() Eine frühe Inszenierung von Karl-Theodor zu Guttenberg auf dem Times Square in New York
Karl-Theodor zu Guttenberg und die Sehnsucht nach Jugend
Ab Sonntag ist CDU-Parteitag. Zwar wird Verteidigungsminister Karl Theodor zu Guttenberg (CSU) nicht anwesend aber trotzdem allgegenwärtig sein. Seine Popularität ist auch in der Schwesterpartei auf dem Höhepunkt. Mit seinen politischen Taten lässt sich das nicht erklären. Seine Beliebtheit offenbart vielmehr die Sehnsucht des deutschen Bürgertums nach Jugend und gutem Stil.
Was ist es bloß, das die Deutschen so verschossen macht in diesen Karl Theodor zu Guttenberg? Die erste, oberflächliche Antwort lautet: Weil er anders ist als die anderen Politiker, über die die Deutschen verdrossen sind wie nie zuvor.
Aber ist der Freiherr wirklich anders? Nichts in seinem politischen Lebenslauf weicht radikal vom normalen Spitzenpolitiker ab: Jurastudium, Junge Union, Vernetzung in unzähligen Organisationen und Gremien, parteiinterne Karriere durch Unterstützung Altvorderer, unter anderem Edmund Stoiber und Horst Seehofer. Guttenberg kam ohne lange Ochsentour schon als 31-Jähriger in den Bundestag. Aber dort blieb er die ersten sechs Jahre öffentlich wenig beachtet – eines von mehreren Jungtalenten der Union, nicht mehr nicht weniger. Guttenbergs Werdegang bis zu seiner überraschenden Berufung als Wirtschaftsminister liefert keine Erklärung für seine außergewöhnliche Beliebtheit. Auch der übliche Vorwurf an junge Berufspolitiker, sie hätten keine Erfahrung aus dem Berufsleben, trifft bei Guttenberg ins Schwarze: Er half, das riesige Familienvermögen zu verwalten. Das wars, wenn man von seiner kurzen Bundeswehrkarriere zum Unteroffizier und einem Aufsichtsratsposten bei der familieneigenen Rhönkliniken AG absieht.
Auch seine politischen Taten seit der Berufung als Wirtschaftsminister können den Platz in den Herzen der Deutschen nicht wirklich erklären. Sein folgenloser Pseudo-Widerstand gegen die Opel-Rettung mit einer ebenso folgenlosen Pseudo-Rücktrittsdrohung waren in den Medien bald als unglaubwürdig entlarvt worden. Nach seiner Volte in der Nachbereitung des Kunduz-Luftangriffs erklärte ihn der Spiegel in einer Titelgeschichte vom 14. Dezember 2009 schon zum „Entzauberten“. Nur: Die Deutschen ignorierten das geflissentlich. Offenbar wollen sie sich weiter von Guttenberg verzaubern lassen. Schließlich kapitulierte auch der Spiegel und sah am 18. Oktober „Die fabelhaften Guttenbergs“ schon „Im Paarlauf ins Kanzleramt“.
Das Phänomen Guttenberg ist offensichtlich nicht durch das, was er tat und tut, zu erklären, sondern durch das, was er ist. Oder genauer: Das, was die Menschen in ihm sehen. Seine Person befriedigt aktuelle gesellschaftliche Bedürfnisse. Anders gesagt, der Baron aus Franken passt in die geistige Situation der Zeit.
Guttenberg ist jung. Nie waren die Chancen für junge Nachwuchspolitiker so gut wie jetzt, schnell an die Fleischtöpfe der Berufspolitik vorgelassen zu werden. In einer alternden Gesellschaft steigt die Wertschätzung der Jugend. Für die Parteien, die noch schneller altern als der Rest der Gesellschaft gilt das in besonderem Maße. Jugend ist in innerparteilichen Nominierungswettkämpfen mittlerweile ein positives Argument, das den Ruf nach Erfahrung oft aussticht. In panischer Angst, den Kontakt zur vielzitierten „Zukunft“ zu verlieren, präsentieren die Parteien derzeit ungewöhnlich junge Spitzenpolitiker. Die vergreisende Nation wird von einer Regierung geführt, die jünger ist als jede andere seit 1949. Nie zuvor gab es drei Bundesminister, die deutlich unter vierzig Jahren alt waren: Bei ihrer Ernennung im November 2009 war Familienministerin Kristina Schröder (damals noch Köhler) 32 Jahre jung, Gesundheitsminister Philipp Rösler 36 und Verteidigungsminister zu Guttenberg 37.
Geschickt weiß der seine Jugend und körperliche Vitalität zu inszenieren, indem er bei Truppenbesuchen schon mal zum Hubschrauber rennt oder nach der Kabinettsitzung auf dem Fahrrad davonfährt. Man stelle sich die schnell gealterte, unsportliche Merkel oder den beleibten Sigmar Gabriel dabei vor.
Diese Betonung der Jugendlichkeit in der Politik ist ein Phänomen alternder Gesellschaften, die sich vor dem Verlust ihrer Vitalität fürchten. In den jungen Gesellschaften des 19. und frühen 20. Jahrhunderts dagegen pflegten Politiker sich gravitätisch zu bewegen. Alter verschaffte Hochachtung. Das Wort „Senat“ ist von Senex, der Greis, abgeleitet.
Aber Jugend allein genügt natürlich nicht zur Erklärung des Guttenberg-Phänomens. Denn er hängt auch die anderen Polit-Youngsters wie Rösler, Schröder, Lindner weit ab.
Guttenberg kommt ein gesellschaftlicher Trend zugute, der längst auch den politischen Betrieb prägt: Der anscheinend unaufhaltsame Siegeszug des guten Stils. Politologen beobachten seit einiger Zeit, dass das Äußere der Politiker eine wachsende Rolle spielt. Ohne grundsätzliche ideologische Gegensätze wird es für Politiker schwierig, sich über individuelle Positionen zu profilieren. Das gelingt eher über die äußere Erscheinung, den Auftritt. Diese Entpolitisierung der Politik führt dazu, dass sich ihre Akteure in der medialen Erscheinung anderen Prominenten annähern. Der Trend zur Style-Politik ist in anderen Ländern vielleicht noch deutlicher zu erkennen. Spaniens neun sozialistische Ministerinnen – in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung als „Zapateros Modepüppchen“ bezeichnet – sind so auffallend gut angezogen, dass Beobachter dahinter ein Werben um stilbewusste Wähler vermuten. Frankreichs Präsident Sarkozy hat, wenn er schon selbst nicht zur Stilikone taugt, wenigstens eine geheiratet. Und diejenigen, die einfach nicht in die Promi-Welt passen, taugen auch nicht mehr so sehr für die Politik. Sogar die konservative Zeitung „Die Welt“ stellt ganz ohne Ironie fest, dass die CDU ein „ästhetisches Problem“ habe. Zur Illustrierung zeigt sie Stefan Mappus, der angeblich „älter wirkt als er ist“ (44). Die Zeit der Strickwesten und schlecht sitzenden Anzüge ist wohl vorbei.
Dass junge Politiker von dieser Tendenz eher profitieren als ältere, liegt auf der Hand. Ältere, wenig attraktive Politiker – und erst recht Politikerinnen – sind als Stilvorbilder eher ungeeignet. Vor allem dann, wenn sie sich Mühe geben. Angela Merkel konnte im Ballkleid nicht überzeugen. Guttenberg dagegen fliegen die Herzen zu, ob er sich nun im Smoking auf der Berliner Aids-Gala zeigt oder in Khaki-Hosen im Feldlager von Kunduz.
Er erfüllt die aktuellen Stilvorstellungen eines großen Teils des deutschen Bürgertums. In den 70er Jahren wäre Guttenberg möglicherweise als oberspießig erschienen. Aber in einer Zeit, in der die Zeitschrift „Landlust“ Auflagenrekorde feiert und die ästhetischen Standards der etablierten Kreise setzt, schlägt der Barbour-Chic des Barons aus dem fränkischen Schloss voll ein. Edel ist in. Und darum kommt nicht nur er selbst, sondern vor allem seine Frau Stefanie auch so gut an. Eine direkte Nachkommin des Fürsten Bismarck, die genau so aussieht, wie man sich als Baron auch schon vor 150 Jahren seine Ehefrau wünschte. Beide brauchen sich vermutlich nicht zu verstellen: Seidenschal und Jackett trug er schon als Jura-Student, sie scheint mit Perlenohrringen geboren zu sein.
Die Deutschen, deren Klatschpostillen sie immer mit ausländischen Prinzen und Prinzessinnen unterhalten mussten, sehnen sich möglicherweise auch einfach ein bisschen nach eigenen Royals. Da kommt dieser smarte Adlige mit seiner moralisch und optisch reinen Prinzessin der Herzen wie gerufen. Guttenberg ist in dieser Hinsicht tatsächlich anders als die anderen: Er versucht im Gegensatz zu den meisten Politikern nicht immer zu beweisen, dass er „nah bei den Menschen“ ist – was meist zu Enttäuschung führt. Er ist eine Glamour-Gestalt. Und für die gelten andere Regeln.
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