- Der Denunziationsparagraf
Die Medienkolumne: Die Bundesregierung will mit einem Gesetzentwurf WLAN-Hotspots fördern, erreicht damit aber das genaue Gegenteil: eine Rechtsunsicherheit, die den Industriestandort Deutschland bedroht. Beim Einsatz für freie Netze erscheint ausgerechnet die CSU am progressivsten
Anfang September kam der Suchtrupp in die Flüchtlingsunterkunft Wanne-Süd in Herne, Nordrhein-Westfalen. Sie durchkämmten jeden Winkel der umfunktionierten Sporthalle nach kleinen, blinkenden Kästchen: WLAN-Routern, die den rund 100 Asylbewerbern nun einen kostenlosen Zugang zum Internet ermöglichen.
Die Suchenden mussten wieder abziehen; sie fanden keines der Geräte.
So soll es sich nach Informationen des Netzaktivisten Andreas Prennig, der auch für die Piraten im Stadtrat sitzt, abgespielt haben. Der Pressesprecher von Herne bestätigte das nicht.
Prenning hatte die Router mit weiteren „Freifunk“-Aktivisten an einem geheimen Ort montiert. Er erzählt das nicht ohne Schadenfreude in der Stimme: „Die wissen hinten und vorne nicht, wie wir das gemacht haben.“
Störerhaftung verhindert WLAN-Ausbau
Die Stadt blockierte Prennigs WLAN-Initiative im Flüchtlingsheim, weil sie unter anderem fürchtete, für illegale Nutzungen in Haftung genommen zu werden. Obwohl in diesem Fall der Freifunk-Verein rechtlich zuständig gewesen wäre, nannte der Sprecher auf Cicero-Anfrage die „Störerhaftung“ als Grund.
Dieses Prinzip besagt, dass Anbietern von freien WLAN-Zugängen Abmahnungen und Unterlassungsklagen drohen, wenn etwa Hacker oder Straftäter – also „Störer“ – in ihren Netzen unterwegs sind.
Die Störerhaftung führt dazu, dass viele Hotels, Cafés, aber auch Privatleute bislang oft ganz auf eigene Drahtlosnetzwerke verzichten. Nicht nur für Flüchtlinge, auch für deutsche Bürger und für die Industrie ist das fatal: Deutschland liegt mit etwa 1,9 freien Hotspots auf 10.000 Einwohner im internationalen Vergleich weit abgeschlagen. Zum Vergleich: in Südkorea sind es 37, in Großbritannien 29, in Schweden 10 WLAN-Zugangspunkte. Das hat auch mit der Rechtslage zu tun, die laut Freifunk-Verein weltweit singulär ist.
Internetbranche werde „torpediert“
Das Bundeskabinett hat am Mittwoch einen Gesetzentwurf verabschiedet, mit dem dieses Problem eigentlich beseitigt werden sollte. „Mehr WLAN-Hotspots im öffentlichen Raum“, heißt es auf der Webseite der Bundesregierung.
Doch Kritiker sagen, der Beschluss mache alles nur noch schlimmer. Der Verband der deutschen Internetwirtschaft erklärte, mit dem neuen Gesetzentwurf werde die Branche „torpediert und in ihrem Wachstum gehemmt“: „Junge Unternehmer werden abgeschreckt, bereits erfolgreiche Dienste könnten ins europäische Ausland abwandern.“ Auch der Bundesverband IT-Mittelstand e.V. zeigte sich „enttäuscht“.
Laut dem „Gesetzentwurf zur Änderung des Telemediengesetzes“ sind Anbieter von Drahtlosnetzwerken von der Haftung ausgeschlossen, wenn sie bestimmte Sorgfaltspflichten erfüllt haben. Das seien etwa Verschlüsselungsverfahren und Vorschaltseiten, auf denen die Nutzer zustimmen müssen, dass sie keine Rechtsverletzungen begehen. Werden diese „zumutbaren Maßnahmen“ getroffen, ist vor zivilrechtlichen Prozessen sicher.
Das Gegenteil von „freien Netzen“
Das aber liest sich wie das Gegenteil von „freien Netzen“. Hotspot-Anbieter müssten künftig beispielsweise Zugangscodes vergeben, monierte der IT-Verband Bitkom. So, wie man sich also das Käsebrötchen an der Raststätte erpinkeln muss, könnte es WLAN-Passwortzettel künftig nur noch gegen einen Latte Macchiato geben. Und: Nervige Anmeldeprotokolle, in die man Namen und Telefonnummern einspeisen muss.
Der Förderverein Freie Netzwerke e. V., in dem auch Andreas Prennig organisiert ist, setzt nun auf die parlamentarische Debatte: Zum Ende der Woche soll auf der Onlineplattform „Freifunk statt Angst“ eine Kampagne gegen den Entwurf starten. Laut dem Verein ist Deutschland weltweit das einzige Land, in dem es solche Haftungsregeln für WLAN-Anbieter gibt.
Auch aus den Reihen der Großen Koalition gibt es bereits Widerstand. Die SPD-Politiker Alexander Vogt und Saskia Esken – zuständig für Medienpolitik und Bildung – forderten „im Bundestag und im Bundesrat zwingend Nachbesserungen“. Mit Blick auf ehrenamtliche Initiativen wie jene in Herne erklärten sie, „der Zugang zum offenen und freien Netz sollte auch in Flüchtlingsunterkünften eine Selbstverständlichkeit sein“. Auch SPD-Netzpolitiker Lars Klingbeil sieht bei dem Gesetzentwurf „an einigen Stellen noch Änderungsbedarf“.
Kritik an den „gefahrgeneigten Diensten“
Deutlicher äußerte sich die CSU-Netzpolitikerin Dorothee Bär. Sie könne „die Kritik an den bisweilen noch immer schwammigen Formulierungen bei den geforderten Sicherungsmaßnahmen sehr gut nachvollziehen“, erklärte sie auf Cicero-Anfrage. Die Definition der „gefahrengeneigten Dienste“ lasse noch eine ganze Reihe von Interpretationsspielräumen zu.
Laut dem Entwurf können Online-Plattformen, die anonymes Surfen ermöglichen oder Inhalte für ihre Nutzer speichern, zum Beispiel Cloud-Speicherdienste oder soziale Netzwerke, künftig als „gefahrgeneigte Dienste“ gelten. Bei diesen wird vermutet, dass sie von rechtswidrigen Handlungen ihrer Nutzen wissen.
Ein klassischer Denunziationsparagraf
Hier wird die Beweislast einfach umgekehrt: Es braucht nur jemand diesen Providern einen Vorsatz zu unterstellen – und er gilt als Missetäter. Der Gesetzgeber liefert die Schuldvermutung. Ein klassischer Denunziationsparagraf.
Die Bundesregierung will so Urheberrechtsverstöße eindämmen. Allerdings weist Bär darauf hin, dass diese „oftmals gar nicht verhindert werden können, weil sich die betreffenden Server im Ausland befinden“.
Überhaupt scheint die CSU in ihren Forderungen weiter zu gehen als das SPD-Wirtschaftministerium: Rund um das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur von Alexander Dobrindt gibt es seit Januar freies WLAN – „frei“ im wahrsten Wortsinne. Kostenlos, rund um die Uhr, ohne Passwort oder die Eingabe persönlicher Daten. Würde das geänderte Telemediengesetz in Kraft treten, würde der CSU-Minister prompt dagegen verstoßen.
In Herne darf der Netzaktivist Andreas Prennig die zur Flüchtlingsunterkunft umfunktionierte Sporthalle nicht mehr unbegleitet betreten. Noch härter traf es einen anderen Parteikollegen, der sich ebenfalls für den Flüchtlings-Freifunk engagiert hatte: Ihm erteilte die Stadt Herne für die Halle sogar Hausverbot.
Mit Dank an Christian Heise.
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