- Die Parteien haben sich verzockt
Niedersachsen hat gewählt und alle Parteien reden sich das Ergebnis schön. Aus bundespolitischer Sicht kann niemand mit dem Ausgang der Wahl zufrieden sein. Nicht einmal der Wahlsieger vom Sonntag
Das hatten sich die Parteien so schön gedacht. Zum Auftakt des Bundestagswahljahrs stilisierten sie die Landtagswahl in Niedersachsen kurzer Hand zu einer kleinen Bundestagswahl. Sie testeten ihre Machtstrategien, ihre Parolen und ihre Kandidaten. Die Bundespolitik kaperte den Landtagswahlkampf. Doch nach einem lauen Wahlkampf, einem spannenden Wahlabend und einem am Ende doch überraschenden Wahlsieger, stehen die Parteistrategen so ratlos da wie zuvor. Rot-Grün lag am Ende in Hannover zwar knapp vorne, doch ein bundespolitischer Trend lässt sich aus dem Wahlergebnis in Niedersachsen überhaupt nicht ableiten.
Im Grunde gibt es mit Blick auf den Bund, auf die machtstrategischen Perspektiven und die Entscheidung im September bei der Landtagswahl in Niedersachsen nur Wahlverlierer. Die Parteien haben sich verzockt. Die Wähler wählen, wie sie wollen.
Angefangen bei der CDU. Die Christdemokraten büßten bei der Landtagswahl in Niedersachsen 6,5 Prozentpunkte ein. Ministerpräsident David McAllister wurde abgewählt, obwohl dieser die deutlich besseren Sympathiewerte hatte als sein sozialdemokratischer Herausforderer Stephan Weil. Seit dreieinhalb Jahren verliert die CDU eine um die andere Wahl, weil das Image der schwarz-gelben Bundesregierung schlecht ist. Die schwächelnden Koalitionäre haben sich untergehakt, humpeln aber trotzdem gemeinsam. Über die eigene Stammklientel hinaus können sie so kaum Wähler mobilisieren. Nach drei Jahren Schwarz-Gelb im Bund gibt es nur noch in drei von sechszehn Bundesländern schwarz-gelbe Landesregierungen. Es ist noch gar nicht lange her, da waren es noch acht.
Ein Lagerwahlkampf passt der CDU und auch der CSU überhaupt nicht ins Konzept. Ein solcher stärkt die alte Frontstellung im Parteiensystem, er stärkt die Ränder, mobilisiert die konservativen Anhänger und verprellt jene undogmatischen Wechselwähler, die nicht mehr in der überholten Lagerlogik verfangen sind. Vor allem aber kann Bundeskanzlerin Angela Merkel, die über die Parteigrenzen, bei Wechselwählern und auch bei Wählern von SPD und Grünen beliebt ist, in einem Lagerwahlkampf ihren großen Platzvorteil nicht ausspielen.
Somit gehört auch Angela Merkel zu den strategischen Verlierern der Landtagswahl in Niedersachsen. Ihr kann es gar nicht gefallen, wenn die Oppositionsparteien und auch die FDP nun auch den Bundestagswahlkampf als Lagerwahlkampf inszenieren. Der Kanzlerin wird es schwerer Fallen, sich als überparteiliche Kanzlerpräsidentin zu präsentieren. Hinzu kommt, dass die Lorbeeren der Vergangenheit, ihre Erfolge bei der Eurorettung oder in der Wirtschaftspolitik am Wahltag wenig zählen. Die Wähler fragen sich, bevor sie ihr Kreuz machen, eher was kommt und nicht was war. Politische Signale, mit denen sich jene Wähler locken ließen, die sich trotz Aufschwung und Rekordbeschäftigung um die soziale Schieflage und die Gerechtigkeitslücke im Lande sorgen, verhindert der Koalitionspartner. Zum Beispiel die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohnes.
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Anders als die CDU profitiert die FDP davon, wenn sich Schwarz-Gelb und Rot-Grün im Wahlkampf dichotomisch gegenüberstehen. Viele bürgerliche Wähler, die das Bündnis aus Union und FDP als Einheit und die Liberalen als klassische Machtreserve der Christdemokraten sehen, sind dann bereit dem ums Überleben kämpfenden Partner ihre Stimme zu geben. Das war zuletzt schon in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein der Fall. Doch in beiden Ländern verlor Schwarz-Gelb dennoch die Macht, weil es dem Bündnis nichts nutzt, wenn sich die Wählergunst nur zwischen den beiden bürgerlichen Parteien verschiebt.
Für die FDP könnte sich die Wahl in Niedersachsen noch zusätzlich als Pyrrhussieg entpuppen. Denn mit den 100.000 Stimmen, mit denen eigentliche CDU-Wähler die FDP retteten, stärkten sie auch Parteichef Rösler den Rücken. Nun gibt es im liberalen Machtkampf einen klassischen Kompromiss, der keinem nutzt. Philipp Rösler darf Parteichef, Wirtschaftsminister und Vizekanzler bleiben, er muss aber als Spitzenkandidat Rainer Brüderle Vortritt lassen. Der wichtigste liberale Minister ist politisch nachhaltig beschädigt. Ein halber Putsch ist auch eine halbe Demontage. Schön ist so etwas im Wahlkampf nicht.
Auch die SPD hat eigentlich wenig Grund zum Jubeln. Die Sozialdemokraten stellen nun zwar auch in Niedersachsen den Ministerpräsidenten. Sie können auch im Bundesrat die Backen aufblasen, weil die Opposition dort nun über eine eigene Mehrheit verfügt. Doch das ist nur eine Blockade- und keine Gestaltungsmehrheit. Bundespolitischer Rückenwind für Rot-Grün ist am Tag nach der Wahl jedoch kaum zu spüren. Ein SPD-Kanzler ist soweit weg wie zuvor. Dafür war das Ergebnis der SPD in Niedersachsen zu schlecht, dafür war der Wahlsieg nach den Umfragen der letzten Monate zu knapp. Er reicht nicht, um im Bund eine Wechselstimmung und eine sich selbst verstärkende Dynamik zu erzeugen. Zumal Rot-Grün nur deshalb regieren kann, weil die Linke den Einzug in den niedersächsischen Landtag verpasst hat, das wird bei der Bundestagswahl anders ein.
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Kanzlerkandidat Peer Steinbrück atmete am Wahlabend zwar auf, offenbar hatte er Schlimmeres befürchtet, trotzdem musste sich dieser kleinlaut und demütig für seine bislang schlechte Performance als Kanzlerkandidat entschuldigen. Nicht dem Kanzlerkandidaten, sondern der Basis in Niedersachsen ist es zu verdanken, dass die SPD zumindest einen bundespolitischen Achtungserfolg erzielen konnte. Doch das bedeutet für den Bundestagswahlkampf zugleich, Peer Steinbrück wird in den kommenden Monaten noch weniger Beinfreiheit haben und er wird deshalb mit Blick auf bürgerliche Wechselwähler seine Stärken weniger gut ausspielen können. Selbst dann, wenn die Diskussionen um seine Nebenverdienste und das Kanzlergehalt wieder vergessen sind.
Am Tag nach der Niedersachsenwahl zeigt sich aber auch, dass es ein großer strategischer Fehler der SPD war, ihren Kanzlerkandidaten bereits im Herbst zu küren. Im Landtagswahlkampf hat der Kanzlerkandidat Steinbrück wenig geholfen und nun fehlt der Partei die Möglichkeit, dem Bundestagswahlkampf mit einer Kandidatenkür noch einmal eine neue Dynamik zu verleihen.
Die Grünen schließlich sind auf den ersten Blick der eigentliche Sieger der Niedersachsenwahl, sie haben 5,7 Prozentpunkte zugelegt und sind in Hannover der Königsmacher. Ihren deutlichen Zugewinnen stärken das grüne Selbstbewusstsein, aber die Partei bleibt an die SPD gefesselt.
Natürlich tönen die Parteistrategen mit Blick auf den Bund nun, „wer den Wechsel will, der muss Grüne wählen“. Unüberhörbar war am Wahlabend das Bemühen vieler grüner Spitzenpolitiker, sich von der SPD abzugrenzen und die grüne Eigenständigkeit zu betonen. Aber diese wissen auch, das sie in den kommenden Monaten vor einem unauflöslichen Dilemma stehen: Je stärker sie für Rot-Grün trommeln, desto größer ist die Gefahr, dass die Grünen sich zu Tode siegen, zum Steigbügelhalter einer Großen Koalition werden und die ewige Opposition bleiben. Die Chance sich für Schwarz-Grün zu öffnen, haben die Grünen in den letzten Monaten verpasst. Deshalb gehört der Wahlsieger vom Sonntag in Niedersachsen bundespolitisch zu den strategischen Verlieren.
Eine Wahl, viele Verlierer. Auch die Piraten gehören dazu, aber mehr als eine Fußnote im Parteienwettbewerb sind sie schon jetzt nicht mehr. Nur einer hat gewonnen: Der Wähler. Demokratie ist spannend. Voraussichtlich am 22. September 2013 wird ein neuer Bundestag gewählt. Anschließend wird es einen Wahlsieger geben oder auch zwei oder drei. Nur voraussagen lässt sich das nicht, nicht einmal von Journalisten.
(In einer früheren Version dieses Textes, war davon ausgegangen worden, dass Philipp Rösler als Parteichef zurücktritt, diese Passage wurde aktualisiert)
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