- Studie rechnet Probleme weg
Frauen verdienen lediglich zwei Prozent weniger als Männer. Mit dieser Aussage hat das Institut für deutsche Wirtschaft (IW) für Furore gesorgt, hieß es doch bislang, die Lohnlücke betrage 25 Prozent. Ist die Diskriminierung von Frauen in der Arbeitswelt nichts weiter als ein Mythos? Wären Frauen Männer, wäre jedenfalls alles schön
Wenn Frauen weniger verdienen als Männer, dann sind sie daran selbst schuld. Diesen Eindruck vermittelt zumindest eine neue Studie des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft Köln (IW), die am vergangenen Dienstag vorgestellt wurde.
Von „Schuld“ würde Oliver Stettes, Leiter besagter Studie zwar nicht sprechen. Richtig sei die Aussage prinzipiell aber trotzdem. „Frauen und Männer sind am Arbeitsmarkt gleichberechtigt“, meint Stettes. Die Ursachen für Lohnunterschiede seien in individuellen Entscheidungen im Verlauf der Erwerbsbiografie zu suchen. Die Studie, die er zusammen mit Holger Schäfer und Jörg Schmidt durchführte, liefere den wissenschaftlichen Beweis: „Frau verdienen lediglich zwei Prozent weniger als ihre männlichen Kollegen und haben damit die gleichen Karriere- und Verdienstchancen“, fasst der Wissenschaftler im Cicero-Online-Gespräch zusammen.
Zwei Prozent – das verwundert, war bislang doch von 25 Prozent die Rede, von einer Lohnlücke – dem sogenannten „gender pay gap“ – die Frauen eindeutig benachteiligt. Die scheinbare Diskrepanz lässt sich keineswegs auf einen Rechenfehler zurückführen sondern liegt vielmehr in der unterschiedlichen Rechenweise begründet: Werden die durchschnittlichen Stundenlöhne von Männern und Frauen gegenübergestellt, verdienen Frauen unter dem Strich ein Viertel weniger als Männer. Stettes hat den „gender pay gap“ indes „bereinigt“, indem er Faktoren wie Bildungsstand, Branche, Alter, Berufswahl, Berufserfahrung und Wochenarbeitszeit herausgerechnet hat – mit dem Ergebnis, dass sich die weit klaffende Lohnschlucht auf einen progressiven Zwei-Prozent-Spalt minimierte.
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„Frauen und Männer werden völlig gleich behandelt“, lautet sein Resümee. Aber nicht nur das. Frauen seien sogar die Gewinner am Arbeitsmarkt: „Immer mehr Frauen sind in Vollzeit beschäftigt – aktuell 72 Prozent“, so Stettes. Aufgrund des Fachkräftemangels könnten es sich Unternehmen heute gar nicht mehr erlauben, auf Frauen zu verzichten. Mit anderen Worten: Der mit Furcht und Schrecken erwartete demografische Wandel spielt wenigstens den Frauen in die Hände.
Verdient eine Frau weniger als ihr männlicher Kollege, so Stettes, ließe sich die augenscheinliche Benachteiligung nicht auf ein Geschlechtsklischee zurückführen, sondern hänge mit der Erwerbsbiografie zusammen. Sind weibliche Bewerber indes genauso qualifiziert wie ihre andersgeschlechtlichen Mitstreiter, sind sie genauso alt und stehen sie bereits genauso lange im Berufsleben, hätten sie nicht nur die gleiche Chance auf den anvisierten Job, sondern bekämen auch das gleiche Gehalt.
Genau da liegt jedoch der sprichwörtliche Hase im Pfeffer, rechnet Stettes doch die eigentlichen Probleme weg. Seine Studie könnte auch folgenden Titel tragen: Wären Frauen Männer, gebe es keine Unterschiede mehr.
Auch Elke Holst, Forschungsdirektorin des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), bewertet die Studie ihrer Kölner Kollegen gleich aus mehreren Gründen als äußerst fraglich: „Sie vernachlässigt völlig, dass die Rahmenbedingungen für Frauen und Männer unterschiedlich sind.“ Der Arbeitsmarkt sei auf männliche Biografien zugeschnitten. Will eine Frau in dieses Förmchen hineinpassen, müsse sie so tun, als sei sie ein Mann. „Es sind aber nun mal die Frauen, die die Kinder zur Welt bringen.“ Und solange Kinder als Synonym für langer Ausfall und hohe Kosten gelten, könne man mitnichten von Chancengleichheit sprechen, so Holst.
Demgegenüber stellt Stettes zwar, dass eine Jobpause von maximal 18 Monaten statistisch gesehen die Gehaltsgleichheit nicht negativ beeinflussen würde. Gebärt eine Frau jedoch mehr als ein Kind, wird es ihr fast unmöglich, diese künstliche Ausfall-Akzeptanzgrenze nicht zu überschreiten.
Dass längere Elternauszeiten oder ein Teilzeitjob es Frauen „schwerer oder sogar unmöglich machen, im Aufstiegswettbewerb die eigenen Kompetenzen und die eigene Leistungsbereitschaft unter Beweis zu stellen“, räumt zwar auch Stettes in seiner Studie ein. Von einer Benachteiligung könne man dennoch nicht sprechen, obliegt doch jedem Paar die Entscheidung, wer in Elternzeit geht.
Zudem müsse man sehen, so Stettes, dass die Zahl der Frauen, die unfreiwillig in Teilzeit arbeiten, etwa weil sie keine Vollzeitstelle finden, zurückgehe: 2006 hätte noch jede fünfte Teilzeit-Frau gerne eine Vollzeit-Stelle gehabt; 2011 waren es schon nur noch 14 Prozent. Und so heißt es in der Studie lediglich: Frauen „spielen den meist männlichen Mitbewerbern in die Hände“, eben weil sie so oft für Teilzeit-Jobs entscheiden. Die traditionellen Normen, etwa was die Kindererziehung oder Haushaltspflege betrifft, die zu unterschiedlichen Erwartungshaltungen gegenüber Frauen und Männern führen, vergisst Stettes dabei leider.
Stattdessen führt er als Erklärung, dass Frau oft weniger verdient an, dass „Männer in Lohnverhandlungen fordernder sind“ und verkennt damit, dass Frauen und Männern auch im Beruf unterschiedliche Geschlechterrollen zugewiesen werden. Reinhard K. Sprenger, Führungsexperte, Bestsellerautor und Unternehmensberater erklärt das Phänomen wie folgt: „Im Business müssen Frauen die besseren Männer sein – und dann wirft man ihnen vor, dass sie vermännlichen. (...) Ist sie schlagfertig, hat sie Haare auf den Zähnen; zeigt sie ihre Gefühle, ist sie eine Heulsuse; beherrscht sie sich, ist sie ein Eisberg; arbeitet sie lang und hart, ist sie mit ihrem Beruf verheiratet; hat sie Erfolg, ist sie ein Karriereweib. Logik ist bei ihr kühle Berechnung, Intelligenz ein Schönheitsmakel.“
Stettes wolle zwar nicht garantieren, dass nicht doch der ein oder andere Arbeitgeber dem weiblichen Bewerber aufgrund von Vorurteilen ein geringeres Gehalt gewähren würde. Belege für eine systematische Diskriminierung gäbe es jedoch nicht. Ein Unternehmen würde sich selbst schädigen, müsste es doch damit rechnen, dass sich die Frau schlecht behandelt fühlt und das Unternehmen verlässt. Eine Studie von fünf Forschern aus Yale kommt da zu anderen Erkenntnissen: 127 Fakultätsmitarbeiter sechs renommierter US-Universtäten sollten die Unterlagen von „John“ und „Jennifer“ prüfen und eine Lohnempfehlung aussprechen. Die ausgedachten Lebensläufe der beiden Bewerber wiesen eine gleiche Eignung und einen ähnlichen Lebenslauf auf. Das Resultat: „John“ hätte von den Professoren nicht nur durchschnittlich 14 Prozent mehr Gehalt erhalten als „Jennifer“. Zudem wurde er als förderungswürdiger eingestuft.
Auch eine Studie von Johanna Storck, Doktorandin am DIW lässt vermuten, dass Frauen bereits nach der Ausbildung hinsichtlich des Lohns benachteiligt werden: Während Männer nach einem Informatikstudium an der Universität mit einem Netto-Stundenlohn von 14,06 Euro rechnen können, erhalten Frauen nach dem gleichen Studium nur 9,32 Euro. In der Mathematik verhält es sich ähnlich: Männer erhalten nach dem Universitätsabschluss einen Netto-Stundenlohn von 13,71 Euro, Frauen hingegen von gerade einmal 7,72 Euro. Wobei bei den Berechnungen des Stundenlohns andere Faktoren, die sich auf den Netto-Lohn ausüben – etwa Alter, Region oder Steuerklasse – herausgerechnet sind. „Angesichts dieser Lohnunterschiede nach Geschlecht und Studienfach überrascht es kaum, dass der Anteil an Männern in der Sozialarbeit gering ist, während Frauen noch immer schwach in den Ingenieurwissenschaften vertreten sind“, so Storck.
In Oliver Stettes Studie heißt es dazu: „Trotz aller Bemühungen, junge Frauen für technische Berufe zu begeistern, stellen Frauen lediglich 12 Prozent aller neuen Auszubildenden in einem solchen Beruf.“ Dass dies zu großen Teilen auf die unterschiedliche Lohnerwartung zurückzuführen ist lässt die Studie außer Acht. Genauso, dass es eben vor allem die sogenannten Frauenberufe sind, die schlecht bezahlt werden.
„Rechnungen wie sie Oliver Stettes angestellt hat, gibt es seit Jahren“, so Elke Holst. „Jedoch ist es zu kurz gedacht, die Resultate unreflektiert im Raum stehen zu lassen.“
Eine differenziertere Betrachtung wäre zweifelsohne wünschenswert gewesen, droht der Erkenntnisgewinn einer Studie doch verloren zu gehen, wenn die gesellschaftlichen Hintergründe nicht hinlänglich berücksichtigt werden. Im Falle IW zeichnet die Studie – anders als postuliert – ein verzerrtes Bild der Gesellschaft, nämlich das einer Arbeitswelt, in der Frauen absolut gleichberechtigt sind und Rollenzuweisungen längst überwunden wären.
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