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NSA - Ein Moloch in der Sicherheitsnation

Nun ist also auch Frankreich in den Fokus der NSA-Ausspähaktionen gerückt. Wirklich erstaunlich ist das nicht. Denn die Geheimagenturen sind längst dem totalen Wahn verfallen, empört sich Frank A. Meyer

Autoreninfo

Frank A. Meyer ist Journalist und Kolumnist des Magazins Cicero. Er arbeitet seit vielen Jahren für den Ringier-Verlag und lebt in Berlin.

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Darf man, soll man einem verehrten lieben Freund öffentlich widersprechen? Wenn er sich selber öffentlich äußert, muss man es sogar. Und selbstverständlich öffentlich. So gebietet es geradezu die Freundespflicht.

Otto Schily hat dem Spiegel Anfang August ein Interview zur Snowden-NSA-Affäre gegeben. Anlässlich dieses Gesprächs beurteilte der Innenminister von Gerhard Schröders rot-grüner Regierung die Kritik an der allumfassenden Internet-Überwachung durch die amerikanische National Security Agency mit folgenden Worten: „Die Furcht vor dem Staat trägt teilweise wahnhafte Züge.“

Lieber Otto Schily, ist es denn wirklich „Furcht vor dem Staat“, die der Kritik an der Spionage der USA gegen Bürger in aller Welt zugrunde liegt? Nein, das Gegenteil ist der Fall. Herausragendes Motiv der meisten Kritiker ist die Sorge um den Staat, genauer: um den demokratischen Rechtsstaat.

Die amerikanische Gesellschaft ebenso wie die britische und französische sehen ihren Staat unterwandert durch einen Staat im Staat, der sich als Sicherheitsapparat tarnt, in Wahrheit aber eine allmächtige Behörde ist.

Diese Geheimstruktur erfasst und verarbeitet – jeder wirksamen Kontrolle durch Demokratie und Rechtsstaat enthoben – Abermillionen Daten von Bürgern und fügt sie bei Bedarf zu Persönlichkeitsprofilen zusammen. Anhand algorithmischer Formeln versucht das klandestine Behördengeflecht aus den Daten verdächtiges, künftig kriminelles Verhalten herauszufiltern und zu verhindern – alles unter dem Vorwand, optimale Sicherheit für ebenjene Bürger zu garantieren: ein Thriller wie der Science-Fiction-Film „Minority Report“ im Weltmaßstab.

Seit dem 11. September 2001 haben sich die USA gewandelt: Von der Freiheitsnation zum Sicherheitsstaat

 

Das hochtechnologisch erschnüffelte Geheimwissen ist dem Verfassungsstaat nahezu komplett entzogen. Es wird sanktioniert durch geheime Richter, die geheime Verfahren führen und geheime Urteile fällen. Das Ergebnis ist Herrschaftswissen, Wissen, das der Staat im Staat zum eigenen Überleben benötigt.

Ist dies noch das amerikanische Regierungssystem der Checks and Balances, ist dies noch der Staat, den wir für seine Erklärung der Menschenrechte bewundern, den Generationen unterdrückter und drangsalierter Europäer herbeigewünscht haben, um auch in der Alten Welt die Freiheit über die Diktatur triumphieren zu lassen?

Nein, Otto Schily: Nicht die Kritik an der digitalen Geheimdienst-Maschinerie trägt „wahnhafte Züge“. Dem Wahn verfallen sind die Geheimagenturen, scheinbar legitimiert vom Schrecken des Attentats auf das World Trade Center am 11. September 2001. Seit diesem Tag haben sich die USA gewandelt: Sie sind von der Freiheitsnation zur Sicherheitsnation geworden – von der Verheißung zum Moloch.

Die Sicherheit des Staates begründet den Sicherheitsstaat – in der DDR die Stasi. In Washington stützt sich die Mammut-Behörde auf den pathetisch geschichtstümelnden Begriff „Homeland Security“ – Heimatschutz.

Otto Schily sagte auch: „Man soll keinen falschen Gegensatz zwischen Freiheit und Sicherheit konstruieren.“ Ja, was wäre dann der richtige Gegensatz? Im vorliegenden Fall muss er gar nicht erst konstruiert werden. Bundespräsident Joachim Gauck hat ihn bereits benannt: „Die Angst, unsere Telefonate oder Mails würden von ausländischen Nachrichtendiensten erfasst und gespeichert, schränkt das Freiheitsgefühl ein.“

Freiheitsgefühl ist nicht nur ein Gefühl. Es ist die Voraussetzung für gelebte Freiheit!

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Angst hingegen ist das Gegenteil von Freiheit. Angst haben die USA. Angst haben alle Bürger, die ihre elektronische Kommunikation durch die Angstverwalter der amerikanischen und britischen und anderer Geheimdienste erfasst sehen.

Angst essen Seele auf. Die amerikanische. Und unsere. Die Seele der freien Welt.

Noch eine Formulierung Otto Schilys gehört unter die Lupe genommen: „Law and Order sind sozialdemokratische Werte.“

Doch auf Recht und Ordnung bestanden die Genossen in ihrer 150-jährigen Geschichte nicht nur aufseiten des Staates, sondern stets auch gegenüber dem Staat, der sie, gerade in Deutschland, allzu lange und mit allen Mitteln bekämpfte, sie bis in die jüngste Vergangenheit als „vaterlandslose Gesellen“ verdächtigte, überwachte und kujonierte.

Recht und Ordnung, das ist die Grundformel des demokratischen Rechtsstaats, um den sich die Sozialdemokratie unter schweren Opfern immer wieder verdient gemacht hat.

Otto Schily selbst erlebte als RAF-Anwalt den übergriffigen Staat, der in der bleiernen Zeit der Terroristenprozesse auch ihn als Verteidiger der Komplizenschaft mit Terroristen verdächtigte und überwachte. Heute würden die Geheimdienste der USA und Großbritanniens Schilys Anwaltspost ausspionieren und dem Verbündeten Deutschland zur Verfügung stellen. Sie würden die Post – zur Sicherheit – wohl bereits mitlesen und mithören, während er sie noch formuliert.

Ja, lieber Otto Schily: So steht es um die demokratische Welt. Und jeden Tag steht es um unsere Bürgerfreiheit ein wenig schlimmer. Dies lehrt uns Enthüllung um Enthüllung.

Stasi, das war nicht nur die DDR

 

Nichts ist mehr, wie es war, als Du Dich gegen den deutschen Überwachungsstaat der RAF-Jahre zur Wehr setztest. Nichts ist mehr, wie es war, als Du im Amt des Innenministers über den Rechtsstaat wachtest!

Deine sieben Jahre als Minister mögen Dich zu dem Satz inspiriert haben: „Ich empfehle ein gewisses Vertrauen in den Staat und seine Sicherheitsbehörden.“ Gerade Sicherheitsbehörden aber verdienen Misstrauen, nicht Vertrauen. Sie erfordern Kontrolle. Unerbittliche Nachprüfung jedes einzelnen Schrittes. Gerade in der Demokratie. Gerade durch die Demokratie.

Denn es gehört zum Wesen der freiheitlichen Ordnung, dass sie ihre behördlichen Mächte an die Kandare nimmt, sie einhegt und begrenzt – sie transparent, durchschaubar macht, wenn nicht für die breite Öffentlichkeit, so doch für unbestechliche Gremien der demokratisch legitimierten Politik.

Stasi, das war beileibe nicht nur die DDR. Bei uns in der Schweiz fichierte die Bundespolizei bis Ende des Kalten Krieges in den frühen neunziger Jahren 700 000 Bürgerinnen und Bürger – das heißt, sie verfasste Dossiers von einem Zehntel ihrer damals sieben Millionen Einwohner.

System und Mentalität jener ominösen Bundesbehörde ähnelten damals auf verbüffende Weise den Machenschaften des DDR-Stasi-Ministers Erich Mielke: Telefonüberwachen, Brieföffnen, Aushorchen von Privaträumen mittels Richtmikrofonen, Beschattung, Denunziation, Einsatz von V-Leuten, Empfehlung an Arbeitgeber, Verdächtigte zu entlassen.

Überwachung total – in der Schweiz, diesem Berg-Urgestein der Demokratie? Ja, auch die Schweiz unterhielt einen Staat im Staat, getarnt als Staatsschutz.

Ein Satz aus Deinem Spiegel-Interview, lieber Otto Schily, eignet sich dazu trefflich als Kommentar: „In einem demokratischen Rechtsstaat spionieren Geheimdienste keine Bürger aus, sondern dienen der Gefahrenabwehr.“

Die Eidgenossen räumten ihren Augiasstall schließlich aus. Wie aber steht es mit dem deutschen Schweinekoben aus Zeiten der Ost-West-Konfrontation?

Allzu bekannt, allzu gewohnt wirkt die Überwachungsmentalität, die dank des Ex-Agenten Edward Snowden ans Licht kommt. Die Geheimen der Ära John Le Carrés spielten zwar im Vergleich zu den NSA-Methoden noch im Sandkasten. Auch die Agentenwerkzeuge aus den Zeiten James Bonds wirken nachgerade putzig, wenn man sie mit der Cyber-Spionage des Programms „Prism“ vergleicht.

Überwachungsmacht bedeutet heute Allmacht: Keine E-Mail, kein Twitter-Tweet, kein „I like“ auf Facebook, keine Buchbestellung bei Amazon bleibt unerfasst – und alles wird automatisch auf verdächtige Stichworte oder Verhaltensweisen gecheckt. Der Regisseur Andres Veiel, mit Recherchen über die NSA befasst, schildert die schöne neue Geheimdienstwelt: „Die Möglichkeit, das Denken eines Menschen nachrichtendienstlich zu erfassen, seine Intuition berechenbar zu machen, die gab es bisher nicht.“

Jetzt gibt es sie. Und diese Fähigkeit haben nicht nur Geheimdienste. Auch die Computer-Nerds der Silicon-Valley-Industrie arbeiten ihnen eilfertig zu. Internet-Giganten wie Google, Microsoft oder Facebook, mit deren bedienerfreundlichen Programmen wir international kommunizieren, unterstehen keiner demokratischen Aufsicht.

Sie inszenieren sich zwar gern als Anarchos des Internet-Zeitalters – Kapuzenpullover statt Krawatte, Turn- statt Lederschuhen, Fahrrad statt Sportwagen –, in Wirklichkeit aber sind sie spießige US-Puritaner, die weder ruhen noch rasten, bis sie alle Bewegungen dieser Welt unter Kontrolle haben – gern auch als Helfer totalitär gestimmter Geheimdienstler.

Es ist eine Internet-Theokratie, die da heraufdämmert, ausgestattet mit allen Mitteln und der Macht, den demokratischen Rechtsstaat geräuschlos zur Implosion zu bringen. Der Ökonom Max Höfer fand den treffenden historischen Vergleich: „In den Niederlanden bauten die Calvinisten seit dem 18. Jahrhundert das Wohnzimmer zur Straßenseite und verboten Gardinen vor den Fenstern, denn der rechtschaffene Protestant hat nichts zu verbergen.“

Eric Schmidt, Executive Chairman von Google, formuliert das Dogma seiner Religion so: „Wenn es etwas gibt, von dem Sie nicht wollen, dass es irgendjemand erfährt, sollten sie es vielleicht gar nicht erst tun.“ Man muss, nach den neuesten Erkenntnissen, hinzufügen: Sie sollten es am besten gar nicht erst denken!

Wie hätte Stasi-General Mielke das Schmidt-Diktum zu seiner Zeit formuliert? Wohl so: „Brave Parteisoldaten haben von mir nichts zu befürchten.“

Doch, lieber Otto Schily, man darf, man muss die Vulgarität von Eric Schmidt und Seinesgleichen zur Vulgarität der Stasi in Bezug setzen, damit klar wird: Sie sind die Putschisten unserer Tage.

 

 

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