- Mindestlohn ja, aber keine Steuererhöhungen
Die zehn Forderungen der SPD für Koalitionsgespräche mit der Union ermöglichen vor allem eines: Flexibilität. Was wollen die Sozialdemokraten?
Ausgemacht ist das Zustandekommen einer Großen Koalition auch nach diesem Sonntag nicht. Zwar haben die 229 Delegierten des SPD-Parteikonvents ihrer Führung das „Go“ für Verhandlungen mit Angela Merkel (CDU) und Horst Seehofer (CSU) mehrheitlich gegeben. Nur 31 waren dagegen, zwei enthielten sich. Das letzte Wort über die Koalitions- und damit die Regierungsbildung haben aber die Mitglieder der SPD. Ihnen muss Parteichef Sigmar Gabriel den ausgehandelten Vertrag zur Prüfung vorlegen, womöglich noch im November, wahrscheinlich aber erst im Dezember. „Weihnachten muss ja auch mal gut sein“, frotzelte Gabriel, „und Zeit zum Geschenkekaufen braucht man auch.“
Jedes SPD-Mitglied darf dann sein Votum abgeben. Erst wenn die Mitglieder mehrheitlich positiv abstimmen, kann die SPD den Koalitionsvertrag unterschreiben.
Zehn Punkte hat Sigmar Gabriel als Voraussetzung für die große Koalition benannt
„Es wird auf die Inhalte ankommen.“ Diesen Satz hörte man am Sonntag besonders häufig, als die Delegierten des Parteikonvents gegen Mittag das Willy-Brandt-Haus, die Parteizentrale, betraten. Zu diesem Zeitpunkt hatte Gabriel dem Parteivorstand bereits ein zweiseitiges Papier zur Abstimmung vorgelegt, das man als so etwas wie das Pflichtenheft für die anstehenden Koalitionsverhandlungen verstehen kann. Darin festgehalten sind die inhaltlichen Punkte, die es in den Gesprächen mit der Union festzuschreiben gilt.
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Der SPD-Vorsitzende hat zehn Punkte formuliert, auf die es aus seiner Sicht ankommt. Zwar heißt es in der Präambel: „Auf das Wahlprogramm kommt es an.“ Doch die Kernforderungen des sozialdemokratischen Wahlprogramms finden sich nicht in allen Teilen und schon gar nicht so konkret im Verhandlungspapier wieder. Der Grund: In den Verhandlungen will die Führung flexibel bleiben können. Stehen zu konkrete Forderungen im Beschlusspapier des Konvents, wächst die Gefahr, dass die SPD-Mitglieder dem Koalitionsvertrag womöglich nicht zustimmen, weil sie die konkreten Inhalte des Konventsbeschlusses darin nicht eingelöst sehen.
Steuererhöhungen und Bürgerversicherung tauchen nicht auf
Überraschend ist gewiss für viele Sozialdemokraten: Die Parteispitze hat in ihren Forderungskatalog weder die Anhebung von Steuern noch die Einführung einer einheitlichen Krankenversicherung hineingeschrieben. In dem Papier heißt es lediglich, dass die SPD „in den Koalitionsverhandlungen auf einer verlässlichen, soliden und gerechten Finanzierung aller Projekte“ bestehen werde und „soziale Kürzungen“ ausschließt, also den Griff in Renten- und Gesundheitskassen. Dass die Forderung nach einer Erhöhung des Spitzensteuersatzes auf 49 Prozent aus dem SPD-Bundestagswahlprogramm nicht mehr erhoben werden soll, stieß zunächst auch auf Kritik. Aber Gabriel konterte, man müsse realistisch bleiben, das Wahlergebnis und den Wunsch des Wahlsiegers, der Union, respektieren.
Mindestlohn steht im Vordergrund
Im Vordergrund steht für die Parteiführung der Mindestlohn. Die Durchsetzung eines „flächendeckenden, gesetzlichen Mindestlohnes von 8,50 Euro“ ist für die SPD Kern einer gemeinsamen Regierung. Wobei sich die Parteispitze nicht festlegt, wann dieser Mindestlohn gelten soll. „Gerechte Löhne für gute Arbeit“ heißt die Forderung der Sozialdemokratie an die eigene Verhandlungsführung – ohne Unterschied in Ost und West. Dazu soll auch der Missbrauch von Leiharbeit und Werkverträgen eingedämmt werden.
In einem zweiten Punkt geht es um die Zukunft der Rente. „Altersarmut soll dauerhaft verhindert werden“, heißt es. Wer 45 Jahre in die Kasse eingezahlt hat, soll ohne Abschläge in Rente gehen können. „Nach einem langen Arbeitsleben muss eine gute Rente ohne Abzüge stehen“, heißt es. Die SPD will die Absicherung erwerbsgeminderter Menschen verbessern und die Rentensysteme in Ost- und Westdeutschland angleichen. Im Bereich der Pflege soll es sowohl um die Situation von Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen als auch um diejenigen gehen, die in der Pflege arbeiten. „Um diese Ziele zu erreichen, wollen wir den Beitrag zur Pflegeversicherung anheben.“
Bei der Gleichstellung von Frauen und Männern bleiben die Sozialdemokraten vage. Sie soll „in allen Bereichen verbessert werden“. So soll unter anderem dem Grundsatz „Gleiches Geld für gleiche und gleichwertige Arbeit“ auch zwischen Frauen und Männern Geltung verschafft werden. Außerdem will die SPD in den Koalitionsverhandlungen „verbindliche Regelungen für mehr Frauen in Führungspositionen“ durchsetzen. Der Begriff „Frauenquote“ taucht allerdings nicht auf. Eine Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Lebenspartnerschaften wurde in den Forderungskatalog aufgenommen.
Indirekt wird in dem Papier die Möglichkeit der doppelten Staatsbürgerschaft gefordert. Deutschlands Kinder sollten deutsche Staatsbürger bleiben, heißt es darin: „Deshalb wollen wir den Optionszwang abschaffen und Mehrstaatigkeit hinnehmen.“
Abschaffung des Betreuungsgeldes wird nicht gefordert
Im Punkt 6 geht es um die finanzielle Besserstellung der Kommunen. Nachdem die Union die Finanzierung der Grundsicherung komplett von den Kommunen übernommen hatte, geht es nun um die Hilfen für Behinderte. „Wir wollen die Kommunen finanziell stärken und von Kosten sozialer Leistungen nachhaltig entlasten.“ Im Bereich Investitionen will sich die SPD auf „zusätzliche Anstrengungen“ konzentrieren, die Infrastruktur „zu erhalten und auszubauen“. Wobei das Betreuungsgeld für Kinder, die keine Kita besuchen, als „falscher Pfad“ bezeichnet, seine Abschaffung allerdings nicht gefordert wird. Zum Bildungssystem heißt es: „Im schulischen und vorschulischen Bereich soll es so gestaltet werden, dass individuelle Förderung und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf verbessert werden.“
Bei der Finanzpolitik legt die SPD Wert darauf, dass Finanzmärkte wirksam reguliert werden, eine Finanztransaktionssteuer eingeführt und Steuerbetrug stärker bekämpft wird. In der Europapolitik will die SPD Wachstum und Beschäftigung in Europa sichern und gegen Jugendarbeitslosigkeit verstärkt vorgehen.
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