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Parteiprogramme - Wie sich der Fiskus beim Bürger bedienen will

Ob vom Einkommen mehr für die Bürger oder mehr für den Staat herausspringt, wird vor allem über die Einkommensteuer entschieden. Rauf oder runter damit?

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Sirleschtov, Antje

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Das ist zweifellos eine der wichtigsten Fragen zur Bundestagswahl. Der Staat hat nicht genug Geld, um alle notwendigen Aufgaben erfüllen zu können, sagen SPD, Grüne und Linke. Ihre Aufforderung: Wer mehr hat, soll mehr bezahlen. Stimmt nicht, sagen Union und FDP. Der Staat ist finanziell ordentlich aufgestellt, wer die Belastung für die Menschen erhöht, wird am Ende weniger Geld in der Kasse haben als vorher. Die Union geht daher in den Wahlkampf mit dem Versprechen, die Steuern nicht zu erhöhen und sogar, die kalte Progression, die heimliche jährliche Steuererhöhung, abzumildern. Die FDP hat ihre ambitionierten Steuersenkungspläne der vergangenen Jahre zwar längst ad acta gelegt, will die Einkommensteuerzahler aber über die Absenkung des Solidaritätzuschlags entlasten.

Wer wird von Steuererhöhungen belastet oder entlastet?

Diese Frage kann mit wenigen Sätzen nicht beantwortet werden, weil SPD, Grüne und Linke, die die Einkommensteuer anheben wollen, gleichzeitig eine Reihe weiterer Reformen im Steuerbereich planen und deren Gesamtwirkung ausschlaggebend sein wird für die Belastung einzelner Steuerzahler. Ein Beispiel: Ein Ehepaar, bei dem ein Partner ein gutes Einkommen hat und der andere nur wenige Stunden arbeitet, um die Kinder versorgen zu können, die aber (zum Beispiel aus Erbschaften) Erträge aus Kapitalanlagen versteuern müssen, könnten zwar von den Steuererhöhungsplänen der Grünen (Anhebung ab 60.000 Euro/120.000 Euro bei Verheirateten) auf den ersten Blick nicht betroffen sein. Durch die von Rot-Grün geplanten Reformen beim Ehegattensplitting und der von den Grünen geplanten Abschaffung der Abgeltungssteuer könnten sie letztlich doch draufzahlen. Grundsätzlich gilt bei SPD, Linken und Grünen: Wer als Alleinstehender zwischen 40.000 Euro (Linke) und 64.000 Euro (SPD) im Jahr oder mehr versteuern muss, der wird höher belastet.

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Das Berliner Forschungsinstitut DIW hat unlängst errechnet, dass bei den Steuerplänen der SPD rund 7 Prozent aller deutschen Haushalte (etwa 3 Millionen) mehr Steuern zahlen müssen. Allerdings liegen diese drei Millionen Haushalte beinahe ausschließlich in den oberen drei Zehnteln, also bei den Top-Verdienern. Bei den Grünen, die den Steuergrundfreibetrag auf 8712 Euro anheben wollen, werden rund 6,3 Prozent der Haushalte verlieren, aber nur im Top-Verdienerbereich. Die wenig verdienenden Haushalte bis hinauf in klassische Besserverdienerhaushalte werden leicht gewinnen können. Union und FDP wollen die kalte Progression abmildern. Mit diesem Vorhaben sind sie bereits in dieser Amtszeit am Widerstand von SPD und Grünen im Bundesrat gescheitert. Die kalte Progression entsteht durch die progressive Wirkung des deutschen Steuertarifs. Knapp erklärt: Wer zu einem Euro Verdienst einen zweiten Euro Lohnerhöhung bekommt, der muss vom zweiten Euro mehr Steuern abführen als vom ersten. Das kann dazu führen, dass ein Steuerpflichtiger trotz höheren Bruttoeinkommens netto weniger verdient. Das abzuschaffen oder einzudämmen bedeutet praktisch, den gesamten Steuertarif einmalig oder auch jedes Jahr zu verschieben, was dazu führt, dass Besserverdiener relativ gesehen mehr Steuern sparen als nicht so viel Verdienende. Auch das ist ein mathematischer Effekt aus dem progressiven Verlauf des deutschen Steuertarifs.

 

Welche Wirkung hat der Soli-Zuschlag?

Diese Frage wird derzeit heftig diskutiert, weil die FDP den Solizuschlag abschaffen will. Damit steht sie jedoch allein. Den Zuschlag zahlen im Augenblick alle Einkommensteuerpflichtigen – praktisch wie eine Steuer. Er beträgt 5,5 Prozent der Einkommensteuer. Betrachtet man die Steuererhöhungspläne von SPD, Grünen und Linken, so müssen sehr gut Verdiende damit rechnen, dass ihre Steuerlast inklusive Solizuschlag auf mehr als 50 Prozent des Einkommens steigt. Das betrifft bei den Linken Alleinverdiener, die ein Jahreseinkommen von 65.000 Euro zu versteuern haben, weil die Linken ab diesem Einkommen den Spitzensteuersatz von 53 Prozent verlangen wollen, plus Soli macht das 58,5 Steuern. Bei der SPD wären Bezieher von zu versteuernden Einkommen ab 100.000 Euro betroffen. Ab dieser Grenze sollen bei einem Wahlsieg der SPD die Steuerpflichtigen ihr Einkommen mit 49 Prozent versteuern, plus Soli wären das 54,5 Prozent. Bei den Grünen läge diese Grenze bei einem zu versteuernden Einkommen von 80.000 Euro.

Was ändert sich bei einer rot-grünen Koalition – unter einem Kanzler Steinbrück?

SPD und Grüne wollen die Einkommensteuer anheben und den Tarif reformieren, um mit den Milliarden-Zusatzeinnahmen in Bildung, Infrastruktur und Schuldenabbau investieren zu können. Der Finanzfachmann Steinbrück allerdings weiß aus eigener Erfahrung, dass eine Anhebung der Steuern zwar viel politischen Ärger bringt – die Staatskasse aber meist nicht wie erwünscht klingelt. Und wenn vor allem Gutverdiener mehr zahlen sollen, wird dieser Effekt größer. Denn dieser sozialen Schicht gehören viele Freiberufler und Unternehmer an, die ihre Steuern besser „gestalten“ können als Kleinverdiener. Das DIW schätzt, dass die erwarteten Zusatzeinnahmen von Rot- Grün deshalb auf bis zu 50 Prozent zusammenschmelzen könnten. Steinbrück wird also den politischen Ärger auch in Grenzen halten wollen. So darf man erwarten, dass Steuererhöhungen wirklich nur „Reiche“ treffen werden, die Pläne der Grünen zur Abschaffung des Ehegattensplittings in den Koalitionsverhandlungen abgeschmettert werden und auch die Abgeltungssteuer für Kapitalerträge noch lange ein Pauschalbetrag sein wird.

Was ändert sich bei einer großen Koalition?

Die Tatsache, dass es in der Union viel Sympathie für eine Anhebung der Steuersätze bei sehr gut Verdienenden gibt und zur gleichen Zeit auch Sozialdemokraten nicht verstehen können, warum die SPD in den Wahlkampf zieht, ohne den Kleinverdienern Hoffnung auf Entlastung zu machen, spricht für eine mögliche steuerpolitische Gerechtigkeitsoffensive, wenn Union und SPD koalieren sollten. Denkbar ist die Anhebung des Spitzensteuersatzes und der Abbau der kalten Progression. Das Ergebnis wäre eine Belastung der Spitzenverdiener (aber abgemildert durch den Abbau der „heimlichen“ Steuererhöhung, der kalten Progression) und eine Entlastung im Bereich der so genannten Mittelschicht. Der Umbau des Ehegattensplittings könnte sogar zu einer größeren Reform der Familienbesteuerung führen, die dringend nötig, aber schwierig durchzusetzen ist. Eine große Koalition könnte die dazu notwendigen großen Mehrheiten besitzen.

Hinweis: In einer früheren Version hieß es irrtümlicherweise, der Solidaritätszuschlag betrage 5,5 Prozent des zu versteuernden Jahreseinkommens. Tatsächlich beträgt er 5,5 Prozent der Einkommensteuer. Wir bitten unsere Leserinnen und Leser, den Fehler zu entschuldigen.

 

 

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