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Schulz vs. Juncker - Suggestion eines Wettbewerbs

Martin Schulz inszeniert die Europawahl als Duell mit Jean-Claude Juncker. Er weckt Erwartungen, die er nicht einlösen kann. Glaubwürdig ist sein Wahlkampf ohnehin nicht - denn an der Schaffung des neoliberalen Binnenmarktes hatte auch er kräftig mitgewirkt. Ein Beitrag in Kooperation mit dem Tagesspiegel

Autoreninfo

Fabian Leber ist Redakteur im Ressort Meinung des Tagesspiegels. Er kommentiert vor allem aktuelle Entwicklungen der Bundespolitik. Sein Schwerpunkt liegt bei wirtschafts- bzw. sozialpolitische Fragestellungen und der Euro-Politik.

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Martin Schulz hat gerade einen guten Lauf. Jeden Tag ist er mit einem Propellerflugzeug unterwegs, irgendwo zwischen Lodz und Lyon, schüttelt Hände, wirbt für Europa, wirbt für sich. Mit seiner klobigen Goldrandbrille mag er wie ein Gewerkschaftssekretär aus den 80er Jahren aussehen – die Europakampagne der SPD wirkt trotzdem frischer als Peer Steinbrücks Biedermeierwahlkampf aus dem vergangenen Herbst.

Tatsächlich ist es eine werberische Meisterleistung, aus dem Brüsseler Apparate-Menschen Schulz einen Robin Hood für mehr Bürgerbeteiligung in Europa zu machen.

Zumindest in Deutschland ist das nicht ohne Wirkung geblieben: 39 Prozent der Deutschen wünschen sich den Landsmann an der Spitze der EU-Kommission. Abgeschlagen dahinter landet Jean-Claude Juncker mit 22 Prozent. Das will schon einiges heißen in einem Land, das seit neun Jahren fest in der Hand der Christdemokratie ist.

Die SPD verhandelt die Personalie Schulz als nationale Angelegenheit
 

Aber vollzieht sich hier tatsächlich ein politischer Umschwung? Der Stolz, mit dem die SPD ihren nationalen Kandidaten Schulz bewirbt, offenbart vor allem eines: Die europäische Demokratie, die er so vehement verspricht, wird selbst in der eigenen Partei als nationale Angelegenheit verhandelt. Mit der Personalie Schulz hofft die SPD auf einen Punktsieg gegen die Kanzlerin, ohne es sich mit Angela Merkel direkt zu verscherzen.

Das verbindet sie mit Energiekommissar Günther Oettinger (CDU), der seine Chance auf eine Brüsseler Weiterbeschäftigung mit einer Bemerkung mitten im Wahlkampf nicht gerade gesteigert hat: Schulz sei das Amt zuzutrauen, weil dieser „jeden Stein“ in Brüssel kenne, sagt Oettinger. Helmut Kohl wiederum ließ via „Bild“-Zeitung aus Oggersheim verlauten, er hoffe, dass „mein Freund“ Juncker die Wahl für uns gewinnt. Mit „uns“ meint Kohl Europas Christdemokraten von der EVP. Ob Merkel sich über einen Sieg Junckers ebenfalls freuen würde?

Die vor allem von Schulz vorangetriebene Inszenierung des Europawahlkampfs als Duell zweier Männer erweist sich nur auf den ersten Blick als raffinierter Schachzug. Sie übertüncht die wahren Verteilungskonflikte, die es in Europa gibt. Und sie könnte die Ambitionen des Deutschen auf den Kommissionsvorsitz am Ende völlig zunichtemachen. Grundsätzlich lehnt zwar auch Merkel eine stärkere Zentralisierung innerhalb der EU nicht ab – doch nur so lange, wie sie der Koch und die Kommission der Kellner ist.

Vorwerfen kann man ihr das nicht. Selbst der „europäische Ehrenbürger“ Kohl gibt zu bedenken, dass die Staats- und Regierungschefs im Europäischen Rat über eine „starke demokratische Legitimation“ verfügen. Und über das Geld, möchte man ergänzen. Genau aus diesem Grund wird Merkel weder Schulz noch Juncker an der Kommissionsspitze haben wollen: Weil sie beide verdächtigt, im Zweifel mit François Hollande zu kooperieren, der den Euro ein bisschen weicher machen möchte.

So entpuppt sich der vermeintliche Showdown als ein Wettkampf der Selbstverleugnung: Der Sozialdemokrat Schulz versucht, den neoliberalen Binnenmarktstaat durch ein paar sozialpolitische Attrappen aufzuhübschen. Logischer Endpunkt dieser Entwicklung wäre eine EU-Sozialunion. Den Mut, die Deutschen über deren Konsequenzen aufzuklären, hat aber auch Schulz nicht. Vermutlich würde das Niveau des deutschen Wohlfahrtsstaates eher sinken als steigen. Es entbehrt nicht einer Ironie, dass Europas Sozialdemokraten zuvor jahrzehntelang an der marktfreundlichen Ausgestaltung des Binnenmarkts mitgewirkt hatten.

Schulz schadet dem europäischen Anliegen mehr, als dass er ihm nützt
 

Schulz versucht diese Widersprüche zu überdecken, indem er auf den letzten Metern ein bisschen Europopulismus unter die Leute bringt. Der ehemalige Bürgermeister von Würselen mag ein sympathischer Typ sein. Dass er nun aber sagt, viele Leute hätten die Nase „gestrichen voll“ von der EU, wirkt wenig glaubwürdig. Zumal er hinzufügt: „Das verstehe ich auch.“ Das passt nicht zu einem Mann, der seit 1994 an führender Stelle europapolitische Entscheidungen in Brüssel fällt.

Martin Schulz weckt so Erwartungen, die er nicht einlösen kann. Damit schadet er dem europäischen Anliegen mehr, als dass er ihm nützt. Schon jetzt ist das Brüsseler System mit Interessenkonflikten überfrachtet – auch die Regierungen in Berlin und Paris ziehen nicht mehr zwingend an einem Strang. Die Besetzung des Kommissionsvorsitzes kann durch die Schulz-Taktik zu neuen Verwerfungen führen, die gar nicht nötig wären. Handlungsfähiger wird die EU dadurch nicht. Weil man einen Parteienwettbewerb suggeriert, den es in Wirklichkeit nicht gibt.

 

 

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