- Tsipras ist ein Glücksfall für Europa
Alexis Tsipras kann in Athen weiterregieren. Geht das hellenische Chaos nun weiter? Nein, denn der Premier hat jetzt die Bestätigung der Griechen, dass er weiter sparen darf
Geht das Chaos jetzt weiter? Die Verhandlungsabbrüche in Brüssel? Die Bankenschließungen? Die geschmacklosen Beschimpfungen von Angela Merkel und Wolfgang Schäuble? Die Referenden und Neuwahlen? Eher nicht. Denn die Wiederwahl des Syriza-Chefs Alexis Tsipras dürfte sich als Glückfall für Europa erweisen.
Nun gut, dass Schäuble verschont wird, ist eher nicht zu erwarten, das hat Tsipras’ scharfe Rhetorik im Wahlkampf gezeigt. Aber das Rumgeeiere, das Zündeln in Sachen Euro – das dürfte nun vorbei sein. Denn mit seiner Wiederwahl hat sich der Premier de facto das Einverständnis der Griechen geholt, den von Europäischer Union, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds oktroyierten Sparkurs fortsetzen und auch umsetzen zu können.
Es ist paradox: Ausgerechnet der Mann, der Wahlversprechen in Serie gebrochen, selbst ursprünglich wohlgesonnene EU-Regierungschefs an den Rand des Wahnsinns und Griechenland bis kurz vor den Kollaps geführt hat, ausgerechnet er kann jetzt zu einem Garanten der Stabilität in Athen werden.
Alexis Tsipras ist auch Realpolitiker und Machtmensch
Tsipras ist ein scharfzüngiger Linkspopulist, aber er ist auch Realpolitiker. Dass er um des reinen Machterhalts Willen erneut eine Koalition mit der rechtspopulistischen Partei Anel eingeht, zeigt dies. Dass er – obwohl die Griechen in einem Referendum die Sparprogramme von EU, EZB und IWF abgelehnt hatten – in Brüssel klein beigab, um Hellas’ Kollaps und den Grexit abzuwenden, belegt dies ebenfalls. Spielchen wird er sicherlich auch weiterhin spielen. Aber es ist zu erwarten, dass er sich – eben wegen seines Sinnes für politische Realitäten – im Wesentlichen an die Auflagen der Geldgeber halten wird. Tsipras hat in seiner bisherigen Amtszeit nicht immer klug gehandelt, aber er hat bewiesen, dass er schlau ist.
Vor allem kann er gegenüber den Griechen und insbesondere gegenüber seiner eigenen Partei immer wieder darauf verweisen, dass sein Kurs, sein Abnicken und Einknicken in Brüssel, mit dieser Parlamentswahl bestätigt wurden. Tsipras hat somit alle Voraussetzungen, um in Athen ein Anker der Stabilität zu werden.
Der wiedergewählte Premier wird dafür allerdings einen Preis fordern – in der Flüchtlingskrise. Auch wenn der Fokus der Öffentlichkeit im Moment auf Ungarn, Kroatien und Slowenien liegt – das Drama in Griechenland geht unverändert weiter. Das Land ist hoffnungslos überfordert mit der schieren Anzahl an Flüchtlingen. Sie landen weiterhin zu Tausenden an der Küste von Lesbos oder an der griechisch-türkischen Grenze an.
Der Paria wird zum Partner
Tsipras wird zu Recht fordern, dass Griechenland mehr finanzielle EU-Hilfen bekommt, um den Flüchtlingen wenigstens ein Mindestmaß an humaner Erstunterbringung bieten zu können. Schließlich, so wird er argumentieren, darf sein Land nicht für seine EU-Randlage bestraft werden. Er wird darauf drängen, dass Dublin III geändert wird, wonach Asylbewerber in jenem Unionsland aufgenommen werden müssen, in dem sie zuerst ankommen. Eine ungerechte und unsolidarische Regelung, die – auch auf Drängen Berlins – vor zwei Jahren erst in der EU eingeführt wurde, und die nun dafür sorgt, dass vor allem Griechenland, Ungarn und Italien bis an ihre Grenzen belastet werden.
Tsipras wird auch darauf drängen, dass die EU endlich belastbare Aufnahmequoten einführt. Darauf, dass auch Staaten wie Polen, Tschechien oder Kroatien, die in ihrer jüngeren Geschichte selbst viele Flüchtlinge stellten, Asylbewerber aufnehmen. In der Flüchtlingsfrage wird Angela Merkel mit Alexis Tsipras einen Verbündeten finden. Der Paria wird zum Partner.
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