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Rot-Rot-Grün in Thüringen - Der Sündenfall von Erfurt

Die SPD fordert ein Bündnis gegen die AfD - und paktiert zugleich mit der Linkspartei. So stellt Gabriel die Weichen zur Kanzlerschaft. Die CDU steht mit leeren Händen da

Autoreninfo

Wolfgang Bok war Chefredakteur und Ressortleiter in Stuttgart und Heilbronn sowie Direktor bei der Berliner Agentur Scholz & Friends. Der promovierte Politologe lehrt an der Hochschule Heilbronn Strategische Kommunikation.

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Gewiss ist Bode Ramelow ein ehrenwerter Politiker. Gut möglich, dass der Spitzenkandidat der Linkspartei in Erfurt einen souveränen Ministerpräsidenten abgibt. Verstaatlichungen in Thüringen braucht in der Tat niemand zu fürchten. Was will man in den neuen Ländern auch verstaatlichen, wo es ohnehin kaum Industrie oder Mittelstand gibt? Doch diese Betrachtung ist zu kurzsichtig. Wenn sich SPD und Grüne ohne Not dazu herablassen, den Erben der SED in zentrale Machtpositionen zu verhelfen, dann hat das Signalcharakter: In Erfurt werden Weichen gestellt und politische Koordinaten nach links verschoben.

Thüringen hat sich unter CDU-Westimporten gut entwickelt


Es ist ja nicht nur der ehemalige West-Gewerkschafter Ramelow, der als Chef in die Thüringer Regierungszentrale einzieht. Mit ihm kehren auch die alten Kader und jungen Linksaußen an die Schalthebel der Macht zurück. Nicht alle und nicht sogleich, aber nach und nach. Steigt ein Politiker der Linkspartei in den erlauchten Kreis der Landesfürsten auf, dann wird damit ein Bann gebrochen. Es macht eben einen gewaltigen Unterschied, ob die Linkspartei nur mitregieren darf, wie in Potsdam oder Schwerin; oder ob sie die Richtlinien der Landespolitik bestimmt.

Wäre Thüringen in den vergangenen 25 Jahren unter schwarzer Führung elend heruntergewirtschaftet worden, ließe sich der Schwenk der SPD ja noch rechtfertigen. Doch das Gegenteil ist der Fall: Mit den CDU-Westimporten Bernhard Vogel in der Politik und Lothar Späth in der Wirtschaft (Jenoptik) hat sich das Land lange gut entwickelt. Im Vergleich dazu fällt die Gestaltungskraft der gelernten Pastorin Christine Lieberknecht zwar ab. Doch auch der bisherigen Ministerpräsidentin haben die Wähler am 13. September mit 33,5 Prozent bescheinigt, die Verheerungen der SED-Herrschaft gut bewältigt zu haben. Zumal im Vergleich zu Ländern wie Brandenburg oder Mecklenburg-Vorpommern, wo die SPD mit den gewendeten Kommunisten wenige Erfolge vorzuweisen hat.

Gabriel blinkt rechts und biegt links ab


Nichts würde also dagegen sprechen, in Thüringen den schwarz-roten Weg des soliden Wirtschaftens fortzusetzen. Wer stattdessen eine „Politikwende“ will, hat anderes im Sinn. Es ist der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel, der die Verfechter der bisherigen Koalition wie Christoph Matschie ins Abseits drängt. Jener Gabriel also, der gerne den industriefreundlichen Wirtschaftsminister gibt und drei Mal am Tag nach Innovationen ruft. In Wahrheit blinkt dieser Sigmar Gabriel nach rechts, um nach links abzubiegen, sobald sich die Gelegenheit bietet. Thüringen ist daher ein wichtiger Schritt zur rot-rot-grünen Mehrheit auch in Berlin mit einem Kanzler Gabriel an der Spitze.

Die CDU steht dagegen mit leeren Händen da. Obwohl sie in Thüringen sogar um 2,5 Prozentpunkte zugelegt und in 34 von 44 Wahlkreisen die Mehrheit errungen hat, soll sie als stärkste Kraft auf die Oppositionsbänke wechseln. Dagegen gebärdet sich die SPD als Königsmacherin, obwohl sie ein Drittel ihrer Wähler verlor und mit nun 12,4 Prozent nur knapp über der AfD liegt, die auf Anhieb 10,6 Prozent der Stimmen und elf Mandate errungen hat. In Thüringen werden also nicht nur politische Weichen neu, sondern die Wünsche des Wählers auf den Kopf gestellt.

Eine starke AfD nützt vor allem der SPD


Die SPD mag vom Wähler noch so sehr gebeutelt werden – sie regiert fast immer mit. Sie kann erhaben unter drei möglichen Koalitionspartnern auswählen: CDU, Linkspartei und Grüne stehen gerne bereit. Dagegen hat die Union keinen verlässlichen Bündnispartner mehr. Die FDP ist dem politischen Tod näher als einer Wiederauferstehung. Doch anstatt sich die Option AfD offen zu halten, beteiligt sich die Merkel-Partei mit Wollust an der Dämonisierung der eurokritischen „Alternative für Deutschland“. Fraktionschef Volker Kauder schäkert bei Maybrit Illner lieber mit der Links-Außen Katja Kipping, als in Talkshows mit jener Kraft die Klingen zu kreuzen, die in drei Landtagswahlen und der Europawahl auf Anhieb auch deshalb große Erfolge eingefahren hat, weil die CDU ihre konservativen Wähler hat heimatlos werden lassen.

Gutgläubig reiht sich die Union damit ein in ein „breites Bündnis gegen die AfD“, zu dem die SPD aufruft. Selbst haben die Genossen freilich keine Skrupel, mit den tiefroten Linkspopulisten zu paktieren. Mehr noch: Je dreister die Lucke-Partei zur „Gefahr“ (Yasmin Fahimi) oder „Schande für Deutschland“ (Wolfgang Schäuble) stilisiert wird, desto mehr (Protest-)Wähler laufen ihr möglicherweise zu. Eine starke AfD nützt damit vor allem der SPD, weil diese sowohl CDU wie Linkspartei schwächt. So bleibt die SPD selbst dann Königsmacherin, wenn sie eine Wahl nach der anderen verliert.

Noch allerdings ist Bodo Ramelow nicht zum ersten linken Ministerpräsidenten gewählt. Noch besteht die Möglichkeit, dass sich Mitglieder der SPD und vielleicht sogar der Bündnis-Grünen an die Untaten der SED und die Mithaftung ihrer Nachfolger erinnern. Geschichtsbewusste Genossen und Bürgerrechtler, die nicht bereit sind, den Erben der Stasi-Partei ihre Stimme zu geben. Spätestens bei der geheimen Wahl im Thüringer Landtag genügen ein oder zwei Aufrechte, die sich dem roten Sündenfall verweigern.

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