- Hungern ohne Hoffnung am Brandenburger Tor
Sie fordern nicht weniger als ein Ende des Abschiebegesetzes: 20 Flüchtlinge sind seit über einer Woche im Hungerstreik vor dem Brandenburger Tor. Vereinzelt geben sich Grüne und Piraten solidarisch. Doch sie wissen, dass die Asylbewerber chancenlos sind
Hans-Christian Ströbele umkreist die Gruppe erneut, bleibt kurz stehen, hält inne und läuft dann doch weiter. Ein bisschen verloren wirkt das Grünen-Urgestein. Sein Gesichtsausdruck schwankt zwischen Betroffenheit und aufmunterndem Lächeln. „Schlimm“, hört man ihn murmeln. Entweder sie kennen ihn hier nicht oder schenken ihm wie den anderen Politikern, die vorbeischauen, demonstrativ keine Beachtung. Seit acht Tagen sind 20 Asylbewerber im Hungerstreik – auf dem Pariser Platz, direkt vor dem Brandenburger Tor. Zwischen Touristenströmen, Pferdekutschen und Straßenmusikern halten sie Transparente hoch, auf denen Parolen wie „Kein Mensch ist illegal“ stehen. Anfang Oktober waren einige Dutzend Asylsuchende zu Fuß von Regensburg nach Berlin gekommen, mit ihrem Marsch wollten sie Aufmerksamkeit schaffen für die „katastrophale Situation von Flüchtlingen in Deutschland“. Ein Ende der Residenzpflicht, die Anerkennung aller Asylsuchenden und nicht weniger als die Abschaffung des Abschiebegesetzes fordern sie. Die Anliegen haben sich nicht geändert, nur die Mittel mussten sie verschärfen.
„Wir wollten die Regierung unter Druck setzen“, sagt Flüchtling Houmer H. (21). Genau wie seine Mitstreiter nimmt er nur noch Flüssiges zu sich. Die Situation in seinem „Lager“, wie er den Aufenthaltsort während der drohenden Abschiebung bezeichnet, war schrecklich. „Ich wollte etwas tun.“ Er versteht sich als „politischen Flüchtling“, hat Dinge getan, die gegen die iranische Regierung waren, sagt er, – „aber wie soll ich das nachweisen?“ Houmer H. ist aus dem Iran in die Türkei geflohen, kam nach Griechenland, Italien und von dort aus nach Deutschland. Jetzt sitzt er auf dem Pariser Platz. Seit eineinhalb Jahren wartet er auf den Bescheid, ob er bleiben darf oder nicht, ob er zurück muss in den Iran oder zumindest für eine gewisse Zeit in Deutschland bleiben darf. „Eigentlich gibt es mich ja gar nicht“, sagt er. Deshalb falle ihm all das nicht so schwer: Das Hungern, das Ausharren und neuerdings auch das Frieren. Seine Situation sei sowieso ausweglos.
Die Berliner Bezirksverwaltung untersagt der Gruppe die Nutzung von Schlafsäcken, Zelten und Decken. Angemeldet ist der Hungerstreik als Mahnwache und dabei sind derartige Hilfsmittel verboten. Sonst könnte ja jeder eine Zeltstadt auf dem Pariser Patz aufbauen, lautet die Argumentation des Bezirksamtes – Sondergenehmigung abgelehnt. Am Rande des Pariser Platzes stehen drei Einsatzbusse der Polizei. Immer wieder wird kontrolliert, ob die Flüchtlinge sich nicht doch wärmen.
An diesem Tag ist der erste der 20 ins Krankenhaus gekommen. Ohne Essen lässt es sich lange auskommen, nur zehrt die Kälte zusätzlich an den Kräften, meint Dirk Stegemann. Er ist Vollzeitaktivist, setzt sich für die Belange der Asylsuchenden ein und hat die Mahnwache bei der Verwaltung angemeldet. Die Flüchtlinge sitzen auf dem Boden, geschützt nur durch Regenschirme.
Seite 2: Verhandeln auf Augenhöhe
„Das ist einfach nur Schikane und gegen die Menschenwürde“, findet Marius. Er studiert Psychologie in Berlin und ist hierher gekommen, um zu helfen. „Das liegt ja nicht in der Entscheidung der Polizisten, dass es keine Schlafsäcke hier geben darf. Das kommt von oben“, meint er. Eine Zermürbungstaktik, vermutet Dirk Stegemann. „Es bedeutet eine Beschränkung der Versammlungsfreiheit“, sagt er. Wenn Decken verboten seien, dann käme das einem Verbot von Hungerstreiks im Winter gleich. Es ist viel von Menschen- und Grundrechten auf dem Platz die Rede. Dirk Stegemann erzählt, wie er an diesem Tag einen Polizisten angesprochen hat – ob der sich denn bewusst sei, dass er gegen die Menschenrechte verstoße, wenn er die Decken einsammele. Achselzucken beim Beamten.
Im Moment geht es darum, ob die Streikenden bleiben dürfen auf dem Platz vor dem Brandenburger Tor. Immer wieder fürchten sie Räumungen durch die Polizei. „Besonders in den Morgenstunden, wenn keine Touristen hier sind“, sagt Stegemann. Wie er haben sich etwa zwei Dutzend Unterstützer gefunden, die regelmäßig vor Ort sind, die Asylsuchenden mit Hilfe zur Seite stehen. Eine große Bewegung sieht anders aus.
„Wohin soll das führen?“, fragt eine Touristin. Dirk Stegemann sagt: Die Ziele sind bekannt. Alle hier wissen, dass es einem kleinen Wunder gleich käme, wenn die Asylpolitik soweit liberalisiert würde, wie sie es fordern. Erst kürzlich entschied der Bundesgerichtshof, dass die Bezüge von Asylbewerbern angehoben werden sollen. Dass sie unter miserablen Bedingungen in Deutschland leben – inzwischen ein Allgemeinplatz. Nur wer soll durch diesen Hungerstreik unter Druck geraten? Derzeit sind es die Berliner Polizei und die Senatsverwaltung, denen die Streikenden unmenschliches Verhalten vorwerfen. An der bundesweiten Asylpolitik ändert das wenig. Langsam müssen sie sich über Minimalforderungen verständigen.
Houmer H. will bleiben. Wie lange, das weiß er noch nicht. „Wir wollen auf Augenhöhe mit der Regierung über eine neue Asylpolitik verhandeln.“ Hans-Christian Ströbele sagt: „Die geraten langsam unter Druck.“ Dabei nickt er in Richtung Bundestag. Er muss das sagen. Und dabei wird er genau wissen, dass es nicht stimmt.
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