- Die Mikro-Maut
Kann Dobrindt nicht zählen? Hat der Verkehrsminister sich wirklich schlicht verrechnet bei der Pkw-Maut? Kritiker werfen ihm Zahlentrickserei vor, im Bundestag tobt die Schlacht der Gutachter. Tatsächlich sieht es so aus, dass die Maut schon bald kommt. Doch die Einnahmen reichen nach Cicero-Schätzungen gerade einmal für 30 neue Straßenkilometer pro Jahr
Der Endspurt um die Pkw-Maut hat begonnen. Bis Ostern will Verkehrsminister Alexander Dobrindt alles unter Dach und Fach haben. Doch auf den letzten Metern muss er durch heftige Zahlengewitter. Denn es sagt sich leicht, dass der Minister die Einnahmen für sein umstrittenstes Projekt maßlos hochgerechnet hat. Niemand – auch er nicht – kann schon jetzt das Gegenteil beweisen.
Im Bundestag werden nun Fachleute angehört; erst im Verkehrsausschuss, dann im Haushaltsausschuss. Solche Anhörungen gleichen streckenweise Gerichtsprozessen: Jede Seite lädt ihre Zeugen oder beruft sich auf ihre jeweiligen Fachleute. In diesem Fall sind es beauftragte Gutachter.
Für Schlagzeilen sorgen zwei gutachterliche Stellungnahmen: So bemerkt der Verkehrswissenschaftler Ralf Ratzenberger, der auch Studien für den mautkritischen ADAC erstellt hat: Die Einnahmeprognose für Fahrer aus dem Ausland müsse halbiert werden. Auch eine Studie im Auftrag der Grünen-Bundestagsfraktion behauptet, der Bund könne nicht einmal mit der Hälfte der prognostizierten jährlichen Einkünfte rechnen. Der Grund und zugleich Hauptvorwurf darin: Dobrindts Haus habe sich bei den ausländischen Pkw schlicht verzählt, nämlich Durchreisende doppelt gerechnet.
Die doppelt zählen, zahlen auch doppelt
Für das Autozählen ist die Bundesanstalt für Straßenwesen zuständig, eine nachgeordnete Behörde des Verkehrsministers. Nach ihren Daten prognostiziert das Verkehrsministerium etwa 130 Millionen Ein- und Durchfahrten ausländischer Pkw im Jahr. Als Einfahrer gelten Tagestouristen und Deutschlandurlauber, die an einer Stelle ein- und ausreisen. Durchfahrer hingegen sind zum Beispiel Dänen, die in Italien Urlaub machen. Die kommen auch wieder zurück und kaufen sich dann wahrscheinlich ja wieder eine Tagesvignette, sagen Dobrindts Rechner und folgern: also tatsächlich doppelt zählen, denn die zahlen auch doppelt.
Doch der Minister will auf das Grünen-Gutachten nicht öffentlich reagieren, nach dem Motto: Nicht einmal ignorieren! Er will nicht einmal sagen, dass er es für unseriös hält oder eine Auftragsarbeit der Opposition. Seitens Dobrindt wird auf die eigenen Fachleute verwiesen, Professoren für Mobilität und Öffentliches Recht, die ohne Vorgaben arbeiteten.
Der Grünen-Gutachter – Schmid Mobility Solutions heißt die GmbH – war im November schon einmal mit selber Ware auf dem Markt – und zwar beauftragt von der FDP. Vom Titelbild über das Vorwort und Fazit bis hin zur Länge gleichen beide „Kurzstudien“ einander – nur eben die Auftraggeber sind grundverschieden.
Üppige Verwaltungskosten
Die Kernfrage jedoch ist: Was wird die Pkw-Maut tatsächlich einbringen? Wie hoch werden die Verwaltungskosten wirklich sein? Dobrindt prognostiziert Einnahmen von etwa 700 Millionen Euro im Jahr abzüglich der Bürokratiekosten von etwa 200 Millionen. Dann blieben 500 Millionen Euro pro Jahr an zusätzlichen zweckgebundenen Mitteln für sein Haus. Macht in einer Legislaturperiode zwei Milliarden Euro.
Die Kritiker gehen von weniger als der Hälfte aus. Erstens weil eben die Brutto-Einnahmen viel spärlicher und zweitens, weil die Verwaltungskosten doch viel üppiger ausfallen würden. So heißt es in den Maut-kritischen Studien, Dobrindts Leute hätten nicht eingerechnet, dass es viel mehr Maut-Ausgabestellen geben müsse, die noch dazu rund um die Uhr zu besetzen seien. Im Verkehrsministerium hält man das für Schlechtrechnen. Denn tatsächlich fielen diese Kosten nicht an. Schließlich gebe es dann Apps und andere Zahlmöglichkeiten online, die Verkaufsbuden unnötig machten.
Niemand behauptet, dass die Pkw-Maut ein Minus-Geschäft würde – immerhin. Es gehört seit jeher zum Geschäft der Regierenden, geplante Ausgaben klein zu rechnen und umgekehrt geplante Einnahmen möglichst hoch dazustellen. Die Opposition hat die demokratische Pflicht, das kritisch zu sehen – und stellt es folglich umgekehrt dar. Oft genug tut sie das zu Recht, gerade bei Verkehrsprojekten: siehe BER-Flughafen.
Die Pkw-Maut ermöglicht jährlich 30 Kilometer Straße
Läge am Ende die Wahrheit in der Mitte, dann brächte die Pkw-Maut vielleicht 300 Millionen Euro pro Jahr, also 1,2 Milliarden Euro in einer Legislaturperiode. Ist das viel oder wenig? Ein Kilometer neuer Bundesstraße oder Autobahn kostet zwischen acht und zehn Millionen Euro. Die Pkw-Maut ermöglichte demnach 30 Kilometer neue Straßen pro Jahr – 120 Kilometer in einer Wahlperiode.
Angesichts von 13.000 Autobahnkilometern in Deutschland kann man das für mickrig halten. Es ist – gemessen an notwendigen Investitionen in den Straßenbau von schätzungsweise sieben Milliarden Euro – zumindest eine wahrlich brauchbare Strecke und Summe.
Dobrindts Rechnungen werden nun also noch kräftig durchgespült. Der Koalitionspartner SPD hat schon angekündigt, dass er hier und da Änderungen wünscht. Am Ende aber wird er vermutlich eher zustimmen als daran einen Regierungsriss zu provozieren. Finanzminister Schäuble jedenfalls hat sie in seinen Eckpunkten für den Etat 2016 schon fest eingeplant, Dobrindts Pkw-Maut. Die inzwischen übrigens offiziell Infrastrukturabgabe heißt. Da hat sich Dobrindt – auch bei den kritischen Gutachtern – bereits durchgesetzt.
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