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Generation Parka

Im Fernsehen lief „Dallas“, auf den Straßen marschierte die Friedensbewegung, und in mancher WG-Badewanne wurde die Latzhose lila gefärbt. Was prägte den Jahrgang 1960, das Geburtsjahr von Nena und Gloria von Thurn und Taxis?

Die Jubilare sind unterschiedlich. Es ist gut möglich, dass sie einander nie getroffen haben: die Sängerin Nena und Infineon-Manager Peter Bauer, Gloria von Thurn und Taxis und der stellvertretende Bundesvorsitzende der FDP, Andreas Pinkwart, der Maler Neo Rauch, Fußballtrainier Joachim Löw und der Regisseur Christoph Schlingensief. Sie alle feiern im Jahr 2010 ihren 50. Geburtstag. Das verbindet mehr als man zunächst denkt. Vom Wein heißt es: Entsteht er in kühleren Ländern – zu denen Deutschland ja gehört –, so zeigt jeder Jahrgang seine Eigenheit und seine spezifische Note. Zweifelsohne gehört der Jahrgang 1960 zu einer Generation, die durch gemeinsame Geschichte geprägt ist. Um im Sinne des Soziologen Karl Mannheim zu sprechen: Die Jubilare verbindet das Aufwachsen im gleichen historisch-sozialen Raum, in der gleichen historischen Lebensgemeinschaft. Bestimmte geistige Strömungen ihrer Zeit haben sie alle beeinflusst. Fangen wir bei der gemeinsamen Geschichte dieser Prominenten an, von denen einer, Neo Rauch, in der ehemaligen DDR aufwuchs. Als sie ein Jahr alt waren, wurde die Grenze zwischen Westberlin und der damaligen DDR geschlossen. Mit acht Jahren waren sie noch zu jung, um den Prager Frühling bewusst zu erleben: Damals schlug das Sowjetregime Aufständische in Prag nieder. Jeden von ihnen haben später Geschichten von DDR-Bürgern bewegt, die versuchten, über den „Antifaschistischen Schutzwall“ zu fliehen, und die bisweilen dafür starben. In ihrem 14. Lebensjahr kam es zu dem einzigen Fußballspiel zwischen den beiden deutschen Nationalmannschaften in Hamburg, das die DDR mit 1:0 gewann. In ihrer Jugend gab es nicht mal eine Handvoll Fernsehprogramme. Im Osten beschafften sich viele Westfernsehen, und so wuchsen alle mit Figuren aus Fernsehserien wie „Dallas“ auf und mit Quizfragen von Wim Thoelke, mit der Show „Disco“ von Ilja Richter und mit dem DDR-Pendant „Ein Kessel Buntes“. Vielleicht tanzten sie gerade mit ihrer ersten Liebe, während Supertramps „Logical Song“ aus einem knisternden Plattenspieler erklang. Oder sie grölten „Rock me Amadeus“ zusammen mit Falko. Es war die Zeit der Neuen Deutschen Welle, von Kiss und Genesis. In der DDR ertönte politische Propaganda aus dem schwarzen Kanal, aber viele hörten weg. Sie waren Teenager, als die Ölkrise die Weltwirtschaft erschütterte und Westdeutschland mit der Roten Armee Fraktion den heißen Herbst erlebte. Hüben wie drüben fehlte ihnen der ideologische Überbau, um sich mit den Aktionen der Roten Armee Fraktion zu identifizieren. Für sie waren das keine Freiheitskämpfer, sondern schwarz gekleidete Gestalten im Fernseher, die Angst und Wut auslösten, oder kurz: Mörder. Auf ihrem Weg zum Erwachsensein wurden manche Punker, andere Skinheads; im Westen ruinierten Frauen Badewannen zum Färben von lila Latzhosen. Das Kleidungsstück galt als Symbol der Frauenbewegung, die bisweilen den Eindruck vermittelte, am liebsten ganz ohne Männer auszukommen. Weder die Mode noch die Frauenbewegung verbreiteten sich in der DDR. Aber dunkelgrüne Parkas und Levis-Jeans waren hüben wie drüben populär. In ihre Teenagerjahre fielen Demonstrationen gegen die Startbahn West des Frankfurter Flughafens und gegen das Kernkraftwerk Brokdorf, später gegen die Stationierung der Pershing-II-Raketen. Die Straßenmärsche blieben den ostdeutschen Altersgenossen verwehrt, aber nicht die Diskussionen. Man sorgte sich um das Waldsterben und dachte nicht erst über den Schutz der Umwelt nach, als der Reaktor in Tschernobyl im Jahre 1986 explodierte. Die Westdeutschen hatten Hausbesetzerszenen und ein Biotop Westberlin, in dem man endlich den eigenen Lebensentwurf gestalten konnte. Dort fand im Jahr ihrer Volljährigkeit der Tunix-Kongress statt. Dabei ging es weniger um das Nichtstun als vielmehr um die Praxis des alternativen Lebens. „Wir hauen alle ab zum Strand von Tunix.“ Als eine Folge des Kongresses gründete sich in ihrem zwanzigsten Lebensjahr die Partei der Grünen. Der Jahrgang 1960 gehört zur ersten Generation der Mülltrenner. Außerdem tendieren diese Deutschen dazu, nur eine bestimmte Biersorte zu kaufen, wenn deren Hersteller sich gleichzeitig gegen das Waldsterben engagiert. Anstatt gegen das System zu revoltieren, pflegen sie eher politische Netzwerke. Die amerikanischen Bestsellerautoren Neil Howe und William Strauss bezeichnen den Anfang der sechziger Jahre in den USA als Beginn einer neuen Generation, die sie die 13. Generation nennen und die ihrer Ansicht nach bis zum Jahre 1981 reicht. Diese wolle komfortabel leben und nicht unbedingt eine bedeutsame Lebensphilosophie finden. Das ist offenbar auch in Deutschland so. Nena singt von „99 Luftballons“, nicht von Politik. Aufführungen von Regisseur Christoph Schlingensief sind keine Revolte gegen das System, sondern höchstens ein individueller Aufschrei gegen den „bequemen Staat“ und die „müde Gesellschaft“. Dieser Jahrgang kam zu spät zur Revolte der Achtundsechziger, aber noch rechtzeitig, um den Aufbruch von 1989 mitzugestalten. Für ihn ist der Staat keine Bedrohung mehr. Von ihm erhofft er sich Schutz in einer bedrohten Welt, in der aber das Individuum sich selbst behaupten muss. Das ist nicht unbedingt zynisch oder opportunistisch, sondern zunächst einmal pragmatisch.

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