- Ein Jahr Sitzung und nichts ist aufgeklärt
Für Sebastian Edathy hat sich die Kinderporno-Affäre mit einer Strafzahlung erledigt. Nun ist auch SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann davongekommen: Der Untersuchungsausschuss konnte ihm trotz akribischer Nachfragen nicht nachweisen, dass er seinen Parteikollegen vor den Strafermittlungen gewarnt hatte
Wer informierte den früheren SPD-Bundestagsabgeordneten Sebastian Edathy darüber, dass gegen ihn wegen des Besitzes von Kinderpornos ermittelt wurde? Hat die SPD-Spitze Druck auf ihn ausgeübt, sein Mandat niederzulegen? Gab es Durchstechereien aus niedersächsischen Justizkreisen?
Auch nach einem Jahr intensiver Aufklärungsarbeit bleibt offen, wer in der Affäre gelogen und wer die Wahrheit gesagt hat. Der Untersuchungsausschuss des Bundestages, der sich seit genau einem Jahr in über 40 Sitzungen bemühte, Licht in das Dunkel zu bringen, hat am Donnerstag seine Zeugenbefragungen abgeschlossen. Fest steht bisher nur, dass Edathy gewarnt worden war. Wer ihn informierte und sich damit strafbar gemacht haben könnte, müssen nun Gerichte klären.
Oppermann kriegten sie nicht
Thomas Oppermann jedenfalls ist – so wie es jetzt aussieht – einstweilen aus dem Schneider. Der Chef der SPD-Bundestagsfraktion war der letzte Zeuge. Vor zwei Wochen war er vorübergehend in den Verdacht geraten, er habe noch früher als sein Parteichef Sigmar Gabriel von den Ermittlungen gewusst. Am letzten Verhandlungstag wurde er durch ein Schreiben des Bundeskriminalamtes entlastet. Alle Versuche aus den Reihen von Union, Grünen- und Linksfraktion, ihn in Widersprüche zu verwickeln oder von früheren Aussagen abzubringen, waren erfolglos. Oppermann blieb bei der Darstellung, die er schon am 18. Juni gegeben hatte. Es gelang auch den hartnäckigsten Fragestellern nicht, seine Aussagen zu widerlegen oder seine Glaubwürdigkeit zu erschüttern.
Besonders ein Detail, das vor zwei Wochen noch eine große Rolle gespielt und den SPD-Politiker in Bedrängnis gebracht hatte, wurde ohne Oppermanns Zutun zu seinen Gunsten aufgeklärt.
Es ging um den Telefonanruf Oppermanns beim BKA-Präsidenten Jörg Ziercke am 17. Oktober 2013. Es war der Tag, an dem der damalige Innenminister Hans-Peter Friedrich am Rande der Sondierungsgespräche mit der SPD den Parteivorsitzenden Sigmar Gabriel über den Porno-Verdacht gegen Edathy informiert hatte. Gabriel hatte ausgesagt, er habe daraufhin sofort Frank-Walter Steinmeier und am späteren Nachmittag auch Oppermann eingeweiht. Der wiederum sagte, er habe unmittelbar nach Gabriels Anruf Ziercke im BKA angerufen, um sich zu vergewissern, ob der Verdacht wirklich zuträfe. Den genauen Zeitpunkt wusste er nicht mehr. Später hieß es dann, ein BKA-Beamter habe auf dem Display des Telefons, von dem aus Ziercke mit Oppermann sprach, die Uhrzeit 15:29 Uhr abgelesen.
All die Aufregung wegen falscher Sommerzeit
Demnach hätte Gabriel den damaligen Fraktionsgeschäftsführer Oppermann nicht erst am „späten“, sondern schon am „frühen“ Nachmittag informieren müssen. Weil er ursprünglich sogar eingeräumt hatte, es könne auch sein, dass er Oppermann erst am folgenden Tag anrief, war dieser in Erklärungsnot geraten. Wie sollte er am 17. Oktober um 15:29 Uhr mit Ziercke über den Fall telefoniert haben, wenn er doch angeblich erst am späten Nachmittag oder vielleicht gar erst am nächsten Tag davon erfuhr?
Um diese nicht unwichtige Frage drehte sich die erste Vernehmung des Fraktionschefs vor zwei Wochen am 18. Juni. Immerhin hatte Gabriel bei dieser Vernehmung eingeräumt, dass er mit großer Wahrscheinlichkeit nicht erst am nächsten, sondern noch am gleichen Tag Oppermann informiert habe. Und zwar deshalb, wie er hinzufügte, weil er die Sache möglichst schnell loswerden wollte. Allerdings kam diese Klarstellung so spät am Abend, dass sie von vielen Medien nicht mehr wahrgenommen wurde.
Nun scheint festzustehen, dass ein technischer Defekt der Auslöser der ganzen Aufregung war. Auf dem Display des von Ziercke genutzten Telefons sei damals die Winterzeit angezeigt worden, teilte das BKA mit – tatsächlich aber habe der Anruf zur Sommerzeit und damit eine Stunde später stattgefunden. Der Hersteller der Telefonanlage habe dies bestätigt.
Als die Ausschuss-Vorsitzende Eva Högl diesen Sachverhalt gleich zu Beginn der zweiten Vernehmung Oppermanns bekannt gab, war allen Beteiligten klar, dass damit ein zwar kleines, aber für Oppermanns Glaubwürdigkeit entscheidendes Detail zu seinen Gunsten geklärt war. Sichtlich entspannt lehnte sich der Fraktionsvorsitzende daraufhin zurück, und es gelang in den folgenden Stunden trotz intensiver Bemühungen nicht, ihn auch nur ansatzweise in Verlegenheit zu bringen.
Wer informierte Sebastian Edathy?
Oppermann blieb bei seiner Darstellung, dass er erst an diesem besagten 17. Oktober von der Sache erfahren habe. Das Gerücht, er sei möglicherwiese aus niedersächsischen Justizkreisen eingeweiht gewesen, wies er ausdrücklich zurück. Auch habe er den SPD-Abgeordneten Michael Hartmann weder über den Verdacht informiert, noch dazu angestiftet, Edathy zum Mandatsverzicht zu drängen. Wer Hartmann informiert haben könnte, sei ihm nicht bekannt. Er jedenfalls sei es nicht gewesen.
Auch für die Presseerklärung, die den amtierenden Innenminister Hans-Peter Friedrich am 12. Februar 2014, zwei Tage nach der Hausdurchsuchung bei Edathy, als Informanten der SPD-Spitze outete, hatte Oppermann eine einleuchtende Erklärung: Es habe Anfragen von Zeitungsredaktionen gegeben, ob es zutreffe, dass die SPD-Führung bereits seit November 2013 von den Vorwürfen gegen Edathy wisse.
Er, Oppermann, habe daraufhin beschlossen, die Informationskette öffentlich zu machen, weil ohnehin alles herausgekommen wäre. Er habe die Presseerklärung mit Friedrich abgesprochen, der sei damit einverstanden gewesen. Auch Friedrichs Nachfolger Thomas de Maizière habe er über die Presseerklärung informiert, weil der schließlich für das BKA zuständig sei, zumal in der Erklärung auch Ziercke als sein Gesprächspartner genannt wurde. „Ich wollte nicht, dass er es aus der Zeitung erfährt.“ Dass Friedrich kurze Zeit später deswegen als Minister zurücktreten musste, tue ihm leid, sagte Oppermann.
Mit Edathy habe er selbstverständlich nicht über die verdeckt laufenden Ermittlungen gesprochen. Vielmehr sei dieser am 8. November 2013 zu ihm gekommen und habe von ihm wissen wollen, welche Chancen er habe, nach Bildung der Großen Koalition entweder in der Regierung oder in der Fraktion wichtige Posten zu übernehmen. Er habe Edathy nur ganz allgemein zu verstehen gegeben, dass noch nichts entschieden sei. Es sei ein für ihn sehr unangenehmes Gespräch gewesen, weil er sich ja nicht habe anmerken lassen dürfen, dass er über die damals noch verdeckt laufenden Ermittlungen gegen Edathy Bescheid wusste. „Ich bin nicht an ihn herangetreten,“ wiederholte Oppermann auf bohrende Nachfragen von Irene Mihalic (Grüne), „und ich wusste auch nicht, was er gewusst oder nicht gewusst hat.“
Staatsanwaltschaft ermittelt nun gegen Michael Hartmann
So bleibt die wichtigste Frage, wer wann Edathy über die Ermittlungen der Strafverfolger informiert haben könnte, auch nach mehr als 40 Verhandlungstagen ungeklärt. Das Strafverfahren gegen Edathy wurde inzwischen gegen Zahlung einer Geldbuße eingestellt. Die SPD will mit ihm nichts mehr zu tun haben. Ob er aus der Partei austreten soll, ist noch nicht endgültig entschieden.
Michael Hartmann – der sich angeblich nur Sorgen um den Gesundheitszustand Edathys gemacht und deshalb von Oppermann den Auftrag bekommen hatte, sich um ihn „zu kümmern“ – ist am Ende der eigentliche Verlierer in der unappetitlichen Affäre.
Denn als Edathy ihn als Quelle nannte, geriet er in äußerste Erklärungsnot. Zwar dementierte Hartmann vor dem Untersuchungsausschuss vehement, der Informant gewesen zu sein. Aber dabei verhedderte er sich in so viele Widersprüche, dass am Ende die meisten Ausschussmitglieder Edathy mehr Glauben schenkten als ihm.
Nun muss er sogar mit strafrechtlichen Konsequenzen rechnen. Die Berliner Staatsanwaltschaft verdächtigt ihn, Edathy vor den gegen ihn laufenden Ermittlungen gewarnt zu haben. Sie ermittelt deshalb gegen ihn wegen des „Verdachts der Strafvereitelung“.
Thomas Oppermann verließ den Untersuchungsausschuss erhobenen Hauptes. Er eilte vom Paul-Löbe-Haus zum „Haus der Kulturen der Welt“ direkt neben dem Kanzleramt, wo sich seine Fraktion am Ufer der Spree zum Sommerfest versammelt hatte. Ungemütlich könnte es für den SPD-Politiker jetzt nur noch werden, wenn Michael Hartmann vor Gericht seine früheren Aussagen widerrufen und Oppermann als seinen Informanten nennen würde.
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