- Wie Deutschlands Politiker den Medien behilflich sind
Unsere tschechische Gastredakteurin schreibt in ihrer Heimat über Deutschland. Und ist damit privilegiert. Denn während Politiker in anderen Länder unvorhergesehene Entscheidungen treffen, plant die PR-Abteilung der hiesigen Ministerbüros immer für die Journalisten mit
Journalisten wie ich, die über deutsche Politik berichten, sind privilegiert. Man könnte sogar glauben, dass Politiker für Tageszeitungen arbeiten. Nehmen wir das Beispiel von Karl-Theodor zu Guttenberg. Die Gerüchte über seinen Sturz in der Plagiatsaffäre waren damals so laut, dass man sie auch in Tschechien hören konnte.
Ein Kollege meiner Zeitung, der überregionalen MF DNES, fragte mich zum Feierabend besorgt: „Was, wenn er heute Abend zurücktritt?“ Diese Ängste tauchen in Tageszeitungen immer auf. Was, wenn die Rebellen den libyschen Diktator al-Gaddafi schon in der Nacht finden? Was, wenn die Regierung in der Slowakei schon heute fällt? Wer über internationale Politik schreibt, muss immer einen „Plan B“ haben, um die strengen Deadlines einzuhalten.
Außer, er schreibt über Deutschland. „Keine Sorge“, sagte ich. Guttenberg dankte erst am nächsten Tag um 11:15 Uhr ab.
Elf Monate später die gleiche Situation: „Was ist mit dem Wulff? Tritt er heute zurück?“ fragte man mich in der Redaktionskonferenz. „Wenn ja, werden wir es bis zum Mittagessen wissen.“
Christian Wulff setzte seine Pressekonferenz für 11 Uhr an.
Mit deutschen Politikern kann man gut planen. Ihre Reden sind schon nach ein paar Minuten online verfügbar. Alles, um den Journalisten ihre Arbeit zu erleichtern.
Die Gerichte arbeiten auch planbar: Urteile fallen meistens vormittags. Der Wirrwarr um die Platzvergabe beim NSU-Prozess zeigt nicht zuletzt, wie sehr deutsche Journalisten an diesen Komfort gewöhnt sind. Beim Prozess gegen Michail Chodorkowski in Moskau mussten die Printjournalisten stundenlang vorm Gerichtsgebäude ausharren und sich dann schonungslos drängeln, um einen Platz zu bekommen.
Selten passiert in dieser idealen deutschen Matrix ein Fehler. Zum Beispiel dann, wenn im Tagesplan des Gesundheitsminister eine Teddybärensprechstunde auftaucht.
Auf den ersten Blick scheint es ein tolle Geschichte zu sein: Hunderte Kleinkinder erzählen Unglaubliches über ihre Kuscheltiere: Lili, eine rosa Teddybärin, hat Grippe und ist auf Eis allergisch – sie leidet an Durchfall. Schnappi, das Krokodil, ist auf ein Auge gefallen. Len, den Leoparden, hat die Schwester des Herrchens in den Bauch gebissen. Maxeis, der etwas fangen wollte, ist hingefallen. Jetzt tun ihm die Beine weh.
Und dann kommen studentische Helden in Weiß, um die plüschigen Bären, Elefanten und Hunde zu retten. Dabei zeigen sie den Kindern, dass sie keine Angst mehr vor dem Onkel Doktor zu haben brauchen.
Einer der Ärzte war für eine Stunde Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr. Mit dem Namensschild „Dr. ted. Daniel“ untersuchte er den Hund Maxei. Er röntgte das Tier und gipste ihm die gebrochenen Beine ein. Mal ließ sich der Minister von einem Kind das Stethoskop auf die Brust legen. Mal legte er die Spritze so an den Hund an, dass die Fotografen einen schönen Winkel hatten.
Seit zwei Jahren macht Bahr das: perfekte Fotos mit Kindern und Kuscheltieren. Aber dieses Jahr ist ein Wahljahr. Obwohl die Idee der Teddybärenklinik so süß und lobenswert ist, dürfen Journalisten darüber nicht schreiben. Denn einen Politiker als Kinderhelden zu zeigen, wäre reine Wahlkampfpropaganda.
Von den fünf professionellen Fotografen vor Ort – darunter zwei aus den Pressestellen des Ministeriums und des Krankenhauses – hat es auch keiner gemacht. Kein einziges Medium erwähnte den Termin, nicht einmal in einem Dreispalter.
Eigentlich sollen solche Aktionen auf die Arbeit von Wohltätigkeitsorganisationen aufmerksam machen. Wenn aber gerade die Anwesenheit von Politikern das Desinteresse der Medien befördert, welchen Sinn hat das Ganze dann überhaupt? Wunderschöne Fotos für die Wahlkampagne zu machen, die nirgends gezeigt werden?
Es ist ein Fehler in der Matrix.
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