- Streit um die doppelte Staatsbürgerschaft
SPD und CDU ringen um die doppelte Staatsbürgerschaft. Für die Sozialdemokraten ist sie ein Muss, für die Union ein Graus. Kann es eine gemeinsame Lösung geben?
Es ist einer der größten Streitpunkte zwischen Union und SPD. Vor allem einer, an dessen Ende es eigentlich nur Schwarz oder Weiß gibt. Besonders Kinder mit türkischen Eltern sind von der deutschen Doppelpass-
Regelung betroffen.
Was sieht die bisherige Regelung genau vor?
Die aktuelle Regelung besagt, dass in Deutschland geborene Kinder von ausländischen Eltern, die keine Deutschen sind, neben der Staatsangehörigkeit ihrer Eltern auch die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten. Allerdings gibt es Einschränkungen: Ein Elternteil muss seit acht Jahren in Deutschland leben und zum Zeitpunkt der Geburt ein unbefristetes Aufenthaltsrecht besitzen.
Außerdem, und das ist der Knackpunkt in den Koalitionsverhandlungen, muss sich das Kind mit den zwei Pässen im Alter zwischen 18 und 23 Jahren für einen Pass entscheiden. Aber es gibt Ausnahmen der Regel. So können beispielsweise viele Bürger aus anderen EU-Staaten, Schweiz oder den USA ihre zwei Pässe behalten. Außerdem gibt es rund 40 Länder wie Argentinien, Iran oder Marokko, die sich weigern, ihre Bürger aus der Staatsbürgerschaft zu entlassen.
Wer ist von der Regelung betroffen?
Automatisch erhalten Kinder, die nach dem 1. Januar 2000 geboren wurden, neben der Staatsangehörigkeit ihrer Eltern auch die deutsche. Allerdings können auch Kinder, die zwischen 1990 und 1999 geboren wurden zusätzlich zu ihrem vorhanden Pass einen deutschen beantragen. Deshalb läuft 2013 auch für die ersten sogenannten „Optionskinder“ die Frist zur Entscheidung für eine Staatsbürgerschaft ab. Denn die 1990 geborenen Kinder werden in diesem Jahr 23 Jahre alt und müssen sich demnach für eine Staatsbürgerschaft entscheiden.
Laut Mikrozensus 2012 gibt es in Deutschland insgesamt 1,4 Millionen Menschen mit Doppelpass. Diese Angaben beruhen auf einer Selbstauskunft. Die Meldebehörden wiederum kommen auf einen anderen Wert. Demnach gibt es 5,5 Millionen Menschen mit Doppelstaatlichkeit in Deutschland. Gründe für diese Differenz lassen sich laut Statistischem Bundesamt nur erahnen. So könnte es sein, dass viele gar nicht wüssten, dass sie zwei Pässe haben. Oder, dass es viele nicht wahrhaben wollten und sich nur einer Staatsangehörigkeit wirklich verbunden fühlten. Laut den Statistikern in Wiesbaden gibt es jährlich rund 30 000 sogenannte Optionskinder.
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hatte in einer Untersuchung aus dem Jahr 2011 festgestellt, dass es einem Drittel der Befragten lieber gewesen wäre, sich nicht entscheiden zu müssen. In der Studie gaben aber 98 Prozent an, sich für die deutsche Staatsangehörigkeit zu entscheiden. 176 junge Erwachsene des optionspflichtigen Jahrgangs 1990 haben sich bisher in diesem Jahr gegen eine deutsche Staatsbürgerschaft entschieden. Das geht aus einer Antwort auf eine Anfrage der Linken an die Bundesregierung hervor.
Durch die zahlreichen Ausnahmeregelungen ist das Thema doppelte Staatsangehörigkeit besonders für Kinder türkischer Eltern interessant. Laut Statistischem Bundesamt gab es 2012 69 000 türkische Optionskinder. Das sind 37,9 Prozent aller deutschen Doppelstaatler mit türkischer Staatsangehörigkeit.
Was ist von der großen Koalition hinsichtlich der doppelten Staatsbürgerschaft zu erwarten?
Das ist noch völlig offen. Derzeit wirken die Differenzen recht unüberbrückbar. SPD- Parteichef Sigmar Gabriel hat es zur Bedingung für ein Bündnis mit der Union erklärt. Auf den ersten Blick erscheint das etwas überzogen. Denn die doppelte Staatsbürgerschaft ist kein zentrales Wahlkampfthema der SPD gewesen. Es ist für die SPD eher ein taktisches Element. Viele, vor allem türkische Migranten, sympathisieren mit der SPD. Es ist zudem ein gesellschaftspolitisches Thema, mit dem die Partei punkten kann, da es auf anderen gesellschaftspolitischen Feldern wie beispielsweise der Gleichstellung homosexueller Lebenspartnerschaften wohl keine Bewegung geben wird. Außerdem wollen die Sozialdemokraten damit das rot-grüne Projekt vollenden. Als Rot-Grün im Jahr 2000 das Staatsbürgerschaftsrecht reformierte, fehlte ihnen eine Mehrheit im Bundesrat.
Schuld daran war Roland Koch. Der Christdemokrat sicherte sich bei der Landtagswahl 1999 eine Mehrheit – mit einer Unterschriftenkampagne gegen den Doppelpass. Als Kompromiss wurde der Optionszwang eingeführt. Der sieht vor, dass in Deutschland geborene Kinder von Einwanderern sich im Alter zwischen 18 und 23 Jahren für eine Staatsbürgerschaft entscheiden müssen. Die SPD will diesen Optionszwang nun wieder abschaffen. Dagegen wehrt sich die Union. Insbesondere Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) ist strikt gegen eine Abschaffung des Optionsmodells. Als Entgegenkommen bietet die Union eine Ausweitung der Optionsregel an, wonach sich Einwandererkinder erst bis zum 30. Lebensjahr entscheiden müssten. Auch solle es eine Art Rückkehrrecht zur deutschen Staatsbürgerschaft geben, wenn sich jemand für die Staatsbürgerschaft der Eltern entschieden hatte. Für die SPD ist das als Grundlage für ernsthafte Gespräche in der Arbeitsgruppe Innen und Recht der Koalitionsverhandlungen nicht ausreichend gewesen. Die Parteichefs werden das Thema entscheiden – allerdings nicht vor dem Wochenende, wenn die CSU zu ihrem Parteitag zusammenkommt. CSU-Chef Horst Seehofer hat bereits Gesprächsbereitschaft beim Thema Doppelpass signalisiert und steht damit Friedrichs Position entgegen.
Es wird in dieser Frage nur zwei Möglichkeiten geben: entweder die SPD gibt ihre Position auf und verzichtet auf die Abschaffung des Optionszwanges oder die Union gibt nach. Auch in beiden Lagern heißt es, dies sei kein Thema wo man sich in der Mitte treffen könne. Seehofer hat zwar Bewegung signalisiert, allerdings dürfte das nur für den Fall gelten, dass sich die Gegenseite bei anderen Themen bewegt – der Pkw-Maut für Ausländer zum Beispiel. Denn der Doppelpass ist nicht nur für die SPD wichtig, auch für das konservative Profil der Union ist das Thema nicht zu unterschätzen. Eine Entscheidung pro Doppelpass, so wird befürchtet, könnte wie ein Annäherungssignal Richtung Türkei gedeutet werden.
Wie wird das Thema in der Türkei diskutiert?
Die Türkei, um deren Bürger es in diesem Streit vornehmlich geht, fordert seit langem eine Zulassung der doppelten Staatsbürgerschaft. Der für die rund fünf Millionen Auslandstürken zuständige Vizepremier Bekir Bozdag kritisiert das deutsche Optionsmodell als diskriminierend. Ankara will aber nicht bloß abwarten, bis Deutschland seine Haltung ändert. Im Alltag haben die Türken einen Weg gefunden, jenen Landsleuten zu helfen, die sich für den deutschen Pass entscheiden, ihre Rechte in der Türkei aber nicht völlig aufgeben wollen. Sie können eine so genannte Blaue Karte (Mavi Kart) beantragen, die von türkischen Behörden als Personalausweis anerkannt wird. Mit der Blauen Karte bekommt ein türkischstämmiger Deutscher in der Türkei eine Ausweisnummer, die für viele Bereiche des öffentlichen Lebens – vom Autokauf über Behördengänge bis zum Kleinkredit – unverzichtbar ist. Zudem hat er bei Wohnort- und Arbeitsplatzwahl, in Erbangelegenheiten und beim Immobilienkauf oder –verkauf dieselben Rechte wie ein türkischer Staatsbürger. Wählen oder Beamter werden darf er aber nicht.
Rund 600 000 türkischstämmige Deutsche besitzen laut Medienberichten eine Blaue Karte. Sollte sich die geplante große Koalition in Berlin auf die Zulassung der Mehrstaatigkeit verständigen, könnten viele von ihnen neben ihrem deutschen auch noch einen türkischen Pass beantragen.
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