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Webseite Kulturprojekte Berlin

Umstrittenes Gedenken - Facebook-Kampagne zum Mauerfall erzürnt Datenschützer

Berlin feiert in diesem Jahr 25 Jahre Mauerfall – das Ende von Diktatur und Überwachungsstaat. Fürs Marketing setzt die Stadt auf Facebook. Datenschützer sind außer sich

Autoreninfo

Petra Sorge ist freie Journalistin in Berlin. Von 2011 bis 2016 war sie Redakteurin bei Cicero. Sie studierte Politikwissenschaft und Journalistik in Leipzig und Toulouse.

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In einem journalistischen Text verbietet es sich eigentlich, einen Zusammenhang zwischen Facebook und der Stasi herzustellen. Aber zum Glück gibt es ja die Satire.

Martin Sonneborn hat für die „heute show“ einmal den früheren Oberstleutnant der Staatssicherheit Wolfgang Schmidt gefragt, ob Facebook für ihn eigentlich ein Geschenk gewesen wäre. Der zeigte sich begeistert: „Wenn alle Personen schon ihre Verbindungen, ihre Freunde, ihre Bekannten preisgeben, dann muss man das nicht erst mühsam ermitteln.“ Sonneborn hakte nach: Ob ihm noch irgendetwas fehle zur totalen Überwachung? „Was soll da noch fehlen?“, fragte der Stasi-Pensionär. „Es ist ja alles da.“

NSA spioniert über Facebook


Es ist ja alles da: Um das zu wissen, muss ein Geheimdienstanalytiker nicht erst Sonneborn gucken. Die NSA nutzt Facebook schon seit langem für ihre Cyber-Attacken.

[video:Martin Sonneborn, die Stasi und Facebook]

Den Geheimdiensten macht aber nicht nur Facebook, sondern auch das Land Berlin ein großartiges Geschenk. Die Nachricht ist ganz gewiss keine Satire: Zum 25. Jahrestag des Mauerfalls arbeitet die Stadt mit Facebook zusammen – und zieht prompt die massive Kritik von Datenschützern auf sich.

Die Bundeshauptstadt erwartet zu den Feierlichkeiten um den 9. November ein enormes weltweites Interesse. „Hunderttausende Besucher“ könnten es laut dem Geschäftsführer der landeseigenen Tourismusgesellschaft „Visit Berlin“, Burkhard Kieker, werden. Höhepunkt des Festakts ist eine Lichtinstallation: Auf 15 Kilometern sollen 8000 weiße Ballons den ehemaligen Grenzverlauf nachzeichnen. Für jeden Ballon übernimmt jeweils eine Person oder eine Organisation eine Patenschaft.

Ballonpaten und Zeitzeugen gesucht


„Facebook als größtes soziales Netzwerk, das Menschen miteinander verbindet, ist für uns ein sehr guter Partner“, sagt Moritz van Dülmen, Geschäftsführer Kulturprojekte Berlin. So sei es möglich, „weltweit so viele Menschen wie möglich einzuladen, ihre Botschaften zum Jubiläum 25 Jahre Mauerfall nach Berlin zu senden“.

Facebook ist dabei aber nicht nur Werbepartner. Das Unternehmen hat nach eigenen Angaben sogar die entsprechende Internetplattform „Fall of the wall 25“ „wesentlich“ entwickelt, wie der Konzern auf Cicero-Anfrage mitteilte. Außerdem gibt es seit kurzem eine Facebook-Seite zur sogenannten Lichtgrenze. Beide Seiten sollen demnach einer großen Anzahl an Menschen ermöglichen, sich als Ballonpate zu bewerben und ihre Geschichten zu erzählen.

Also noch einmal zum Verdauen: Berlin feiert das Ende einer Diktatur, die fortwährend an einem Werkzeug zur totalen Überwachung bastelte, und setzt dabei auf jene Firma, die nach Ansicht eines Ex-Stasi-Mannes dieses Werkzeug fertiggestellt hat? Genau so ist es.

Bei Facebook können sie ihr Glück kaum fassen. Man sei „besonders stolz darauf“, anlässlich des Mauerfall-Jubiläums in Berlin Partner des Projekts zu sein, sagte Eva-Maria Kirschsieper, Head of Public Policy bei Facebook. Damit könne man „Menschen aus aller Welt an den Feierlichkeiten dieses Jahr teilhaben“ lassen.

Jeder sechste Erdenbürger bei Facebook


Das klingt, als hätte man das zuvor nicht ermöglichen können. Dabei war schon zum 20. Jahrestag des Mauerfalls 2009 das weltweite Interesse überwältigend. Die Besucherzahlen habe man damals „massiv unterschätzt“, so Tourismus-Chef Kieker.

Für die diesjährigen Feierlichkeiten sucht die Hauptstadt über Facebook nach Zeitzeugen: Bürgerrechtler, die den SED-Unrechtsstaat niederrangen. Ausreisewillige, die jahrelang auf ihren Antrag warteten. Tollkühne, die sich heimlich über die Grenze stahlen. Sie alle einte ein Wunsch – den Überwachungsstaat zu überwinden.

Vor Facebook kommen sie heute nicht so einfach davon. Wenn auch nur ein Facebook-Mitglied der Plattform den Zugriff auf sämtliche Kontaktdaten erlaubt, auf E-Mail-Adressen, Telefonnummern oder WhatsApp, dann hat das Netzwerk auch die Daten der möglichen Nicht-Nutzer. Weltweit hat Facebook knapp 1,3 Milliarden Mitglieder. Das ist etwa jeder sechste Erdenbürger.

Der schleswig-holsteinische Datenschutzbeauftragte Thilo Weichert ist entsetzt über die Berliner Facebook-Allianz. „Es ist meines Erachtens nur schwer verständlich und zugleich aus Datenschutzsicht unerträglich, dass die Bundeshauptstadt auf diese Weise Menschen dazu treibt, Mitglied bei Facebook zu werden“, sagte er Cicero Online. Das soziale Netzwerk missachte das deutsche und das europäische Datenschutzrecht „und damit die Grundrechte von zig Millionen Internet-Nutzenden“.

„Aus Datenschutzsicht unerträglich“


Weichert hatte noch zu Monatsbeginn eine Niederlage in seinem Kampf gegen Facebook erlitten. Der Kieler Datenschutzbeauftragte wollte Unternehmen und öffentlichen Einrichtungen verbieten, Facebook-Fanseiten zu unterhalten. Das Oberverwaltungsgericht Schleswig-Holstein wies seine Klage ab. Für Datenschutzverletzungen von Facebook seien nicht die Fanseiten-Betreiber rechtlich verantwortlich.

Weichert hatte das Urteil als „Katastrophe“ für den Datenschutz bezeichnet. Der Betroffene wisse auch nach der Verhandlung nicht, ob er sich bei Rechtsverstößen an Facebook Inc. in den USA, Facebook Ltd. in Dublin/Irland oder Facebook Germany in Hamburg wenden solle.

Thilo Weichert sagte Cicero Online, das Kieler Datenschutzzentrum erwäge, in Revision zu gehen. Dann würden Facebook-Fanseiten ein Fall für das Bundesverwaltungsgericht Leipzig. „Wir warten noch auf das Berufungsurteil.“

In Berlin indes interessiert sich offenbar niemand für den Rechtsstreit. Die Marketingexperten sind begeistert, die Lokalpresse jubelt. Selbst die Robert-Havemann-Gesellschaft, die die DDR geschichtlich aufarbeitet, liefert Facebook bereitwillig sein Archivmaterial.

Im Beirat dieses Vereins sitzt Roland Jahn: Er ist der Chef der Stasi-Unterlagenbehörde.

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