- „Die Lage der Union ist prekär“
Die Kanzlerin habe ein „autoritäres System“ entwickelt, meint Gertrud Höhler in ihrem neusten Buch. Für vollkommen überspitzt hält Politikwissenschaftler Volker Kronenberg diese Einschätzung, im Kern habe Höhler aber Recht. Der CDU geht es nicht gut
Am Freitag erscheint das Buch „Die Patin“. Die ehemalige
Kohl-Beraterin Gertrud Höhler rechnet darin mit der Kanzlerin ab.
Der Hauptvorwurf lautet, Frau Merkel habe ein „autoritäres System“
errichtet.
Das ist polemisch und begrifflich überspitzt. Natürlich leben wir
in der Bundesrepublik nicht in einem autoritären System. Das ist
Frau Höhler auch völlig klar, sie will den Begriff symbolisch
verstehen und rhetorisch übertreibt sie – selbstverständlich auch,
um für das Buch bzw. ihre Thesen entsprechende Aufmerksamkeit zu
bekommen.
Nun schreibt Gertrud Höhler, das Parlament sei von
Angela Merkel entmachtet und die Demokratie sei ausgehöhlt
worden.
Es hat immer wieder Kritik an Angela Merkels Führungsstil gegeben.
Auch die Rüge des Bundesverfassungsgerichts muss ernst genommen
werden. Trotzdem: Frau Höhler überzieht mit ihrer Kritik,
schließlich muss die Dramatik der Entscheidungsprozesse bei der
Euro-Rettung berücksichtigt werden.
Die Kritik perlt an der Kanzlerin also einfach
ab?
Dies ist zu erwarten, zumal Frau Höhler durch den Furor und die
Massivität ihrer Formulierungen den eigenen Argumenten die
Wirkungskraft genommen hat. Höhlers Buch wird Frau Merkel sicher
nicht nachhaltig in die Defensive bringen – genauso wenig wie der
Zusammenschluss von einzelnen Konservativen in ihrer Partei. Sowohl
Höhlers Streitschrift als auch der parteiinterne Unmut
kontrastieren auffallend mit der überwiegend positiven Wahrnehmung
Angela Merkels in der breiten Öffentlichkeit.
Hat sich Gertrud Höhler in der Debatte
disqualifiziert?
Nein, disqualifiziert hat sie sich nicht. Ich schätze Gertrud
Höhler als Professorin, als geistreiche Beobachterin und
Kommentatorin.
Worin besteht Ihrer Ansicht nach die berechtigte Kritik
an Angela Merkel?
Sie erklärt zu wenig, sie konsultiert womöglich zu wenig und sie
forciert die Entscheidungen sehr stark. Damit hängt auch zusammen,
dass sie schon vor der Krise stark auf einen kleinen Kreis von
Vertrauten gesetzt hat – damit befriedigt man sicherlich nicht das
Bedürfnis nach Transparenz und Offenheit.
Die Alternativlosigkeit ist zum Prinzip von Merkels
Krisenpolitik geworden. Halten Sie dies für
problematisch?
Es mag Ausnahmesituationen geben, in den Entscheidungen
staatspolitisch alternativlos erscheinen. Die Verantwortlichen in
der Regierung haben es sich aber zu einfach gemacht. Für Politik
muss geworben und sie muss überzeugend begründet werden. Angela
Merkel muss erklären, wohin es mit Europa geht und sie muss sagen,
wohin sie ihre Partei steuern möchte.
Seite 2: Das konservative Milieu schrumpft
Das Profil der Union werde verwässert, lautet die
parteiinterne Kritik…
Dieser Vorwurf ist genauso nachvollziehbar wie banal, weil er sich
immer wiederholt. Das ist ein typisches Phänomen bei
Regierungsparteien: Vor 30 Jahren stand Helmut Schmidt vor dem
Zerwürfnis mit seiner Partei, später wurde Helmut Kohl mit ätzender
Kritik konfrontiert und auch Gerhard Schröder hatte mit ähnlichen
Widerständen zu kämpfen.
Für Höhler ist Altkanzler Kohl ein Positivbeispiel für
werteorientierte Politik….
Aber die Zeiten sind heute einfach andere: Die Dynamik und die
Komplexität der Prozesse haben sich gewandelt – dem muss Rechnung
getragen werden. Die Gesellschaft hat sich grundlegend verändert.
Eine Volkspartei, die den Anspruch hat, auf 40 Prozent zu kommen,
muss sich öffnen. Wenn Kohl glorifiziert wird, dann ist in der
Regel von den 1980er, nicht aber von den 1990er Jahren die Rede. Im
Übrigen war Kohl, wo nötig, ein sehr pragmatischer
Parteivorsitzender und Regierungschef.
Wo aber bleiben die Konservativen?
Klassische Konservative gibt es nicht mehr viele, zumal der Begriff
des Konservativen an sich sehr schillernd ist. Das Milieu der
kirchengebundenen „Traditionsverwurzelten“ zum Beispiel ist massiv
geschrumpft. Mit diesem kommt die Union schon lange nicht mehr auf
40 Prozent, was immerhin noch ihr Anspruch ist. Deshalb machen es
sich die Kritiker auch ein bisschen zu einfach.
Trotzdem. Was läuft falsch, wenn sich die Konservativen
in der CDU überhaupt nicht mehr repräsentiert fühlen?
Frau Merkel fremdelt mit dem „Konservativen“ bzw. mit denen, die
dieses Etikett hochhalten. Wertgebundenheit nimmt sie durchaus auch
für ihr eigenes politisches Handeln in Anspruch. Doch mit einem
bestimmten konservativen Habitus, der für Teile der alten CDU
prägend war, konnte sie noch nie etwas anfangen und hat daraus auch
nie einen Hehl gemacht.
Der Vorsitzende der Mittelstandsvereinigung der Union,
Josef Schlarmann, meint, die CDU würde durch Merkel massiv Stimmen
verlieren bei der nächsten Wahl.
Es ist genau anders herum: Ohne Angela Merkel und ihre Popularität
hätte die CDU heute deutlich weniger Stimmen. Die Union ist trotz
aller Krisen die stärkste Partei und sie profitiert dabei massiv
von der Popularität ihrer Frontfrau.
In der CDU brodelt es. Wird sie trotzdem die nächste
Wahl gewinnen?
Der Aufstieg Angela Merkels ist immer auch Ausdruck einer grotesken
Unterschätzung ihres Potentials und ihres Könnens gewesen. Wenn sie
eines geschafft hat, dann ist das die überfällige Modernisierung
der CDU, zum Beispiel in der Familienpolitik und im
gesellschaftspolitischen Bereich. Es führt 2013 kein Weg an ihr
vorbei. Merkel hat die Union so mittig positioniert, dass alle
Parteien außer der Linken sich eine Koalition mit ihr grundsätzlich
vorstellen können.
Braucht es eine Programmdebatte innerhalb der
Union?
Programmdebatten, wie sie die Konservativen fordern, werden
klassischerweise in Oppositionszeiten geführt. Die Union muss sich
auf das Regieren konzentrieren, die Koalition zusammenhalten und
die notwendigen Mehrheiten organisieren. Da bleibt sehr wenig Zeit
für Programmarbeit.
Wie steht es um die CDU nach Merkel?
Ich glaube, dass die Lage der Union insgesamt prekär ist – und das
verbindet sich mit Angela Merkel. Die Modernisierung der Partei
wurde gegen große Widerstände durchgesetzt. Eine offene Debatte,
was die Union sein will, hat man in den letzten Jahren
ausgeblendet, weil man wegen des Regierungsalltags gebunden war. Es
wird Verwerfungen geben. Die Klagen darüber, dass Angela Merkel
diese programmatische Leere überdeckt, sind ein Indiz für die
bestehende Ratlosigkeit. Die Katharsis der SPD nach der
Regierungszeit Schröders hat die CDU nach der Kanzlerschaft Merkels
noch vor sich.
Prof. Dr. Volker Kronenberg, Jahrgang 1971, ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität Bonn. Er ist Verfasser der Biographie von Jürgen Rüttgers. Sein Forschungsschwerpunkt ist die CDU.
Das Gespräch führte Timo Steppat.
Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.