- Kein Ausweg aus dem rot-grünen Gefängnis
Ganz gleich, wie die Landtagswahl am Sonntag in Niedersachsen ausgeht, die Grünen sind gefangen in einem strategischen Dilemma. Gewinnt Rot-Grün müssen sie mit Steinbrück in die Wahl ziehen, verliert Rot-Grün kommt die unpopuläre Debatte um Schwarz-Grün
Es soll für die Grünen der perfekte Auftakt in ein erfolgreiches Wahljahr werden, der Wahltag in Niedersachsen. Doch statt inhaltlich zu punkten, werden die Grünen von ihren strategischen Fehlern eingeholt. Statt über ihre Politik zu reden, reden sie über Peer Steinbrück. Und weil die mangelnden Erfolgsaussichten der Grünen an der Seite von Peer Steinbrück immer offensichtlicher werden, rückt ständig das schwarz-grüne Hintertürchen in den Blick. Da kann Katrin Göring-Eckart noch so oft beteuern, die Grünen interessierten sich für die Wähler der Union und nicht die Merkel-Partei selbst.
Mit ihrer bedingungslosen Festlegung auf ein Bündnis mit der SPD haben sich die Grünen wieder in jene babylonische Gefangenschaft begeben, die die Partei nach Joschka Fischer schon überwunden glaubte. Und mitten im Wahlkampf provoziert man so eine Debatte um jene Option, die offiziell Tabu ist. Den Anfang machte in diesen Tagen Bayerns Landeschef Dieter Janecek. Der will Schwarz-Grün nicht mehr ausschließen. Statt sich erneut schmollend in die Oppositionsrolle zu fügen und sich möglicher Regierungsverantwortung zu verweigern, will er gegebenenfalls nach der Wahl auf die Union zugehen.
Dabei geht es Janecek wohl kaum ernsthaft um ein solches Bündnis, sondern vor allem um die notwendige Debatte. Trotzdem bleibt Schwarz-Grün ein großer grüner Irrtum. Zwar könnten sich in Bayern konservative und grüne Naturschützer sicher schnell sich auf einen Grundkompromiss der Schöpfungsbewahrung einigen. Trotzdem liegen Welten zwischen beiden Parteien. Denn gleichzeitig hat sich die CSU mit ihren Forderungen nach einem Betreuungsgeld und ihrer Ablehnung einer Frauenquote in einer Maximaldistanz zu grüner Politik positioniert.
Auch die Energiewende steht immer noch zwischen Grün und Schwarz. Während sich die Grünen die Verteidigung der Energiewende gegen die öffentlich inszenierte Skepsis von Lobbyisten auf die Fahnen geschrieben haben, nimmt die Kanzlerin solche Attacken auf dieses Projekt willfährig hin. Mehr noch: Mit immer mehr Kosten steigernden Ausnahmen forciert sie das Unbehagen an der Energiewende zusätzlich. Sie verdeutlicht damit, dass die Energiewende nie ein Projekt der Union gewesen ist, wie auch die Klimakanzlerin nur eines ihrer austauschbaren Etiketten war. Schließlich unterscheiden sich Grüne und Union auch auf dem Gebiet der Steuer- und Sozialpolitik. Zwischen Vermögensabgaben, Bürgerversicherung und Mindestlohn auf der grünen sowie dem Erhalt des die Gesellschaft weiter spaltenden Status quo auf der schwarzen Seite liegen Welten.
Überdies ist Schwarz-Grün auch an der Parteibasis und bei der grünen Wählerschaft äußerst unpopulär. Die Zahlen, die die Grünen auf ihrer Klausur vom letzten Wochenende präsentiert bekommen haben, sprechen da eine deutliche Sprache: Nur etwa jeder zehnte Wähler der Grünen wünscht sich nach der Bundestagswahl Schwarz-Grün, fast drei Viertel der Wähler hingegen Rot-Grün.
Doch stimmt die Schlussfolgerung, hieraus eine bedingungslose Unterstützung für ein rot-grünes Projekt abzuleiten. Ist Steinbrücks politische Vita tatsächlich kompatibel mit grüner Programmatik? Ist der Bankenversteher Steinbrück der adäquate gemeinsame Spitzenkandidat zweier Parteien auf Augenhöhe? Ist die Wachstums-, Industrie- und Fortschrittspartei, die Sigmar Gabriel noch 2011 gegen den grünen Höhenflug ausrief, der perfekte Partner für das Projekt Energiewende und Wirtschaften in Zeiten begrenzten Wachstums?
Die Antwort liegt auf der Hand. Auch die Fokussierung auf ein rot-grünes Projekt ist ein strategischer Irrtum. Allein: die Distanz zur Union ist weit höher als die zur SPD. Aber diese Distanz muss dargestellt werden. Statt sich bedingungslos und kleinlaut der SPD und ihrem Kanzlerkandidaten auszuliefern, sollten die Grünen ihre Eigenständigkeit wieder stärker betonen – auch gegen die SPD. Schließlich gewannen sie mit dieser Strategie in den letzten Jahren eine Wahl nach der anderen, ganz ohne kategorische Imperative.
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Schließlich, und das ist der größte strategische Fehler, lassen es die Grünen zu, dass gerade die SPD einen solchen eigenständigen Wahlkampf führt. Schon die Nominierung des Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück, dessen Distanz zu den Grünen kein Geheimnis ist, war ein Affront. Denn mit Steinbrück kämpft die SPD mit ähnlichen Themen um die gleichen Wechselwähler wie die Grünen. Der Finanzpolitiker Steinbrück soll die gleichen Wähler erreichen, wie der Finanzpolitiker Trittin. Der rechte Sozialdemokrat erfüllt die gleiche Brückenfunktion ins bürgerliche Lager wie die grüne Spitzenkandidatin Katrin Göring Eckardt. Die vergangenen Wahlen haben indes eindrücklich gezeigt, dass es vor allem die Grünen sind, die ins bürgerliche Lager einbrechen konnten. Der bürgerliche Wähler ist das Geschäft der Öko-Partei.
Die Aufgabe der SPD wäre eine andere, sie müsste nach links blicken. Ihr Gegner heißt nicht allein Merkel, sondern er heißt auch und gerade Gysi, Wagenknecht, Kipping oder Riexinger. Ohne rot-rot-grüne Machtoption und im Angesicht eines demoskopischen Aufschwungs der Linken werden hier die Wahlen verloren. Aber mit Steinbrück hat die SPD eine Maximaldistanz nach links zementiert. Auch weil Steinbrück nicht denkt wie etwa Hannelore Kraft, sondern eher wie Klaus Wowereit. Beiden ging es noch nie um irgendein rot-grünes Projekt, sondern darum, den eigenen politischen Preis hochzutreiben. Und wenn die Kanzlerschaft gegen Merkel nicht zu gewinnen ist – wovon im Willy-Brandt-Haus nahezu alle ausgehen – dann soll der Preis für die Vizekanzlerschaft wenigstens hoch sein.
Kurzum, die SPD hat eine Ausstiegsoption aus Rot-Grün, für die sie einen Parallelwahlkampf führt. Die Grünen haben eine solche Option nicht. Die meisten grünen Parteistrategen haben dieses Dilemma zwar mittlerweile erkannt, finden aber keinen Ausweg. Da hilft es wenig, immer wieder darauf zu verweisen, das grüne Wachstum käme aus dem linken Lager und die Berlin-Wahl sei der Beweis, dass eine Position der Eigenständigkeit gegenüber Union und SPD schade. Denn in Wirklichkeit ist Renate Künast bei der Abgeordnetenwahl an sich selbst sowie den Piraten gescheitert und nicht am fehlenden Ausschluss der schwarz-grünen Regierungsoptionen. Robert Habeck erzielte in Schleswig-Holstein auf dem Höhepunkt des Piraten-Hypes mit einer ähnlich offenen Strategie, das historisch beste Ergebnis der Nord-Grünen.
Vor der Niedersachsenwahl werden sich die Grünen aus ihrer Strategiefalle nicht mehr befreien können. Scheitert Rot-Grün, wäre es nicht Aufgabe von Trittin und Göring-Eckardt den ungeliebten Kanzlerkandidaten Steinbrück zu stützen. Aber selbst wenn der rot-grüne Machtwechsel in Hannover gelingen sollte, gibt es keine Alternative zu einem stärkeren Kurs der grünen Eigenständigkeit. Das eine tun (die grüne Eigenständigkeit herausstellen) und das andere (rot-grüne Regierungsbeteiligungen) nicht lassen, bleibt der einzige Ausweg aus dem grünen Strategie-Dilemma. Und vielleicht wäre ein grüner Kanzlerkandidat oder eine grüne Kanzlerkandidatin zukünftig noch ein zusätzlicher Weg.
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