- Platzecks Kronprinz heißt Dietmar Woidke
Auf Innenminister Dietmar Woidke läuft die Nachfolge von Ministerpräsident Matthias Platzeck zu
on seinem Schreibtisch in Potsdam blickt Dietmar Woidke jeden Tag auf ein wildes Naturschauspiel: Ein Motorboot stampft durch bewegte See, der Bug ragt steil aus dem Wasser hinaus, die Wellen sind riesig, und es sieht ganz so aus, als ginge das kleine Boot im nächsten Moment unter.
Es ist zwar nur ein Bild an der Wand. Aber irgendwie passt es zu dem 51 Jahre alten Innenminister des Landes Brandenburg. Er hat es vor drei Jahren einem brandenburgischen Künstler abgekauft – aus einer Laune heraus. Vielleicht aber auch, weil ihn darin der symbolische Bezug zu seinem eigenen Leben berührte: 2010, als er das Kunstwerk erstand, hatte er gerade einen politischen Absturz hinter sich. Er war – bis dahin Umwelt- und Agrarminister – nach der Wahl im Herbst 2009 aus dem Kabinett des Ministerpräsidenten Matthias Platzeck geflogen und auf einer Hinterbank im brandenburgischen Parlament gelandet.
Heute ist der Sozialdemokrat wieder obenauf. Und seit zu lesen war, dass Platzeck einen leichten Schlaganfall erlitten hat, ist er sogar als Kronprinz im Gespräch: Sollte sich bewahrheiten, dass der Ministerpräsident in absehbarer Zeit aufhören wird, liefe die Nachfolge auf Dietmar Woidke hinaus.
Nicht etwa weil der als Politiker brillant, als Wahlkämpfer unentbehrlich oder als Chef einer Koalition mit besonderem Fingerspitzengefühl gesegnet wäre. Sondern weil die personelle Decke der brandenburgischen SPD – wie sich jetzt zeigt – derartig ausgedünnt ist, dass außer ihm kaum einer mehr infrage kommt. Alle früheren Hoffnungsträger wurden entweder als Minister abserviert, weggelobt oder mussten nach Skandalen zurücktreten. Zurück blieb eine eher blasse Mannschaft, aus der nur noch Woidke herausragt. Man traut ihm zu, in Platzecks Fußstapfen treten zu können.
Der Mann aus Forst an der polnischen Grenze, im Jahr des Mauerbaus geboren und in der DDR aufgewachsen, hatte in den achtziger Jahren an der Berliner Humboldt-Universität Tierproduktion und Ernährungspsychologie studiert.
Nach der Wende arbeitete er eine Zeit lang bei einem Futtermittelhersteller in Bayern. 1993 kehrte er in seine Heimat zurück, wurde Amtsleiter für Landwirtschaft in Forst und trat der SPD bei. Bereits ein Jahr später wurde er in den Landtag gewählt und zehn Jahre später zur allgemeinen Überraschung von Platzeck zum Minister für ländliche Entwicklung, Umwelt und Verbraucherschutz ernannt. 43 Jahre war er damals alt.
Leutselig, offen und fast immer gut gelaunt bewegte er sich zwischen seiner bunten Klientel aus Förstern, Fischern, Bauern, Jägern und Naturschützern – immer einen lockeren Spruch auf den Lippen, gern in seinem Lausitzer Dialekt, einem zernuschelten Berlinerisch mit besonders breitem „O“. Weil er glaubte, das passe zu einem Landwirtschaftsminister, schaffte er sich sogar einen Jagdhund an und versuchte auch, die Jägerprüfung zu bestehen. Das ging allerdings schief. Als Woidke bei der Schießprüfung die vorbeiflitzenden Eber-Attrappen aus Pappe (Fachjargon: „Laufender Keiler“) treffen sollte, schoss er daneben, was aber seiner guten Laune keinen Abbruch tat. „Verdammt schnell, das Ding“, stellte er hinterher nur fest.
Die launige Amtsführung vermieste ihm der Platzeck-Vertraute und damalige Finanzminister Rainer Speer. Der verlangte eine Forstreform, bei der mehr als ein Drittel der Stellen abzubauen waren. Lautstarke Demonstrationen vor dem Landtag waren die Folge. Woidke gelang es nicht, die Reform auf den Weg zu bringen. Ob dies den Ausschlag gab oder ob Regierungschef Platzeck 2009 beim Wechsel von Rot-Schwarz zu Rot-Rot die Ressorts Landwirtschaft und Verkehr, die viele Fördergelder aus Brüssel bekommen, neu ordnen und in SPD-Hand behalten wollte, ist schwer zu sagen. Jedenfalls wurde das Landwirtschafts- und Umweltressort zerschlagen, und für Woidke war im System Platzeck kein Platz mehr.
Bald darauf allerdings war er – auch das gehört zu den wundersamen Fügungen seines politischen Lebens – Fraktionschef der SPD im Landtag und wieder ein Jahr später, nachdem sein Widersacher Speer wegen einer Affäre um nicht gezahlten Unterhalt zurücktreten musste, Innenminister in Potsdam. Sofort eckte er bei dem linken Koalitionspartner an, weil er tat, was keiner seiner Vorgänger je gewagt hatte: Er versuchte den immer wieder auftauchenden Stasi-Vorwürfen in den Reihen der Polizei auf den Grund zu gehen.
Und er sammelte Punkte, als er einigermaßen geräuschlos die von seinem Vorgänger begonnene Polizeireform über die Bühne brachte. 1900 von 8900 Beamtenstellen sollten bis 2020 abgebaut werden. Der neue Minister bereiste die Polizeiwachen, stellte sich besorgten Bürgermeistern und brachte Kompromisse zustande, die zuvor unmöglich schienen. Ergebnis: Die Polizeistandorte werden erhalten, auch wenn die Wachen nicht mehr rund um die Uhr besetzt sein werden. Der angestrebte Personalabbau wurde etwas abgemildert und soll, abhängig von der Kriminalitätsentwicklung, später noch einmal hinterfragt werden. Es wurde sein Gesellenstück.
Er wirkt heute nachdenklicher und überlegter als früher. Bei Bedarf verfällt er immer noch in seinen Dialekt, zum Beispiel, wenn er im Wahlkampf auf Leute zugeht. Über die Zeit nach Platzeck redet er nicht. Er ist loyal. Er hat Zeit. Und er weiß, dass nichts gefährlicher wäre, als jetzt ungeduldig zu werden.
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