- Kommt es doch noch zum Elfmeterschießen?
Der Wahlkampf schien bis zuletzt entschieden: Angela Merkel macht das Rennen. Oder doch nicht? Im Fußball-Elfmeterschießen hat für die schwächere Mannschaft den Vorteil, die Gewinnchancen wieder auf 50-50 zu erhöhen, weiß Holger Geißler. Und in der Politik?
Erinnern Sie sich noch an den 19. Mai 2012? Das war der Tag, an dem der FC Bayern München das Champions-League-Finale, das „Finale dahoam“, gegen den FC Chelsea verlor. Trotz Heimrecht der Bayern, trotz 1:0-Führung bis zur 88. Minute, trotz 35:9 Torschüssen und 20:1 Ecken für Bayern, trotz einem (leider von Arjen Robben verschossenen) Elfmeter für die Bayern in der Verlängerung der Spielzeit: Chelsea gewann das Finale im Elfmeterschießen 4:3 und wurde damit Champions-League-Gewinner 2012.
Wahrscheinlich liegt ein großer Teil der Attraktion des Fußballs darin, dass solche Geschichten möglich sind. Dass trotz drückender Überlegenheit, Vorsprung und bester Chancen am Ende doch die schlechtere Mannschaft im Elfmeterschießen gewinnt – und damit am Ende dann doch alles richtig gemacht hat. Das Elfmeterschießen hatte dabei für den FC Chelsea als bis dahin schwächere Mannschaft den großen Vorteil, dass sich die Siegchance auf 50 Prozent erhöhte, auch wenn alle anderen Indikatoren eigentlich gegen sie sprachen. Beim Elfmeterschießen werden die Karten neu gemischt, das Spiel fängt wieder bei null an.
Ist so eine Geschichte auch am 22. September, dem Tag der Bundestagswahl, denkbar? Welches Ereignis hätte das Zeug für ein Elfmeterschießen?
Schauen wir zunächst einmal auf die reguläre Spielzeit und die Frage, wie die Spielanteile aktuell verteilt sind. Betrachtet man die Sonntagsfragen in der Zeit vom 19. bis 24. Juli, so liegt die Regierung zwischen 2 Punkten Unterschied (Insa/YouGov) bis hin zu 12 Punkten vorne. Der Durchschnitt über die Institute hinweg liegt aktuell bei 7 Prozentpunkten Vorsprung. Dieser Abstand ist mehr oder weniger seit Monaten gleich.
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Betrachtet man die unterschiedlichen Sonntagsfragen seit Januar 2013, so fällt auf, dass es keinen klaren Trend gibt. Bei dem einen Institut wackelt die Linie etwas mehr, bei anderen Instituten ist die Linie seit Wochen fast wie eine Gerade. Konstant ist nur, dass keine der Parteien einen klaren Trend nach oben oder unten aufweist. Das liegt unter anderem darin, dass in die Berechnung der Sonntagsfragen immer nur die Wähler einfließen, die sich zum Zeitpunkt der Umfrage bereits soweit festgelegt haben, dass sie die Frage beantworten können, welche Partei sie denn wählen würden, wenn die Bundestagswahl bereits am kommenden Sonntag wäre – und nicht erst in zwei Monaten. Das sind bis wenige Tage vor der Wahl nur etwa zwei Drittel der Befragten. Der Rest ist unentschlossen oder wird nicht wählen gehen. Die Kanzlerin bleibt bislang populär: Wie an dieser Stelle bereits ausgelegt, hat die Kanzlerin einen deutlichen Vorsprung in der Direktwahlfrage und den Sympathiewerten vor Peer Steinbrück.
Fazit: Noch immer hat Schwarz-Geld einen deutlichen Vorsprung. Aber der Vorsprung ist trügerisch, da in den Sonntagsfragen nur die bereits Entschlossenen betrachtet werden. Das Pfund der CDU ist die große Popularität von Angela Merkel.
Welche Ereignisse könnten eine Verlängerung oder sogar ein Elfmeterschießen am 22. September bewirken? Ein Blick auf die Vergangenheit spült sofort Themen und Ereignisse wie den „Professor aus Heidelberg“, die Dienstwagen-Affäre, die Oder-Flut oder Fukushima nach oben. Alles Themen, die dem jeweiligen Wahlkampf deutliche Richtungsänderungen, sprich: Trend-Breaks, gegeben haben.
Im Juli 2013 gibt es drei hervorstechende Themen mit Potenzial für Trend-Breaks: Euro-Hawk, Euro-Krise und der NSA-Skandal.
Ob die Euro-Hawk-Diskussion nun dazu führen wird, dass Thomas de Maizière als Verteidigungsminister zurücktritt oder nicht, die Wahl wird davon nicht maßgeblich beeinflusst werden. Zumindest hat die Popularität von Angela Merkel in den letzten vier Jahren nie nachhaltig darunter gelitten, dass Minister ausgetauscht wurden. Trotz der zahlreichen Ministerwechsel (z.B. zu Guttenberg, Schavan, Röttgen) sind die Werte der CDU und Frau Merkel heute so, wie sie sind.
Ähnliches gilt für das Thema Euro-Krise: Sollte diese noch mal aufflammen bis zur Wahl, wird es die Opposition schwer haben so zu reagieren, dass sie daraus einen Vorteil ziehen kann. Schließlich schaffte es Merkel bislang in beeindruckender Weise, im Inland mit der Euro-Krise zu punkten.
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Bleibt die NSA-Ausspähaffäre. Besteht hier das Potenzial, den Wahlkampf in die Verlängerung und vielleicht sogar ins Elfmeterschießen zu retten? Nach einer Umfrage von YouGov für die Bild-Zeitung sagen 32 Prozent der Deutschen, dass die Debatte um den Überwachungsskandal einen Einfluss auf ihre persönliche Wahlentscheidung haben wird. Das sind nicht wenige. Stellt sich die Frage, wie die Reaktion von Regierung oder Opposition in dieser Situation bewertet wird. Nur 13 Prozent der Befragten finden, dass die Regierung in dieser Situation überzeugend agiert. Zwei von dreien finden Merkel und Pofalla bislang nicht überzeugend. Selbst bei den CDU-Wählern ist das Bild ähnlich (41 Prozent nicht überzeugt vs. 33 Prozent überzeugt).
Ist das deshalb bereits ein Einfallstor für die Opposition? Nein. Denn die Äußerungen und Vorwürfe der Oppositionsparteien hinsichtlich des Skandals werden nur unwesentlich besser bewertet. 19 Prozent finden die Attacke der Opposition überzeugend, 59 Prozent nicht, der Rest kann die Frage nicht beantworten. Selbst im Lager der SPD- und Grünen-Anhänger hält sich die Begeisterung über das Agieren der Parteispitzen in diesem Thema in engen Grenzen. Bei der SPD sind etwas über die Hälfte nicht überzeugt von der Oppositionsarbeit, bei den Grünen genau 50 Prozent.
Trotzdem hat der Überwachungsskandal das größte Gefahrenpotenzial für die CDU. Nicht nur, weil Edward Snowden vielleicht noch eine zusätzliche Bombe platzen lässt (vergleichbar mit dem Ausgleichstor von Didier Drogba in der 88. Minute). Sondern weil eine „Ent“-Täuschung stattfinden könnte. Wenn die Opposition es schafft, den Verdacht aufrechtzuerhalten oder zu erhärten, dass Angela Merkel Bescheid wusste oder hätte wissen können, dann wird das ihr Image bei den Wählern nachhaltig erschüttern. Was der Opposition dabei helfen würde, wäre ein klares Symbol oder Bild, das die Ausmaße des Überwachungsskandals für den Bürger greifbar macht: etwa die Angst vor dem Verzehr radioaktiv verseuchter Pilze als Symbol für den GAU in einem AKW oder ein Kanzler, der in Gummistiefeln durchs Hochwasser watet. Zu abstrakt ist für die Bürger die Vorstellung, dass es ein Programm gibt, das unsere gesamte digitale Kommunikation überwacht. Wenn die Kampa im Willy-Brandt-Haus das schaffen würde, wäre die Aussicht auf ein Elfmeterschießen zum Greifen nahe.
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