- Ein wahrhaft europäisches Land
Der Erfolg der Rechtspopulisten zeigt deutlich die Defizite der etablierten Parteien. Doch die haben durchaus die Chance gegenzusteuern, indem sie die Sorgen der Bevölkerung ernst nehmen und darauf eingehen
Deutschland ist bunt geworden. Wenn demnächst in Stuttgart, Mainz oder Magdeburg Landesregierungen gebildet werden, dann sind dazu die ulkigsten Koalitionsmodelle nötig: Deutschland-Koalition, Kenia-Koalition, Grün-Schwarz, Grün-Rot-Gelb.
Es ist unübersehbar: Die rechtspopulistische AfD hat die deutsche Politik an diesem 13. März 2016 aufgemischt. Und zwar ganz gewaltig.
Muss einen diese politisch-tektonische Verschiebung beunruhigen? Eine Verschiebung, die ausgelöst wurde durch eine Partei, die in ihren Reihen Rechtsextremisten hat oder führende Köpfe, die vom tausendjährigen Deutschland oder von Schüssen auf Flüchtlinge schwafeln?
Deutschland ist normal geworden
Nein, beunruhigen muss das nicht. Denn der Durchmarsch der AfD ist zunächst einmal ein Zeichen, dass Deutschland normal geworden ist, zumindest normal im europäischen Maßstab. In den meisten EU-Ländern existieren rechtspopulistische Parteien, die es bei Wahlen in die Parlamente schaffen. In Ungarn, Polen, Griechenland oder Finnland sind sie sogar in der Regierung.
Ob es einem passt oder nicht: Es gibt nun einmal rechtspopulistische Anschauungen unter Europas Wählern, und in einer Demokratie ist es völlig normal, dass Parteien, die rechtspopulistisch agitieren, dann auch in den Parlamenten vertreten sind. So paradox es klingen mag: Die ziemlich nationalistische AfD hat Deutschland somit zu einem wahrhaft europäischen Land gemacht.
Beunruhigen muss einen der Durchmarsch der selbsternannten Alternative für Deutschland nicht. Aber er sollte nachdenklich machen. Vor allem die etablierten Parteien, die durch massiven Wählerschwund teilweise bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt wurden. Siehe SPD.
Die AfD rühmt sich damit, die politikverdrossenen Nichtwähler zurück an die Wahlurnen gebracht zu haben. Das ist keine Parteipropaganda, sondern eine Tatsache. In Sachsen-Anhalt etwa votierten 104.000 frühere Nichtwähler für die AfD – deutlich mehr, als die Rechtspopulisten bei CDU, SPD oder Linkspartei abwerben konnten. Insofern sind die etablierten Parteien gut beraten, einmal zu analysieren, was die AfDler richtig gemacht und sie selber versäumt haben.
Gewinnerthemen: Angst und soziale Gerechtigkeit
Es ist nicht so schwierig herauszufinden. Die Wahlforscher von Infratest haben ermittelt, dass es vor allem zwei Themen waren, die der AfD Wähler verschafft haben: Angst und soziale Gerechtigkeit. Der Bauchpolitiker Sigmar Gabriel, Vorsitzender der früheren Volkspartei SPD, hatte also durchaus den richtigen Riecher, als er kurz vor den drei Landtagswahlen vorpreschte und forderte, jetzt müsse endlich auch etwas für Deutsche getan werden – und nicht nur für Flüchtlinge.
Gabriel hatte durchaus das richtige Gespür, dass in Sachen soziale Gerechtigkeit etwas im Argen liegt. Aber er hat das Thema völlig falsch intoniert. Deutsche versus Flüchtlinge – dieses Gegeneinander-Ausspielen kann nicht funktionieren. Da zieht zum einen Koalitionspartnerin Angela Merkel nicht mit, zum anderen verschaffte es der AfD weiteren Zulauf.
Viele Wähler haben eindeutig Angst: vor Kriminalität, vor „Überfremdung“, vor sozialer und beruflicher Konkurrenz durch Flüchtlinge, vor sozialem Abstieg durch die Kosten der Integration. Es ist relativ unerheblich, ob diese Ängste berechtigt sind. Sie sind da, und wenn die etablierten Parteien nicht von allen guten Geistern verlassen sind, dann gehen sie auf diese Ängste ein.
Die AfD nicht kopieren
Natürlich sollten sie nicht den „Grenzen dicht!“-Parolen der AfD hinterherlaufen oder gar deren ausländer- oder islamfeindliche Thesen aufgreifen. Zum einen ziehen Wähler meist das Original der Kopie vor. Zum anderen: Selbst in der AfD-Hochburg Sachsen-Anhalt stimmten mehr als 60 Prozent der Wähler für Parteien, die im Grundsatz hinter der aktuellen Flüchtlingspolitik stehen. Und selbst ein hoher Anteil der AfD-Wähler, so fanden die Wahlforscher von Infratest heraus, steht rechtsextremen Parolen sehr skeptisch gegenüber.
Die Lösung lautet: Erklären. Erklären. Und noch einmal erklären. Das gilt vor allem für Angela Merkel. Ihr „Wir schaffen das“ klang sehr schön emotional, vor allem für die ansonsten eher unterkühlte Kanzlerin. Aber das alleine reicht nicht. Sie muss auch erklären, wie wir das schaffen wollen.
Erklären muss sie auch, weshalb wir Flüchtlinge aufnehmen. Nicht nur zweimal bei Anne Will, sondern immer wieder. Sie muss erklären, dass es mehr Polizisten geben wird, weil durch die Zahl der Flüchtlinge auch die Gesamtbevölkerung gewachsen ist. Dass es mehr Lehrer, mehr Kindergärtner, mehr Kommunalbeamte, mehr Ärzte geben wird. Dass mehr (Sozial-)Wohnungen gebaut werden, dass es dadurch mehr Arbeitsplätze geben wird. Und so weiter und so fort.
Angela Merkel muss mehr erklären
Mutmaßlich hat Angela Merkel das Gefühl, dies alles schon einmal gesagt zu haben. Aber das reicht eben nicht. Sie muss nicht nur die Gehirne, sondern auch die Herzen der Wähler erreichen. Und das geht offenbar nicht ohne eine gewisse Redundanz.
Entscheidend ist aber, dass sie nicht nur ständig darüber redet, dass wir den Untergang des Abendlandes nicht zu befürchten haben. Ganz entscheidend ist, dass sie auch handelt. Zum Beispiel, indem der Bund die Gelder bereitstellt, damit es mehr Wohnungen, Schulen und Lehrer gibt, von denen nicht nur Flüchtlinge, sondern auch Deutsche profitieren. Zum Teil ist dies bereits geschehen, doch offenbar ist dies noch nicht überall angekommen. Also gilt wieder: erklären, erklären und nochmals erklären.
Eine andere Wahl haben Merkel und Gabriel gar nicht. Denn nehmen sie die Ängste der Bürger nicht ernst und gehen darauf ein, werden sie in absehbarer Zeit nur noch in einer einzigen Koalitionsvariante regieren können. Die heißt: schwarz-rot-gelb-grün-dunkelrot. Vor mehr als 26 Jahren wurde diese Variante „Regierung der Nationalen Front“ genannt. Und so etwas wird es dann nicht nur in Mainz oder Magdeburg geben.
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