- „Griechenland kann Europa retten“
Der FDP-Europapolitiker Jorgo Chatzimarkakis ist enttäuscht von der Griechenland-Politik seiner Partei – und erklärt seinen Austritt. Im Cicero-Online-Interview betont er, dass sein Schritt nichts mit der Plagiats-Affäre zu tun habe
Cicero Online: Herr Chatzimarkakis, Sie wollen nicht mehr für die FDP ins nächste Europaparlament einziehen. Nun treten Sie auch noch aus der Partei aus. Warum?
Jorgo Chatzimarkakis: Ich war 17 Jahre im FDP-Bundesvorstand. Ich habe dieser Partei viel zu verdanken. Aber jetzt möchte ich endlich wieder authentisch sein und in Griechenland Politik machen, wo ich ja auch meine Wurzeln habe. Ich bin gegen das Merkel-Barroso-Europa, die Europawahl ist die letzte Ausfahrt in Richtung Bundesstaat. Leider hat die FDP das nicht erkannt. Der frühere Parteichef Philipp Rösler hat gemeinsam mit Merkel so viel Schwachsinn in der Eurokrise gemacht, da hört bei mir die Freundschaft auf. Man hätte mehr auf Genscher hören müssen, wegen dem ich überhaupt in die FDP eingetreten bin.
Wann kam es zum Bruch? Es gibt ja dieses Rösler-Zitat: „Wir müssen uns doch nicht von jedem kretischen Schafshirten vorschreiben lassen, was wir zu tun haben.“ War es das?
Nein, das Zitat ist von Brüderle, nicht von Rösler. Aber das hat mich schon sehr getroffen, auch wenn es sicher flapsig-scherzhaft gemeint war. Dennoch fühlte ich mich als europäischer Patriot verletzt. Aber es ging ja nicht nur um mich, sondern auch um die Stützung Griechenlands und die Rettung des Euro. Das war 2010. Ich hatte einen Vorschlag für einen Europäischen Stabilitätsmechanismus formuliert, der damals schon ESM heißen sollte. Doch Brüderle lehnte das mit diesem unsäglichen Zitat ab. Damit hat mein innerer Abschied aus der Partei begonnen.
[gallery:Griechenland unter: Karikaturen aus drei Jahren Eurokrise]
Haben Sie bei der Bundestagswahl noch FDP gewählt?
Nein, denn sie hat sich antieuropäisch verhalten. Ich habe die Große Koalition gewählt.
Und Ihr Abgang hat gar nichts mit der Plagiats-Affäre zu tun?
Nein! Warum hätte ich denn nicht wieder aufgestellt werden sollen? Hätte es einen glaubwürdigeren Vertreter für die antigriechische Politik der FDP gegeben, als jemanden mit einem griechischen Namen?
Listenplatz drei hätte ich auch zum vierten Mal hintereinander verteidigen können. Außerdem: Nehmen Sie Frau Schavan, sie hat genau dieselben Probleme, und sie wurde mit 99-prozentiger Zustimmung wieder von der CDU als Kandidatin für den Bundestag aufgestellt.
Aber Ihre Parteifreundin Koch-Mehrin musste weichen…
Jeder Fall ist anders. Noch einmal: Ich gehe nicht wegen des Doktortitels, sondern weil ich mich während der schwarz-gelben Koalition von der FDP entfremdet habe. Mit Christian Lindner, den ich sehr schätze, ebenso wie mit Alexander Graf Lambsdorff, hat die FDP eine Chance auf einen Neuanfang. Aber das ist nicht mein Projekt. Ich will Griechenland helfen.
In Griechenland haben Sie die Partei der hellenischen Europabürger gegründet. Sieht man Sie dort nicht als Deutschen, der die verhasste Politik Merkels vertritt?
Ja, am Anfang mag das so gewesen sein. Aber ich habe einen Vorteil: Ich spreche ein einfaches Griechisch, ich kann und will nicht so weitschweifig reden, wie es viele Griechen von ihren Politikern gewohnt sind, stattdessen komme ich schnell auf den Punkt. Deshalb verstehen mich die Leute. Ich werde mittlerweile als griechischer Patriot wahrgenommen, der nichts mehr mit Merkels Euro-Politik zu tun haben möchte.
Das sind starke Worte…
Ja, aber so empfinden es die Griechen. Sie fühlen sich von Merkel drangsaliert. Sie hat meiner Ansicht nach in der Eurokrise über die Köpfe der Menschen in Griechenland hinweg entschieden. Sie hat eine visionsfreie, Bürgerrechts-vernichtende und gesellschaftsfeindliche Politik vertreten. Merkel spricht ja nicht direkt zu den Griechen, sie schickt die Troika vor. Griechenland ist meiner Ansicht nach eine Kolonie der Gläubiger geworden, vertreten durch die Troika. Und über all das bestimmt Frau Merkel, die sitzt in Berlin. So sehen es die Menschen.
Sie ist aber nicht allein, sie hat zum Beispiel einen Finanzminister…
…den hat sie doch nahezu entmachtet. Merkel ließ ihrem früheren wirtschaftspolitischen Berater und jetzigen Bundesbankpräsidenten Weidmann zu viel Raum, sie schränkte Bundesfinanzminister Schäuble systematisch ein, dabei hatte der gute Ideen. Schäuble ist ein überzeugter, ehrlicher Europäer. Merkel hingegen ist wie eine Fahrerin im Nebel, sie fährt auf Sicht, ohne Vision.
Lässt sie sich zu sehr von bestimmten Medien leiten? Als Griechenland 2009 in die Krise rutschte, gab es ja eine regelrechte Kampagne gegen die „Pleite-Griechen“…
Das war schlimm, ich habe dazu ja schon einiges gesagt, aber ich bin für freie Medien, ich will das nicht weiter kommentieren. Schließlich befinde ich mich als Deutsch-Grieche ja selbst in einem medienpolitischen Minenfeld. Letztlich gebe ich nicht den Medien die Schuld, sondern der Politik. Es würde ja schon reichen, wenn Frau Merkel wahrhaftig wäre und endlich einmal darüber reden würde, dass Deutschland von der Eurokrise profitiert! Diese Regierung hat in der Vergangenheit 114 Milliarden Euro an Zinsen eingespart. Das hat die Bundesregierung selbst ausgerechnet, doch niemand redet darüber! Vielleicht war es ja Merkels Ziel, dass Deutschland an der Krise der anderen auch noch verdient. Das ist ihr gutes Recht, aber dann sollte sie es wenigstens offen sagen.
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Aktuell fragen sich viele in Brüssel und Athen, wie es mit dem griechischen Schuldendrama weitergeht. Merkel hat die Entscheidung auf die Zeit nach der Europawahl verschoben. Ist das ein neuer Betrug am Wähler?
Natürlich wird man nach der Wahl Griechenland ein neues Paket anbieten. Und natürlich möchte Merkel das jetzt noch nicht zugeben, denn sie hat Angst vor der AfD. Wenn sie jetzt irgendwelche Zusagen macht, könnten ja die Eurogegner zulegen. Meine Antwort ist: Was ist schon dabei, wenn zwei zusätzliche AfD-Vertreter ins EU-Parlament gewählt werden? Wir können doch nicht für zwei oder drei Abgeordnete, die Merkel vermeintlich für ihre Mehrheit fehlen, zuschauen, wie die griechische Neugeborenensterblichkeit ungekannte Ausmaße erreicht, wie Forscher aus Oxford herausgefunden haben.
Und Sie geben Griechenland wieder Hoffnung?
Ja, das Land könnte Europa retten: Seine klassischen Werte sind Autonomie, die Mitmach-Demokratie, Freiheit im Staat und nicht vom Staat, die Suche nach Gemeinsinn und Glück. Mit diesen Parametern können wir Hellenen eine nachhaltige Gesellschaft werden. Das ist meine Botschaft.
Nie wieder FDP?
Ich werde Fördermitglied der FDP. Wenn mich liberale Parteigruppen auch künftig im Europaparlament oder in Griechenland besuchen wollen, sind sie herzlich willkommen!
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