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Grüne - Die neue Ideologie muss Ökologie heißen

Es kracht bei den Grünen. Realos und Fundis – rechter und linker Parteiflügel – werfen sich gegenseitig die Schuld am Wahldesaster vor. Besser wäre es, wenn sich die Partei jetzt endlich auf ihr Kernthema besinnt: die Ökologie

Autoreninfo

Michael Lühmann, geboren 1980 in Leipzig, Politikwissenschaftler und Historiker, lebt und arbeitet in Göttingen. Zuletzt ist von ihm das Buch "Der Osten im Westen – oder: Wie viel DDR steckt in Angela Merkel, Matthias Platzeck und Wolfgang Thierse?" e

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Einige grüne Parteimitglieder sind nach der Wahl längst zum Wundenlecken übergegangen. Doch es gibt auch die mit dem Salzstreuer, die die Heilung noch ein wenig verzögern wollen. Auf dem kleinen Parteitag am vergangenen Wochenende konnte man beides beobachten: Der baden-württembergische Ministerpräsident und Realo Winfried Kretschmann redete den Grünen aufgebracht ins Gewissen, Jürgen Trittin, Ex-Spitzenkandidat und Vertreter der Parteilinken, erblickte eine mangelnde Geschlossenheit als Mitursache für die Niederlage. Dort stritten derselbe Trittin auf der einen und Boris Palmer auf der anderen Seite darüber, wer den Klassenkampf eröffnet hat – die mächtigen Wirtschaftslobbyisten oder doch die Grünen selbst.

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Die Härte der Auseinandersetzung – die gemessen an der Geschichte der Grünen dennoch in sehr geordneten Bahnen läuft – verweist indes, neben der Enttäuschung über ein katastrophales Ergebnis, auf die lange Dauer der Konflikte. Der ökolibertäre Kretschmann auf der einen, der im K-Gruppen-Milieu und Klassenkampf geschulte Parteilinke Trittin auf der anderen Seite. Hier wirken Konflikte nach, die ebenso in die achtziger Jahre verweisen, wie die nun wieder diskutierte Grundsatzfrage, welchen Stellenwert die Ökologie für die Partei besitzt, und welchen Stellenwert die Frage der sozialen Gerechtigkeit. Überlagert wird dies durch den aufgestauten Generationenkonflikt, der lange, vielleicht zu lange den Parteinachwuchs auszubremsen versuchte.

Der grüne Höhenflug…

 

Dabei hatte man doch geglaubt, all diese Konflikte überwunden zu haben. Schließlich fand der Aufschwung der Grünen seit 2009 nicht vorbereitungslos im luftleeren Raum statt. In der Post-Fischer-Depression hatte sich die Partei an der eigenen Erzählung wieder aufgerichtet. Das half der Anhängerschaft, den Sinn hinter der Partei wiederzuentdecken. Und es wurde der bürgerlichen Mitte eine Brücke, sich im Jahrzehnt der Ökologie von der Union zu emanzipieren.

Mit dem Fokus auf ökologischer Politik gewannen die Grünen bereits seit 2008 wieder Wahlen und Regierungsbeteiligungen, nachdem sie 2005 aus allen Landesregierungen und der Bundesregierung rausgeflogen waren. Indem die so apostrophierte Klimakanzlerin die Umweltpolitik in der schwarz-gelben Regierung räumte und den Wiedereinstieg in die Kernkraft vorbereitete, verschaffte sie den Grünen die ideale Basis für ein kräftiges Wachstum. Re-ökologisierte Grüne trafen auf ökonsensible Bürger. Schon im Jahr vor Fukushima nahmen die Grünen in Umfragen die Zwanzig-Prozent-Hürde.

Auch wenn die Grünen des Jahres 2012 „nur“ noch bei 15 Prozent lagen, so argumentierten sie doch aus einem Gefühl der Stärke. Die langen Jahrzehnte der politischen und medialen Demütigung, sie verpufften an den Wahlurnen und ließen das wohl nicht gänzlich unberechtigte Gefühl aufkommen, gesellschaftliche Mehrheiten organisieren zu können. In einer Mischung aus Überschwang, verbunden mit dem Gefühl, schon immer Recht gehabt zu haben, ging die Partei mit breiten Schultern in einen Wahlkampf, dessen Gegenkräfte sie vollkommen unterschätzt hatten.

…und das Problem der Höhenluft

 

Dabei hatte es warnende Töne gegeben, nicht zu stark auf die Steuerpolitik zu setzen. Aber in der aufgeheizten Stimmung im Frühjahr 2013 galten derlei Interventionen als parteischädigend. Statt einen Ausgleich zu suchen, triumphierte die Parteilinke über die Ultra-Realos. Wer glaubte, in der renovierten Öko-Partei gäbe es die Lager nur noch als Erinnerungsort, musste fortan wieder das Gegenteil zur Kenntnis nehmen. Der seit 2009 schwelende Streit, woher denn der Aufschwung der Grünen gekommen sei, woher er künftig zu kommen hat, ist hier endgültig entschieden worden.

Kontrafaktisch gegen die niedrigen Kompetenzwerte der Partei in Bezug auf soziale Gerechtigkeit argumentierend, auch kontrafaktisch gegen die starken Zugewinne aus dem bürgerlichen Lager infolge eines ökologischen Wahlkampfes argumentierend, stürzte sich die Parteilinke ins letzte Gefecht gegen die – in der Tat ungerechten Besitzstandsverhältnisse – dieser Gesellschaft. Das Realo-Lager ließ sie gleichwohl gewähren, in der Hoffnung und im Glauben, mit einem zugespitzten Öko-Wahlkampf – der anders als der Steuerwahlkampf auch von der Basis gewünscht worden ist – zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen zu können.

Doch die Grünen fielen tief. Die Frage Robert Habecks ist berechtigt, wie eine Partei, die vorgibt, Vieles für sich zu wissen, diese Fehlsteuerung so wenig hat bemerken können. Habeck mag Recht haben, dass hier manche Strukturen problematisch sind. Aber – und dies ist auf dem kleinen Parteitag auch deutlich geworden – nur mit Strukturreformen wird der grüne Höhenflug der vergangenen Jahre ein Höhenflug bleiben, mehr nicht. Deshalb tut die Partei gut daran, dass zu tun, was ihr in Krisen so häufig geholfen hat: den Blick zurück zu richten, um dann nach vorn schauen zu können.

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Und da sich die Grünen nach Trittin in etwa da befunden, wo die Grünen sich nach Fischer befunden haben – auf dem harten Boden der Tatsache, kleinste Oppositionspartei zu sein, die nach einer gefühlten Regierungsbeteiligung nun programmatisch hadert. Während die Union längst nicht mehr um ihre konservative Begründung weiß, die SPD mit ihrem Gerechtigkeitsprogramm hadert und der Liberalismus entkernt ist, steht der Ökologismus auf einem soliden Fundament und bildet das entscheidende Alleinstellungsmerkmal jenseits irgendwelcher Lagerfantasien. 

Ökologie von links bis in die Mitte

 

Anders als die anderen Erzählungen ist die Geschichte vom ökologischen Umbau der Gesellschaft noch immer eine erfolgreiche, überdies nicht zu Ende erzählte Geschichte. Die Grünen haben die Chance, sich erneut hieran wieder aufzurichten, personalpolitisch haben sie hierfür in der Tat schon die richtigen Weichen gestellt. Sowohl Anton Hofreiter als Nachfolger Trittins an der Spitze der Fraktion als auch Simone Peter als potentielle Nachfolgerin Claudia Roths sind nicht nur Parteilinke, sondern zugleich überzeugte Ökologen.  

„Umwelt macht den Unterschied“ und „Wir sind das Original“, die Losungen der Jahre ab 2005 werden deshalb in Variationen wieder häufiger zu hören sein, zumal man Cem Özdemir, Kerstin Andreae oder Katrin Göring-Eckardt wohl kaum vom Ökologieprimat überzeugen muss. Ob die Re-Ökologisierung erfolgreich sein wird, wird aber auch von der politischen Ausrichtung abhängen: Nach dem Linksschwenk darf jetzt nicht der triumphale Siegeszug der Realos kommen. Ein neues Grundsatzprogramm muss hier einen Ausgleich finden. Oder, um es in den Worten Robert Habecks zu sagen: „Da, wo gute Ideen sind, da sind sie gut, auch wenn sie von Linken kommen und wenn es Scheiß-Ideen sind von den Realos, dann sind es halt Scheiß-Ideen.“

Diese Frage tut sich bei der Ökologie nicht auf.

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