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(picture alliance) So uneinig wie selten - Lafontaine und Gysi

Gysi vs. Lafontaine - Klartext trifft Problemverdrängung

Lafontaine und Gysi traten auf dem Göttinger Parteitag rhetorisch gegeneinander an. Während Gysi Klartext sprach, versuchte Lafontaine die Probleme einfach wegzubrüllen. Die unterschiedlichen Analysen zeigen, wie schlimm es um die Partei wirklich steht

Göttingen. 16:35 Uhr. Blitzlicht, Platznehmen, die Hände hoch oben zum Jubel bereit. Oskar lässt sich feiern. Der Kopf blutrot. Nur langsam kehrt milde in die Gesichtszüge des Saarländers zurück. 20 Minuten reichten, um den Delegierten auf dem Parteitag der Linken in Göttingen wieder Leben einzuhauchen. Zumindest für den Moment. Denn die Zukunft der Partei entscheidet sich am frühen Abend, dann, wenn neue Parteivorsitzende zur Wahl stehen. Dann wird sich zeigen, ob das „politische Projekt“ Linke, wie es Lafontaine nennt, wirklich noch eine Zukunft hat.

Zunächst aber durften die großen Zwei – Gysi und Lafontaine ran. Sie sprachen kurz hintereinander. Ein Dramaturg, wer böses dabei denkt. Gysi begann. Er mahnte, während Oskar brüllte. Es war ein Duell auf Augenhöhe - nicht nur physiognomisch. Doch es war auch ein Kampf mit verteilten Rollen. Ein Kampf, bei dem eigentlich nur einer kämpfte – Oskar Lafontaine. Während Gysi fast schon in Endzeitstimmung harsche Kritik an der innerparteilichen Auseinandersetzung übte, gar von Hass innerhalb der Fraktion sprach, beschrie Lafontaine unermüdlich das linke Gewissen der Delegierten, sich nicht an den Spaltungsszenarien zu beteiligen.

Gysi trat auf in der Gestalt des ewig Mahnenden: Der Vereinigungsprozess zwischen WASG und PDS zur Linkspartei sei noch nicht gelungen, die Vereinigung sei noch nicht erreicht, beschwor er. Ihm war die Enttäuschung deutlich anzumerken. Gysi der desillusionierte Moderator, der bis zuletzt zwischen den divergierenden Flügel hat vermitteln wollen. „Ich bin es leid!“ rief er aus. Die Stimme gesenkt, müde, das Gebärdenspiel in Nachdenklichkeit getaucht. Es war das letzte Aufbäumen eines kleinen wortmächtigen Mannes, der über den Zustand der Verzweiflung längst hinaus scheint und nüchtern und ernüchternd sogar von Spaltung sprach. Für den Fall, dass am Ende ein Flügel über den anderen siege, es also keine kooperative Führung gebe, wäre es besser, sich zu trennen, so Gysi. Das saß.

Zum Missfallen Lafontaines, der prompt widersprach, Gysis Endzeitstimmung aufnahm und in Attacke zu wandeln bemüht war: „Es gibt keinen Grund das Wort Spaltung in den Mund zu nehmen“, polterte er zu Beginn seiner Rede in Richtung Gysi.

Und schnell wurde klar, was hier für Lafontaine, der noch einmal die Rentnercouch mit der Parteitagsbühne tauschte, auf dem Spiel stand. Er, der Erfinder der Linkspartei wollte noch einmal Wirken, wollte sein Projekt retten. Er verteidigte das Programm, die Partei und verteidigte doch eigentlich nur eines – sich selbst.

Während sein Kopf vor Rage längst mit der roten Hintergrundkulisse fusionierte, schoss er wilde Gebärden in den Saal. Gesten, die zu faustischen Karikaturen verblassten. Alles: Gestik, Mimik, Rhetorik saß nicht mehr so wie früher, alles wirkte ein bisschen verkrampft. Das war nicht der alte Oskar. Der Starrhetoriker wurde zum Rumpelstilzchen. Lafontaine hob in seiner Rede immer wieder das gemeinsame Programm hervor und wirkte, als könnte er allen Streit, alle innerparteilichen Gegensätze einfach wutmächtig wegbrüllen. Es schien, als würde er die eigentlichen Probleme seiner Partei überhaupt nicht kennen.

"Wo sind eigentlich die großen Unterschiede?", fragte Lafontaine rein rhetorisch und übersah dabei, dass das Problem der Partei ein inneres ist, und kein von außen Hineingetragenes. Lafontaines kurze Analyse ging völlig an den Partei-Realitäten fehl, sodass sich der Zuschauer am Ende fragen musste: Von welcher Partei spricht Lafontaine eigentlich? Während Gysi Zweifel zuließ, wollte Lafontaine zumindest programmatisch keine größeren Schwierigkeiten erkennen, attackierte lieber den Erzfeind SPD, nannte Steinmeier, Steinbrück und Gabriel die „drei Loser“ und blies das altbekannte Horn Attacke.

„Der Hang zur Selbstzerstörung hat immer etwas damit zu tun, dass man die Realitäten nicht erkennt.“ So hatte es zuvor Gregor Gysi formuliert, nicht ahnend, dass er das Nichterkennen Lafontaines pointiert vorweggenommen hatte. Ein Satz wie gemacht für Lafontaine, den Kämpfer, der nicht wahrhaben wollte, dass die Linkspartei nicht allein an Befindlichkeiten, wie er es nannte, litt, sondern, dass gleichwohl ein tiefer programmatischer Riss durch sie geht. Denn Reformer und Antikapitalisten trennen nicht nur personelle Eitelkeiten, sondern mitunter ganze Weltbilder.

So zeichneten Lafontaine und Gysi in ihren Reden zwei Bilder einer Linken, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten. Was sie verband, war lediglich der Applaus, der auf beide Männer etwa gleich groß ausfiel. Und der Rückgriff auf alte Gesinnungsidole. Gysi endete mit Liebknecht, Lafontaine mit Tucholsky. Links und standesgemäß. Also bitte. Geht doch. Ein letztes Fünkchen Einigkeit. Allerdings nur im Rückgriff auf Vergangenes.

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