- Mutti wird‘s schon richten
Dieses Jahr dürfen fast drei Millionen junge Menschen das erste Mal zur Wahl gehen. Die meisten von ihnen scheinen an Muttis sprichwörtlichem Rockzipfel zu hängen – für sie steht fest: es kann nur die eine geben. Zu Angela Merkel sehen viele Jungwähler keine Alternative
Wäre die politische Bühne ein Sonntagskaffeetrinken, dann wäre Angela Merkel die Mutti, das Familienoberhaupt. Sie ist akzeptiert und in ihrer Position unanfechtbar. Ganze 39 Prozent der 18- bis 29-Jährigen würden sich aktuell für Angela Merkel entscheiden, wenn sie ihren Kandidaten direkt wählen könnten. Sie gießt den Kaffee nach, legt sich mit niemandem an und bleibt stets gelassen, wenn sich einmal ein Familienmitglied daneben benimmt. Man ist vielleicht nicht mit allen ihrer Entscheidungen zufrieden, aber im Grunde hat die Mutti doch immer Recht. Knapp die Hälfte der jungen Bevölkerung (47 Prozent) hält die amtierende Kanzlerin für durchsetzungsfähig und führungsstark.
Und welche Position übernimmt Peer Steinbrück am politischen Kaffeetisch? Die des Vaters? Mitnichten. Steinbrück hat wenig Väterliches an sich. Er ist vielmehr der mürrische und unzufriedene Onkel, der selten eingeladen wird, weil er alles besser weiß. Außerdem streitet er sich mit Mutti, stellt ihre Autorität in Frage und macht sich bei allen unbeliebt – wenn er denn überhaupt auffällt. Gerade einmal 13 Prozent würden sich direkt für Steinbrück entscheiden. Nicht einmal jeder Fünfte (17 Prozent) denkt, dass unter ihm Deutschland wirtschaftlich stark bleibt.
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Außerdem hat Steinbrück auch mit dem bedeutenden Sympathievorsprung der Kanzlerin bei den jungen Menschen zu kämpfen. Während jeder dritte Jungwähler (32 Prozent) Sympathien für Merkel hat, empfinden nur 14 Prozent Ähnliches für Steinbrück, von den jungen Frauen gar nur 11 Prozent. Während Mutti die männliche wie die weibliche junge Bevölkerung anspricht, reicht Steinbrücks Charme nicht wirklich weit und stößt besonders bei jungen Frauen auf Ablehnung. Der Funke scheint nicht überzuspringen.
Doch wie kann er das auch? Welches Bild können die jungen Leute überhaupt haben von dem Onkel, der nur selten zu Besuch kommt? Beschäftigen wir uns damit, was den Jungwähler ausmacht. Im Gegensatz zu den routinierten Urnengängern hat er noch keine Stammpartei für sich entdeckt, ist grundsätzlich offener und ändert seine Meinung vielleicht noch im letzten Moment. Das tun andere auch, aber der Jungwähler unterscheidet sich vor allem in seinem geringeren politischen Wissen. Junge Leute schlagen nicht mehr täglich die Zeitung auf, um sich über das aktuelle politische Geschehen zu informieren. Die Informationen stammen größtenteils aus dem Netz, neben Nachrichtenseiten auch aus sozialen Netzwerken wie Facebook und Twitter, mehrfach gefiltert von Freunden und Bekannten.
Eine Wahl-Entscheidung wird nicht selten über Tools wie den Wahl-O-Mat vorbereitet. Vergleicht man die Online-Präsenz der beiden Kandidaten liegt Angela Merkel um Welten vorne. Peer Steinbrück hat bei Facebook 26.000 Likes. Steinbrücks anfängliche Verweigerung von Kommunikationskanälen wie Twitter und Facebook hat ihm sicher nicht gerade Pluspunkte eingebracht bei denen, die diese Art der Kommunikation täglich nutzen. Zum Vergleich: Angela Merkel hat mit 335.000 Likes eine deutlich größere Reichweite.
Merkel ist dagegen so lange im Amt, wie sich viele junge Leute überhaupt an Politik erinnern können. Sieben Jahre sind eine lange Zeit für junge Menschen. Steinbrück dagegen ist erst seit kurzem auf der Bildfläche erschienen, wenn er überhaupt erschienen ist. Der Wahlkampf ist bei vielen jungen Leuten längst nicht im Bewusstsein.
Doch so groß die Zustimmung für die amtierende Kanzlerin auch ist, mehr als ein Drittel (35 Prozent) und damit ein nicht unbedeutender Anteil der Jungwähler würde sich für keinen der beiden Kandidaten entscheiden. 61 Prozent der Jungwähler fühlen sich von der Politik nicht verstanden. Darüber hinaus herrscht wenig Zuversicht in die Konsequenzen der Politik. Vier aus zehn (39%) glauben nicht, dass sie eine sichere Zukunft haben, die ihnen eine verlässliche Lebensplanung erlaubt. Nicht einmal jeder Zehnte (neun Prozent) meint noch eine ausreichende staatliche Rente zu bekommen. Das Potential die Kaffeetafel zu sprengen, wäre vorhanden.
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Doch wer könnte es machen? 30 Prozent der Befragten denken, dass die Piraten am besten für die Belange junger Menschen eintreten. Die Partei setzt sich besonders für den Datenschutz und die „informationelle Selbstbestimmung“ ein und fordert einen raschen Atomausstieg. Damit spricht sie Themen an, die jungen Menschen am Herzen liegen. Außerdem ist sie wie keine andere Partei im Netz präsent.
Doch trotz der hohen Sympathie, die die Partei prinzipiell von den jungen Menschen erfährt, wählbar ist sie nicht: Nur sechs Prozent planen sie, am 22. September zu wählen. Durch interne Streitereien haben sich die Piraten unglaubwürdig gemacht und damit quasi selbst versenkt. Die Zankereien in den Medien blieben auch bei den Jungwählern nicht unbemerkt.
An unserem politischen Kaffeetisch sind die Piraten die Nachbarsjungen, die sich mal kurz dazusetzen, mit denen man durchaus ein Weilchen ihre Ideen und Pläne diskutiert. Sie kommen gut an und sorgen für Aufsehen, aber früher oder später fangen sie untereinander Streit an und am Schluss sind alle erleichtert, wenn sie wieder verschwunden sind.
Und wenn doch mal einer laut wird, geht Mutti mal eben kurz dazwischen. Das löst zwar nicht alle Probleme, aber bei Mutti an der Kaffeetafel schmeckt der Kuchen eben doch am besten. Die Mutti wird’s schon richten.
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