- Wahlkampf der symmetrischen Demobilisierung
Das Schlagwort dieses Wahlkampfes ist die symmetrische Demobilisierung: Die großen Parteien entpolitisieren die Wähler, ja sie schläfern sie ein. Im ersten Teil ihres Aufsatz analysieren Thomas Leif und Gerd Mielke die Substanz der Wahlkampfstrategien
Dieser Beitrag entstand im Rahmen der Fachkonferenz „Wahlkampf-Strategien 2013 – Das Hochamt der Demokratie” und kann in Originallänge unter www.talk-republik.de heruntergeladen werden. Dieser Abschnitt ist der erste eines dreiteiligen Aufsatzes:
Teil 1: Parteitaktiken: Wahlkampf der symmetrischen Demobilisierung
Teil 2: Wahlkampftrends: Der Gerechtigkeitsbegriff wird vergiftet
Teil 3: Wahlkampftrends: Das fiktionalste und unpolitischste Rennen aller Zeiten
In einer Reihe von Vorträgen und Foren entwickelten Wahl- und Parteienforscher sowie Vertreter der CDU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen, FDP, Die Linke und Piratenpartei ihre Analysen der Wählerlandschaft. Dabei standen im Wesentlichen zwei Fragen im Zentrum: Geben die erkennbaren Wahlkampfstrategien die Wählerlandschaft der Bundesrepublik und ihre Struktur angemessen wieder? Und werden in den präsentierten Wahlkampfstrategien der Parteien Ansätze erkennbar, die man als systematischen Versuch deuten kann, auf diese Eigenarten der deutschen Wählerlandschaft einzugehen?
1. Eine durchaus bemerkenswerte Position vertrat gleich zu Beginn Hans-Roland Fäßler, ein Mitglied der politischen Wahlkampfleitung der SPD. Er wies darauf hin, dass „Wahlkämpfe nicht in Proseminaren ersonnen“ werden. Das sollte natürlich im positiven Sinne die hohe Kunst der Wahlkampfführung der Parteien abheben von dem immer leicht technokratisch-handwerklich und bieder anmutenden Duktus wahl- und parteiensoziologischer Beiträge zum Wahlgeschehen. Lässt man allerdings die Überlegungen zu den Wählern, die von den Parteienvertretern vorgetragen wurden, Revue passieren, so kann man sagen: Leider hat man nicht aufmerksam genug in wahlsoziologischen Proseminaren zugehört. Man hätte dort von Problemen und Diskussionen Kenntnis erhalten, die auch bei diesem Wahlkampf eine große Rolle spielen, auf die man allerdings nicht sehr überzeugend eingegangen ist.
Entpolitisierte, quasi-präsidiale Kanzlerin
Auch bei dieser Wahl wird die Mobilisierung der eigenen Anhänger das zentrale Problem aller Parteien sein. Aber wie soll diese Mobilisierung denn erreicht werden? Beide großen Parteien haben erhebliche Schwierigkeiten, die leitmotivischen Themen und Figuren des Wahlkampfes in die Traditionsschneisen einzuordnen, die Themen und Kandidaten erst die richtige politische Wucht verleihen.
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Die CDU wird enorme Probleme haben, ihre Anhängerschaft lediglich mit einer weitgehend entpolitisierten, quasi präsidialen Kanzlerin zu mobilisieren, die als pragmatisch-vertrauenswürdige Lichtgestalt präsentiert werden wird. Auch der Ausstieg der Union unter Angela Merkel aus vielen klassischen Thementraditionen – zu erinnern ist hier nur an den Atomausstieg, den Ausstieg aus dem Wehrdienst bei der Bundeswehr, den Ausstieg aus dem klassischen Frauen- und Familienbild und die zahlreichen Annäherungen an sozialdemokratische Positionen wie etwa an die Mindestlohn-Forderung – bedeutet doch, dass man den Anhängern nur schwer vermitteln kann, es ginge noch ums „christdemokratische Ganze“. Die massiven Mobilisierungsprobleme der CDU bei allen Landtagswahlen seit 2010 trotz intensiven Einsatzes der Kanzlerin sind hier ein bedrohliches Menetekel.
Auch die SPD wird bei dem von ihr geplanten Mobilisierungswahlkampf auf erhebliche Schwierigkeiten stoßen. Auf der einen Seite möchten die Sozialdemokraten, anders als die Union, bewusst an die eigenen Parteitraditionen anschließen und die Frage der sozialen Gerechtigkeit in den Mittelpunkt des Wahlkampfes stellen. Auf der anderen Seite hat man mit dem Problem zu kämpfen, dass wichtige Figuren im Wahlkampf – etwa Frank-Walter Steinmeier, aber auch der Kanzlerkandidat Peer Steinbrück– immer noch eng mit der „Agenda-Politik“ assoziiert werden, die ja die sozialdemokratische Kernkompetenz in Sachen Gerechtigkeit seinerzeit ins Wanken brachte. Die „Agenda-Politik“ wurde zwar leicht modifiziert und dezent korrigiert. Aber der Kulturkampf um die angemessene Interpretation der Langzeitfolgen etwa mit der Zementierung eines Niedriglohnsektors oder mit den Fallstricken der Rentenpolitik ist nicht ausgestanden. Er ist nur vertagt.
Aus dem vergangenen Bundestagswahlkampf 2009 geistert noch die These von der erfolgreichen asymmetrischen Demobilisierung durch die CDU durch die publizistische Landschaft. Damit ist eine auf die SPD und ihre Anhänger gerichtete Einschläferungstaktik der CDU gemeint, die selbst weitgehend auf konfrontativen Elemente im Wahlkampf 2009 verzichtete und darauf setzte, dass auch die SPD als Partner in der Großen Koalition nicht wirklich glaubhaft die Union attackieren können würde. Wenn nicht alles täuscht, werden wir diesmal mit großer Wahrscheinlichkeit eine symmetrische Demobilisierung erleben, nämlich dadurch, dass keine der beiden großen Parteien ihre Anhänger in einen Zustand der politischen Erregung versetzen kann.
SPD und Linken gehen nur mit zehn statt mit elf Spielern auf den Rasen
2. Eng mit der Mobilisierungsfrage verbunden ist auch 2013 die so genannte Lager-Frage. Hier dreht sich der Konflikt um die Frage: Wie soll es zu einer Mehrheit kommen? Im Lichte der Umfragen aus den vergangenen Monaten ist das vor allem für die SPD eine unbequeme Frage. Die SPD ist mit ihrer Festlegung auf ein rot-grünes Bündnis einerseits und auf die nach wie vor strikte Ablehnung einer Zusammenarbeit mit der Linken andererseits in der misslichen Lage erklären zu sollen, was man in dem nach heutiger Sicht recht wahrscheinlichen Fall eines kumulierten rot-grünen Stimmenanteils unter 40 Prozent denn machen würde?
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Eine Große Koalition, die sich schon vor der Wahl abzeichnen würde, wäre sicherlich Gift für jede Mobilisierungsstrategie von Seiten der Sozialdemokraten und würde innerparteilich zu Verwerfungen führen. Umgekehrt tritt es auch bei diesem Wahlkampf – zwei Jahrzehnte nach der Vereinigung – wieder deutlich zu Tage, dass es den Sozialdemokraten als Partei noch immer nicht gelingt, ein großes, eher linkes Wählerlager zu einer tragfähigen Koalitionsmehrheit zusammenzuführen. Dabei sind auf der Ebene der Wähler die allermeisten Anhänger der Linken von den Anhängern der SPD wenn überhaupt, dann allenfalls in Nuancen zu unterscheiden.
Die auch von den Sozialdemokraten als Beweis für ihre Mehrheitsfähigkeit immer wieder zitierten gesellschaftlichen Mehrheiten für „gerechtere“ Programmpositionen auf den Feldern der Arbeitsmarkt-, Bildungs- oder Frauen- und Familienpolitik werden auf diese Weise seit vielen Jahren durch das strategische Versagen der Parteieliten bei Der Linken wie auch bei der SPD, Wege zu einem politischen Bündnis auf der Bundesebene zu finden, gleichsam vorsätzlich ausgehebelt. In machtstrategischer Sicht bedeutet das, auf einen Wählerblock zwischen sechs bis zehn Prozent auf nationaler Ebene einfach zu verzichten, ihn kategorisch nicht ins das Koalitionsspiel einzubauen. Um diesen, im deutschen Parteiensystem absurden Fall einmal deutlich zu illustrieren: Das kommt dem Entschluss eines Fußballtrainers gleich, seine Mannschaft statt mit elf, – einfach so – nur mit neun Spielern auf den Platz zu schicken. Abgesehen davon bedeutet dies, rund ein Viertel der Wähler in den neuen Ländern aus den bundespolitischen Kalkülen auszublenden.
3. Im Zusammenhang mit der allgegenwärtigen Mobilisierungsfrage wird immer wieder darauf hingewiesen, dass in diesem Wahlkampf den Parteimitgliedern eine entscheidende Rolle zufällt. So liegt dem Wahlkampfkonzept der SPD die Organisation von etwa fünf Millionen Hausbesuchen als strategisches Mobilisierungsinstrument zugrunde. Nach einer langen und zumeist vergeblichen Fokussierung auf einen Medienwahlkampf bedeutet dies eine essentielle strategische Neubesinnung der Sozialdemokraten. Das Konzept „Mobilisierung durch Mitglieder“ hat seine Bedeutsamkeit erst kürzlich wieder beim jüngsten Obama-Wahlkampf erwiesen.
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In der Tat ist der Mobilisierungs- und Bekehrungseffekt dann am größten, wenn Wähler ganz nach der klassischen These des großen Kommunikations- und Wahlsoziologen Paul F. Lazarsfeld direkt von Personen angesprochen werden, die sie eventuell aus der Nachbarschaft kennen oder zumindest als glaubwürdige „Pseudo-Nachbarn“ einschätzen. Hier lässt sich also die Abkehr von einer fragwürdigen Geringschätzung der Parteimitglieder als strategische Ressource beobachten. Die Wertschätzung des traditionellen „ground war“ von Haus zu Haus als Ergänzung des medialen „air war“ ist überfällig und richtig.
Nirgendwo schlüssigen Wahlkampfansätze erkennbar
Aber verfügen die großen Parteien, insbesondere die SPD, denn über die Mitglieder, die für eine derartige Kampagne erforderlich sind? Betrachtet man die Daten und Befunde aus Studien in den vergangenen Jahren, sind Zweifel angebracht. Gerade die notorische Mitgliederschwäche in den neuen Ländern, sieht man von der allerdings hier auch stark überalterten Linken ab, macht das Szenario einer Mitglieder- und Hausbesuch-Offensive nicht sehr realistisch. Zudem sind Hausbesuche und Direktkontakte nicht abzukoppeln von Politikangeboten, der gesellschaftlichen Stimmungslage und den konkreten Konflikt-Konstellationen zwischen Regierung und Opposition. Das heißt: Auch die politische Gesamtatmosphäre einer „teilnahmslosen Gesellschaft“ (Papst Franziskus) vor der Wahl beflügelt derzeit die Wirkung von politischen Hausbesuchen nicht.
Zusammenfassend kann man feststellen, dass bislang schlüssige strategische Ansätze in der Wahlkampfplanung vor allem bei den beiden großen Parteien nicht erkennbar sind. Das dürfte maßgeblich damit zusammenhängen, dass alle Parteien sich zwar ganz eindeutig politisch-ideologischen Lagern zuordnen lassen und auch mehrheitlich selbst zuordnen, dass aber diese offenkundige Tatsache nicht öffentlich und offensiv proklamiert werden soll: bei den bürgerlichen Parteien des Regierungslagers nicht, weil man dann den wahrscheinlichen Verlust der bürgerlichen Mehrheit kommentieren bzw. interpretieren müsste; bei den Parteien des eher linken Lagers nicht, weil man dann begründen müsste, weshalb man die dort gebotene Mehrheitschance nicht konsequent verfolgt. Die Union dürfte bei dieser Variante einer prinzipiellen Offenheit auch gegenüber möglichen Koalitionspartnern aus dem eher linken Lager als wahrscheinlich stärkste Kraft und damit als Kanzlerinnen-Partei weniger Schaden nehmen als die Sozialdemokraten, denen sowohl die schon bekannte undankbare Rolle als Junior-Partner der Union in einer Großen Koalition ebenso innerparteiliche Probleme bereiten wird wie eine ohne öffentliche Vorbereitung erfolgende Annäherung an die Linke.
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