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Meinungsdiktatur, Putin und Pegida - Religiöse Rechte und ihre unheiligen Allianzen

Kirchlich-konservative Kreise suchen die Nähe der politischen Rechten, bisweilen sogar Russlands – und diskreditieren damit das christliche Ethos der Freiheit

Autoreninfo

Dr. phil. Andreas Püttmann (51) ist Politikwissenschaftler und freier Publizist. Zuvor war er Referent für Begabtenförderung bei der Konrad-Adenauer-Stiftung und Redakteur beim "Rheinischen Merkur". Veröffentlichungen u.a.: "Ziviler Ungehorsam und christliche Bürgerloyalität" (1994), "Gesellschaft ohne Gott" (2010), "Führt Säkularisierung zu Moralverfall?" (2013).

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Die Gruppe der „praktizierenden“ Christen gilt empirischen Religionsforschern als „soziologisch und politologisch höchst bedeutsam“ (Stefan Huber). Kirchennahe Bürger weisen eine überdurchschnittliche Wahlbeteiligung und Bereitschaft zu sozialem und parteipolitischem Engagement auf, haben seltener Vorbehalte, mit Menschen anderer Religion, Hautfarbe oder Herkunft in Nachbarschaft zu leben und neigen weniger zu politischem Extremismus; an ihnen scheiterte der Einzug der NPD in die Landtage von Sachsen und Sachsen-Anhalt. Unter den Anhängern der rechtspopulistischen AfD sind Kirchenmitglieder unterrepräsentiert. Laut Bertelsmann-Religionsmonitor 2013 findet die Demokratie bei religiösen Bürgern mehr Zuspruch als „gute Regierungsform“ als unter  Nichtreligiösen.

Indes zeichnet sich unter betont rechtgläubigen Christen seit einigen Jahren eine ideologische Verhärtung ab, die in zweifelhafte Allianzen sowie in einen Habitus führt, der das christliche Zeugnis verdunkelt. Frust über die eigene gesellschaftliche und innerkirchliche Marginalisierung, überzogene Selbstviktimisierung wegen laizistischer Ressentiments und ungerechter Medienberichte, Selbstreferentialität in den Meinungsblasen sektiererischer Internet-Parallelwelten und Freund-Feind-Denken haben das Milieu der „letzten Aufrechten“ nicht wählerischer werden lassen in den Mitteln der Auseinandersetzung und in der Bündnispolitik.

Geistlose Gesinnungsmilitanz, demagogische Vereinfachung sowie die charakterliche Herabsetzung von „Abweichlern“ stoßen differenziertere Gläubige ab und führen zu einem „Siebungseffekt“, der gröbere Kräfte zunehmend tonangebend macht. Dem Passauer Bischof Stefan Oster, zunächst ein Hoffnungsträger der konservativ-katholischen Szene, platzte jüngst der Römerkragen: Via Facebook beanstandete er beim konservativen Internetportal „kath.net“ eine „zunehmend tendenziöse Berichterstattung“, vorangetriebene „Polarisierung“, „persönliche Diffamierung Anderer“, denen „allzu schnell unlautere Motive“ unterstellt würden, sowie eine „Komplexitätsreduktion“ nur „in schwarz und weiß oder gut und böse“.

„Homosexualisierung“ westlicher Gesellschaften
 

Angesichts der Krankschrumpfungssymptome des Milieus überraschen unheilige Allianzen mit Verfechtern eines autoritären Gesellschaftsmodells nicht. Ein ideologischer Familismus ist im Kampf gegen den „Genderwahn“ zur Brücke zwischen religiösen, rechtspopulistischen und russischen „Werteverteidigern“ avanciert. Als Hauptprobleme heutiger Familien gelten ihm nicht Ehestabilität, Vereinbarkeit von Familie und Erwerbsarbeit oder hohe berufliche Mobilität, als größtes sexualmoralisches Skandalon nicht Deutschlands Ruf als „Bordell Europas“. Sein Leib- und Magenthema ist die angebliche „Homosexualisierung“ westlicher Gesellschaften.

Das Putin-Regime hat daraus einen Lockstoff für die religiöse Rechte gemacht. Nicht nur führende Repräsentanten der traditionell staatsnahen russisch-orthodoxen Kirche stimmen hierbei in die antiwestliche Hasspropaganda russischer Staatsmedien ein; auch Evangelikale machen sich die kulturkämpferische Mission ihres Regimes zu eigen: In der ZEIT-Beilage „Christ und Welt“ 9/2015 fragte sich der russlanddeutsche Pastor und Dozent Hermann Hartfeld, warum Baptisten, die den Wehrdienst einst ablehnten, sich für den Krieg in der Ukraine auf der russischen Seite rekrutieren lassen. „Wir haben einen gemeinsamen Feind“, antwortete ihm bei einem Besuch im Donbass ein ehemaliger Student: „den schwulen Westen.“ Er ziehe nicht bloß gegen die ukrainische Armee zu Felde, sondern auch für Gott und gegen das dekadente „Gayropa“.

Am 10./11. September fand in Moskau ein Kongress mit etwa 1000 Teilnehmern aus 45 Ländern statt. Thema: „Große Familien und die Zukunft der Menschheit.“ Einladende und mutmaßliche Sponsoren: die auf westlichen Sanktionslisten stehenden Oligarchen Wladimir Yakunin, Chef der russischen Eisenbahn und Putin-Vertrauter, sowie Konstantin Malofeev, Vorsitzender der Stiftung „Sankt Basilius der Große“ und Unterstützer der prorussischen Separatisten in der Ostukraine. Mit dabei auch Spitzenvertreter russischer Religionsgemeinschaften wie Patriarch Kyrill sowie westliche Rechtsextremisten und Rechtspopulisten, etwa vom „Front National“ und der FPÖ. In einem Grußwort beklagte Präsident Putin eine „Erosion moralischer Werte“ – und ein orthodoxer Redner zum Thema „Familienanthropologie“, dass der „Bürgerkrieg“ in der Ukraine ausgebrochen sei, „weil die neuen Machthaber in Kiew die ‚religiösen Werte‘ des Landes verraten und eine Gay-Pride-Parade erlaubt hätten. Applaus“ (FAZ, 13.9.15).

Was schert mich Demokratie, wenn die Demographie stimmt?
 

Aus Deutschland sprach die katholische, auch bei Evangelikalen hoch geschätzte Publizistin Gabriele Kuby, Kuratoriumsmitglied des „Forums Deutscher Katholiken“. Vom Kreml aus ließ sie die mittel- und osteuropäischen Nationen wissen, sie hätten wohl „begonnen zu erkennen, dass die Mitgliedschaft in der Europäischen Union ihre Kosten hat: (...) die erzwungene Zerstörung ihres eigenen Wertesystems“. Sie brachte ihre Rede auf „lifesitenews.com“ und den Kongressbericht, „Die demographische Katastrophe abwenden“, in den beiden Leitmedien des konservativen deutschsprachigen Katholizismus unter: in der „Tagespost“ (20.9.) und bei „kath.net“ (24.9.). Erstere hatte schon am 2.12.2013 unter dem Titel „Wladimir und die Kinder“ festgestellt, dass Putin „mit großer Standfestigkeit sein Land gegen die global schier unaufhaltsame Gender-Ideologie zu beschützen weiß und Demonstrationen Homosexueller, welche eine Manipulation der Menschenrechte in ihrem Sinne zu erreichen versuchen, unterbindet – auch auf dem Gebiet des Lebensschutzes nimmt Putin eine Haltung ein, die man sich von vielen westlichen Politikern wünschen würde.“ Von „wachsender Übereinstimmung des Heiligen Stuhls mit Russland“ unter dem „praktizierenden Christen“ Putin sprach 2013 ein deutscher Monsignore im Vatikan vor Journalisten.

Dass es unangemessen ist, angebliche sektorale Leistungen eines diktatorischen Regimes zu würdigen, das ethische Grundnormen ansonsten mit Füßen tritt, sollte die Deutschen das längst verpönte Lob von Hitlers Autobahnbau gelehrt haben. Doch manche Recht(s)gläubige scheinen einer Logik zu folgen, die „Christ und Welt“-Chefin Christiane Florin so zuspitzte: „Was schert mich Demokratie, wenn die Demographie stimmt?“. Den Vorrang politischer Inhalte vor dem Verfassungssystem betont auch eine „Grundsatzerklärung“ des AfD-nahen „Pforzheimer Kreises“ rechtskonservativer Christen: „Das Regelwerk der demokratischen Grundordnung ist also lediglich ‚technischer’ Art“; der in Wahlen zum Ausdruck gekommene Mehrheitswille schlage sich in Gesetzen nieder; damit sei „nichts über die sittliche Qualität demokratischer Entscheidungen gesagt. Insofern ist in der Demokratie weniger das technische Regelwerk entscheidend“. Wo aber die ethische Qualität des Regelsystems selbst übersehen wird, kann dieses leicht wegen „falscher“ Ergebnisse delegitimiert werden.

Mit der Behauptung einer „Meinungsdiktatur“ in Deutschland, die sich auch das katholische Hilfswerk „Kirche in Not“ in einem Veranstaltungstitel zu Eigen machte, wird zudem eine Verähnlichung von Demokratie und Diktatur betrieben. In der Debatte über Pegida gingen Recht(s)gläubige auf Kirchenvertreter los, die zur Unterscheidung der Geister aufriefen. Groß war der Zorn über die Kölner Domverdunkelung und Kardinal Woelkis sowie Erzbischof  Schicks Kritik an den selbsternannten Abendland-Verteidigern gegen die „Islamisierung“. „Familienschutz“-Aktivistin Hedwig von Beverfoerde tadelte die bischöfliche Pegida-Kritik als „Anbiederung an der falschen Stelle“.  

Matthias Matussek schrieb jenen, die beim „rituellen Treten“ gegen die Pegida-Demonstranten mitmachten, „die Gesinnung von HJ-Pöbeln“ zu. Alexander Kissler bezweifelte „die demokratische Reife“ eines Politikers wie Wolfgang Bosbach statt die von Parteienverächtern, die sich in anmaßender Anknüpfung an die „Montagsdemonstrationen“ der DDR-Spätzeit mit „dem Volk“ verwechseln. Pfarrer Markus Holmer äußerte im evangelischen „Idea spektrum“, dass es nicht gut um die Demokratie stehe, „wenn einem aufbegehrenden Volk verwehrt wird, christliche Symbole zu erheben und Weihnachtslieder zu singen, wenn ihm verübelt wird, den Ruf von 1989 zu wiederholen: Wir sind das Volk.“ Bei „Dugida“ agitierte Priester Paul Spätling klerikal gewandet mit.

In der neurechten und russisch-orthodoxen Kritik der liberalen Demokratie leben Muster der „konservativen Revolution“ der Zwischenkriegszeit auf, die ihr Exponent Edgar Jung 1932 definierte als „Wiedereinsetzung aller jener elementaren Gesetze und Werte, ohne welche der Mensch den Zusammenhang mit der Natur und mit Gott verliert und keine wahre Ordnung aufbauen kann“. Die heterogene, antiliberale Bewegung forderte eine radikale Erneuerung der Gesellschaft im Sinne eines „natürlichen Idealzustandes“, in dem das Individuum sich einer organischen Gemeinschaft einfüge und Zucht und Ordnung herrsche. Man ekelte sich vor der westlichen „Zivilisation“ als Widerpart deutscher „Kultur“, pflegte antiamerikanisches und antijüdisches Ressentiment und habituell ein elitäres Selbstbewusstsein, Lamento und Empörung. Das publizistische Erbe dieses für die Weimarer Republik verderblichen Gebräus vertritt zumindest in Teilen die Wochenzeitung Junge Freiheit, die schon mit dem Slogan „Jedes Abo eine konservative Revolution“ warb – und auf kath.net mit der Empfehlung prominenter Katholiken, die ihr auch als Autoren dienen, etwa des Trierer Sozialethikers Pater Wolfgang Ockenfels.

Nicht einmal die AfD will sie haben
 

Claus Leggewie identifiziert die religiöse Rechte als das heute „stärkste und mobilste Bataillon der konservativen Revolution“. Für manche katholische Publizisten ist selbst die rechts der Jungen Freiheit stehende Sezession (Zeitschrift und Blog) nicht tabu. Ihr Verleger Götz Kubitschek, Pegida-Hauptredner gegen die „Maulwerker“ der Politik, sieht sich im „geistigen Bürgerkrieg ... um die Existenz unserer Nation“. Sezessions-Redakteurin Ellen Kositza sprach im ZDF (17.2.15) von den vielen Ausländern, vor denen sie „aus Offenbach geflohen“ sei. Dabei trug sie eine Fahne „des geheimen Deutschlands“ mit dem Philippuskreuz in Schwarz-Gold-Rot, frech an einen Flaggenentwurf des Widerstandes gegen das NS-Regime anknüpfend. Die AfD-Führung lehnte den Parteibeitritt der beiden Rechten ab. Der katholische Deutschlandfunk-Redakteur und Autor Jürgen Liminski hingegen pries Kositza 2008 in einer Laudatio als „Stimme der Vernunft“. „Gender Gaga“-Kritikerin Birgit Kelle gab der 57. „Sezession“ ein ausführliches Interview. Darin kritisierte sie jene in Politik und Medien dominierenden Frauen, „die entweder selbst kinderlos sind, oder das Lebensmodell Kinder ja, aber Karriere geht weiter mit Hilfe von Fremdbetreuung, favorisieren. Also der Typus von der Leyen & Co“. Der Familienstand als Argument – typisch für die übergriffige, deterministische Logik der Szene.

Offen reaktionär tritt die ultrakatholische Gesellschaft für Tradition, Familie und Privateigentum (TFP) auf. Sie beklagt auf ihren Internetseiten „die Diktatur der Toleranz“, durch welche die Mehrheit (oder sogar eine Minderheit, die sich als ‚aufgeklärt’ sieht) dem Volk widernatürliche Abartigkeiten diktatorisch auferlegen kann“, sowie eine „Diktatur der Gleichheit“, der sie die gesellschaftliche Rückkehr zur „katholischen Hierarchie“ entgegensetzt: „Die Ungleichheit zu hassen bedeutet, Gott zu hassen“. Dagegen setzt die TFP „die christliche Gesellschaft von verhältnismäßig ungleichen Ständen“, die „ihr eigenes Wohl und das Gemeinwohl durch harmonische Zusammenarbeit verwirklichen“.

Zunehmender Einfluss der religiösen Rechten
 

Quantifizieren lässt sich die Anhängerschaft antiliberaler Gesellschaftsmodelle in der religiösen Rechten schwer. Unübersehbar ist ihre weit überdurchschnittliche Motivation zum Engagement mit Zeit, Geld, Medienaktivitäten, sozialer Vernetzung und individueller Exponierbereitschaft. Daher könnte ihr Gewicht in schrumpfenden Kirchen zunehmen. Schon jetzt versteht sie es, in kurzer Zeit ein Maximum an Gesinnungsgenossen für „Shitstorms“ gegen Politiker, Journalisten oder liberale Bischöfe zu mobilisieren – und damit zahlreicher zu erscheinen als man ist. Wer Differenzierungen und Mäßigung anmahnt und das christliche Ethos der Freiheit verteidigt, findet in seinem Postfach alsbald Zurechtweisungen wie diese: „Es zeugt doch von begrüßenswert vorbildlicher Ordnung, wenn Putin solche verbiesterten Weiber (Pussy Riot) einsperren lässt und Homo-Lobbyisten in seinem Land nicht in gleicher Weise wie im Westen Propaganda machen lässt und entsprechende Gesetze veranlasst“.

Demokratisches Rechtsstaatsdenken ist im frommen Milieu noch nicht überall verinnerlicht. „Keine Freiheit für den Irrtum!“ scheint hier weiterhin die Devise. Nicht nur der Staat, auch die Kirchen stehen vor einer notwendigen Anstrengung zur politisch-ethischen Bildung.

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