- „Ich will die Leute nicht für dumm verkaufen“
Mit 22 Jahren war er jüngster Abgeordneter aller Zeiten. Der einstige Grünschnabel ist heute mit seinen 35 Jahren immer noch jung und gleichzeitig fast schon ein alter Fuchs, der sich auskennt im Parlamentsbetrieb. Ein Porträt
Am Anfang war er einfach nur der „jüngste Abgeordnete aller Zeiten“, und als er, gerade 22 Jahre alt, mit dem Zug aus Erfurt in Bonn ankam, der damals noch nicht abgewickelten Bundeshauptstadt, wurde er am Hauptbahnhof von Rundfunk- und Fernsehteams empfangen wie ein Popstar. Das war 1998. Damals trug Carsten Schneider noch eine lustige Igelfrisur, sah neugierig durch seine dicke Brille und sagte Sätze wie: „Man sollte nicht länger als zwölf Jahre im Bundestag bleiben, danach verblödet man.“
Der einstige Grünschnabel – inzwischen verheiratet und Vater zweier Töchter – ist mit seinen 35 Jahren immer noch jung. Aber verblödet ist er nicht, sondern im Gegenteil fast schon ein alter Fuchs, der sich auskennt im Parlamentsbetrieb: Einer der weiß, wie man um Mehrheiten und Kompromisse feilscht, wann man sich mit wem verbündet, um ans Ziel zu kommen, und wie man es schafft, die Nummer eins auf der Landesliste zu bleiben.
Wenn es im Bundestag um Soll und Haben geht, ums Sparen oder ums Schuldenmachen, um Euro-Rettungsschirme oder die europäische Fiskalunion, gehört er zu denen, die als Erste dem CDU-Finanzminister Wolfgang Schäuble Paroli bieten. Er sitzt dann in der ersten Reihe, neben Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier und dem Ersten Parlamentarischen Geschäftsführer Thomas Oppermann, und wenn er ans Rednerpult geht, hört ihm auch Schäuble aufmerksam zu. Denn Schneider ist der haushaltspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Und sein Wort hat Gewicht.
Er ist ein gefragter Interviewpartner und mit fachkundigen Beiträgen sowohl in der Süddeutschen Zeitung als auch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung ein gern gedruckter Gastautor. Unermüdlich wirbt er – übrigens auch unter Genossen – für größere Sparanstrengungen. Das ist sein Generalthema. Für die Schuldenbremse im Grundgesetz hat er schon gekämpft, als das in der SPD noch eine Minderheitsposition war. Dass die schwarz-gelbe Koalition, trotz gegenteiliger Beteuerungen, bei sprudelnden Steuereinnahmen und stabiler Konjunktur, nicht weniger spart, sondern noch mehr Schulden aufnimmt, macht ihn wütend. Damit werde die Zukunft des Landes „verjuxt“, zürnt er. Im Parlament brachte er unlängst den Finanzminister mit Zwischenfragen in Verlegenheit, weil der zu dem Zeitpunkt noch nicht zugeben wollte, dass hinter dem Rücken der Parlamentarier längst in Brüssel über die sogenannte „Hebelung“ des europäischen Rettungsfonds verhandelt wurde.
Dabei ist er kein brillanter Rhetoriker, kein bunter Paradiesvogel, kein eitler Selbstdarsteller, kein Entertainer, der sein Publikum mitreißt, sondern von allem fast das Gegenteil: grundsolide, trocken und auf den ersten Blick so grau wie die Anzüge, die er meistens trägt. „Warum sind Sie so ein Langweiler?“, wurde er einmal gefragt. Und er antwortete: „Ich weiß schon, mit Sparen mobilisiert man keine Massen. Das klingt nicht nach großem Wurf. Aber ich will die Leute nicht für dumm verkaufen.“ Das sei, räsonierte er damals, „vielleicht ein Stück weit meine Ostprägung“. Er war 13 Jahre alt, als die DDR zusammenbrach. Und er hat aus dem Einsturz des auf Illusionen und leeren Verheißungen gegründeten Systems als Berufspolitiker eine einfache Lehre gezogen: „Man führt die Leute nicht an der Nase herum.“
Dass er gleich im Herbst 1998 Mitglied des Haushaltsausschusses wurde, was anderen Parlamentariern in der Regel frühestens nach ein oder zwei Legislaturperioden gelingt, verdankt er einem Zufall: Eigentlich war dem gelernten Bankkaufmann ein Platz im Finanzausschuss versprochen, aber dort musste ein anderer Genosse untergebracht werden.
Als Ersatz wurde ihm der Platz im Haushaltsausschuss angeboten, und damit ein Sitz im „Olymp“ des Parlaments. Denn wer hier Platz nimmt, hat mehr Einfluss und Macht als mancher Minister, weil er darüber entscheidet, welches Projekt prioritär finanziert wird und welches nicht – und zwar unabhängig davon, ob man der Regierungspartei angehört oder der Opposition. Haushälter sind deshalb auch immer eine verschworene Gemeinschaft und untereinander fast immer per „Du“. Das hilft gelegentlich – auch bei kontroversen öffentlichen Debatten.
Eine verschworene Duz-Gemeinschaft ist auch der „FC Bundestag“, in dem Schneider von Anfang an mitgekickt hat und dessen Vizepräsident er jetzt geworden ist. Als er 1998 dort anfing, spielten noch der heutige Bundestagspräsident Norbert Lammert mit und Wolfgang Bosbach, inzwischen der einflussreiche Vorsitzende des Innenausschusses. Man kennt sich, man duzt sich und man hilft sich – auch über Parteigrenzen hinweg.
Mit Steffen Kampeter, dem langjährigen Haushälter der CDU und
inzwischen Parlamentarischer Staatssekretär im Finanzministerium,
hat sich der junge Mann aus dem Osten schon früh angefreundet. Man
ist Konkurrent, aber man geht pfleglich miteinander um. Ob er
selbst einmal Minister werden will, weiß er nicht. „Natürlich traue
ich mir das zu. Aber im Grunde bin ich ein leidenschaftlicher
Parlamentarier.“ Nur eines strebt er 2013 nicht an: Vorsitzender
des Haushaltsausschusses. Denn dieser Posten steht traditionsgemäß
der Opposition zu.
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