allein die Frage, ob es nicht letztlich egal ist, wer sich bei wem unterhakt – ob man also lachen soll oder weinen über diesen Trend zum jeder mit jedem.
Mal ehrlich – ertappt man sich nicht selber bei dem Gefühl, es sei deshalb nahezu jede Konstellation denkbar, weil sich so viel gar nicht ändern würde? Als letzte Schmuddelkinder der Republik, mit denen man nicht spielen dürfe, gelten die Linken, auf Bundesebene zumindest. Und das Nachsehen könnten vielleicht die Freidemokraten haben, nicht etwa, weil die Kanzlerin ein Bündnis mit ihnen keinesfalls fortsetzen möchte; sie würde es machen, außer den Linken ist ihr jeder recht. Nein, das Image des Unernsten, mit der prahlerischen „18“ auf den Schuhsohlen, sind die Freidemokraten los, aber seriöse Brille, dunkler Anzug und getragener Ton des Außenministers reichen einfach nicht, um davon zu überzeugen, dass diese Partei dem Gewicht und den Herausforderungen dieser erwachsenen, Europa recht dominierenden Republik auch nur einigermaßen gerecht wird. Mit der FDP wollen die anderen daher nicht spielen – aber nicht aus Berührungsangst, sondern weil sie als Leichtgewicht gilt und jene Funktion nicht mehr erfüllt, auf die sie ihren Zweck reduziert hat, nämlich Mehrheiten für ein Regierungsbündnis zu beschaffen.
Was aber sind die Gründe für diesen Eindruck, die Koalitionsfrage sei letztlich im Wortsinne gleichgültig? Hier einige Argumente.
Erstens: die inhaltliche Verwechselbarkeit ist beträchtlich. Natürlich war das gewollt, dass die Parteien aus ihren ideologischen Grabenkämpfen herausfinden, dass sie beitragen zur Deeskalation und zum gesellschaftlichen Konsens. Also rückten sie mehr oder minder in die Mitte. Sie verordneten sich „Realpolitik“, auch die Grünen. Von ein paar populistischen Anfechtungen abgesehen, haben sie sich stromlinienförmig angepasst, gerade um sich keine Machtoption zu verbauen. Das heißt: Angela Merkel betrieb die Sozialdemokratisierung der CDU, und mit der Energiewende nach Fukushima öffnete sie ihre Partei auch den Grünen, sodass sie jetzt von einer „Normalisierung“ des Verhältnisses sprechen kann. Ehrlicherweise gesteht sie sogar, die CDU sei es, die sich verwandelt habe, sie spricht also nicht einmal von „Wandel durch Annäherung“ auf Seiten der Partei Jürgen Trittins. Es stimmt ja auch: dass die Christdemokraten einen Grünen mit der dogmatischen Vergangenheit Trittins je für satisfaktionsfähig halten würden, hat man sich vor kurzem – sagen wir: bis zur Wahl Kretschmanns zum Ministerpräsidenten im Südwesten – nicht ausmalen können.
Zweitens: Die Problemlagen, auf die Politik sich einstellen muss, stehen in der Regel quer zu den politischen Profilen der Parteien. Logisch, dass spätestens nach der Finanzmarktkrise von 2008 die Ära des Neoliberalismus zu Ende gehen und der Ruf nach dem Staat, nach Regeln, nach einer steuernden politischen Hand wieder lauter würde. Als „Staatspartei“ können Christdemokraten daher die Sozialdemokraten kaum pauschal brandmarken, solche Versatzstücke aus der Mottenkiste benutzt fast nur noch der Freidemokrat Rainer Brüderle – und trägt damit eher zur Erheiterung als zur intellektuellen Auffrischung im Parlament bei. Und in einem Akt der Verzweiflung – aber auch Dummheit – sucht dann der liberale Wirtschaftsminister einen Bericht über die wachsende Ungleichheit in unserer Gesellschaft so umzufrisieren, dass es wie Orwellsches Neusprech klingt. An der Realität – dem wachsenden Reichtum einer sehr kleinen Schicht, dem Absinken der sozial ohnehin Zukurzgekommenen, aber besonders der unteren Mittelschicht – ändern solche Retuschen nichts. Wie soll man sich dann aber zwischen den Parteien mit den alten Mitteln abgrenzen?
Seite 2: Die Metamorphosen des Nationalstaates und die Politik des kleinen Formats
Drittens: Ralf Dahrendorf hat darauf verwiesen, er halte die Metamorphosen des Nationalstaates und die Folgen, die das für unsere Demokratien haben werde, für ein schier unlösbares Problem. In einer Kolumne lässt sich das gewiss nicht rasch verhandeln. Zudem blickte der Soziologe, als er es schrieb vor seinem Tod, auch zutiefst skeptisch in die Welt. Und dennoch: Dass die Nationen keine Solisten mehr sind, die für sich alleine entscheiden, hat das Parlament vor wenigen Tagen erneut drastisch dokumentiert. Zum blitzschnellen „Ja“ zur Griechenlandhilfe wurden praktisch auch diejenigen erpresst, die sich – vollkommen zu Recht – eine geordnete Beratung wünschen, die verlangen, die Regierenden sollten nicht mit Wortgirlanden verkleistern, dass wir längst eine Haftungsunion geworden sind, und die schließlich mit guten Argumenten begründen können, dass es falsch war, die Verschuldung in Südeuropa auf eine Weise lösen zu wollen, die Schulden, Arbeitslosigkeit und Perspektivlosigkeit wachsen lässt. Entschieden hat in Wahrheit – wie schon so oft – nicht der Bundestag in Berlin, entschieden haben die Regierungen beim jüngsten EU-Gipfel. Oder noch genauer: entschieden haben im stillen Kämmerlein die Stärksten, die dort am Tisch sitzen, vor allem die Kanzlerin und ihr Finanzminister. Kurzum, entschieden wird auf eine Weise, die Dahrendorf eine „Beleidigung für die Demokratie“ nannte. Hinzufügen möchte man nur, sofern man Europas Gelingen wünscht – wie künftig demokratische Prozesse aussehen können, wenn der Nationalstaat an Souveränität einbüßt, darüber wird noch gar nicht wirklich verhandelt. Wo denn auch? Parteien sind ja selbst Nationalstaatsprodukte.
So, und dann hat man, viertens, vom allgemeinen Niveauverlust der Politik noch gar nicht gesprochen, der fatal gleichmacherisch wirkt. Nein, es ist nicht so, wie an Stammtischen gerne schwadroniert wird – die Gewählten, die Mandatsträger, die Minister und die Oppositionsführer sind nicht schlicht blind, unvermögend, ignorant oder ahnungslos. Nur hatte die Politik des kleinen Formats, die seit einigen Jahren dominiert, unglückseligerweise ihre eigene Sogwirkung: Weil selbst die gravierendsten Entscheidungen wie die „Energiewende“ oder das Abschaffen der tradierten Wehrpflichtarmee einherkommen, als wäre es business as usual – einfach so, hoppla, machen wir mal, kommt täglich vor –, weil Handlungsprinzipien bis zur Unkenntlichkeit verwischt werden und wir von jeder Erregung mütterlich bewahrt werden, dann erscheint Politik irgendwann folgerichtig auch als vollkommen belanglos. Dort sind wir jetzt angelangt. Das aber ist nicht zum Lachen. Denn wie Politik aussieht und wer sie macht, das ist in Wahrheit keineswegs „Jacke wie Hose“. Ein Objekt für Zyniker, das darf sie einfach nicht sein.
Nur lässt sich für den Moment nicht leugnen: Schwarz-grün, rot-schwarz, rot-grün-gelb, alles möglich, alles egal, denn auf die Konstellation an der Spitze kommt es unter den gegebenen Umständen wirklich nicht mehr richtig an, außer natürlich für diejenigen, die gern dranbleiben oder drankommen wollen.
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