- Die Familie bleibt privat
In das private Ausgestalten von Frau-Sein und Familie will sich Politikerin und Mutter Kristina Schröder nicht einmischen. Sie liebäugelt lieber mit dem rechten Wählerrand ihrer Partei. Auch wenn diese Agenda im momentanen Medien-Hype viele auf die Palme bringt, ist sie für andere ein notwendiges Beruhigungs- und Nervenmittel
Die unter anderem für Frauen zuständige Bundesministerin legt dieser Tage ein Buch vor, in dem sie sich über verengte weibliche Rollenmuster echauffiert. Eine heftige und auch emotionale Diskurskritik, welche verhärtete Fronten angreifen will – als solche stellt Schröder ihr mit Caroline Waldeck geschriebenes Buch der Öffentlichkeit vor. Auf der einen Seite des Streits stünden demnach Strukturkonservative wie Eva Herman, auf der anderen Seite die Feminstinnen. Beide definierten ganz enge Verhaltensmuster für das „richtige Frauenleben“ in Deutschland, so argumentierte die Jungautorin während der Vorstellung von „Danke, emanzipiert sind wir selber“ im Berliner Bezirk Prenzlauer Berg.
Deswegen sind für Schröder auch beide Denkrichtungen von gleichem Übel, denn während der Feminismus keine freie Entscheidung für ein Frauenleben im Heim, bei Herd und Kind ermögliche, sei nach dem strukturkonservativen Weltbild eine freie Entscheidung für Karriere und Berufsleben undenkbar. Beide mischen sich ein – in das nach Schröders Meinung rein Private. Dieses Einmischen in das individuelle Ausgestalten von Frau-Sein und Familie ist nicht nach Schröders politischem Gusto. Ihre im Grunde tief liberale Grundüberzeugung: Das Private ist privat.
Schröders Meinung nach stehen die gesellschaftlichen Strukturen heute keiner Frau mehr im Wege – im Gegenteil: Es seien bereits nahezu alle notwendigen Hebel gedreht, um jeder Frau – so sie sich denn auch entsprechend anstrenge – ein Leben in Emanzipation zu ermöglichen. Der Titel ihres Buches bringt genau diese Grundhaltung auf den Punkt. Selber machen sollen es die Frauen. Mit dieser Sichtweise spricht sie vielen aus der Seele. Vielen Männern, die fürchten, der Feminismus hätte den Bogen bereits überspannt, vielen Frauen, die „keine Quotenfrauen“ sein wollen. Aber – so richtig „flutschen“ will es medial einfach nicht – um es mit Schröders eigenen Worten zu sagen. Denn mit Buch und Betreuungsgeld, mit Flexiquote und Postfeminismus bringt sie tausende Menschen auf die Palme. Und die Journaille fragt unisono: Was tut sie eigentlich für Familien, Senioren, Frauen und Jugendliche?
Dabei hat Schröder schon sehr viel getan. Eines ihrer ersten Projekte war die Verrechnung des Elterngeldes mit Hartz IV. Konnten Arbeitslose vorher beide Leistungen gleichzeitig empfangen, so entfielen mit diesem Eingriff 300 Euro im Monat für eine breite Gesellschaftsgruppe einfach komplett. Auch das geplante Betreuungsgeld, so sickerte es vergangene Woche durch, wird wohl mit dem als Hartz IV bekannten Arbeitslosengeld II verrechnet werden. Diese Politik schiebt man Kristina Schröder in die Schuhe – ebenso wie sie als personifiziertes Betreuungsgeld auftritt, welches ein CSU-Projekt darstellt.
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Dabei ist es eine Schröder-Logik aus rot-grünen Regierungszeiten, die hier ihre Fortsetzung findet. Hartz IV war niemals so ausgelegt, dass die Beziehenden darüber hinaus staatliche Transferleistungen erhalten sollten. Gerhard Schröder selbst – und mit ihm viele SPD-Parteikollegen – haben immer argumentiert, dass Hartz-IV-Beziehenden das Existenzminimum gesichert werden solle, auf keinen Fall mehr. Damals entwarf man das Feindbild des faulen Arbeitslosen, der in Florida Urlaub machte und keine Anreize hatte, sein Schärflein zur Gesellschaft beizutragen. Hartz IV sollte deswegen auch weh tun, das war und ist seine inhärente Logik. Deswegen wurde beispielsweise das Kindergeld von Anfang an damit verrechnet. Dass das von Ursula von der Leyen eingeführte Elterngeld dann anrechnungsfrei war, kann aus dieser Logik heraus nur als Anfängerinnenfehler interpretiert werden, der konsequenter Weise bereinigt werden musste.
Vermutlich hat diese Bereinigung eine breite Wählerschaft tatsächlich auch beruhigt. Das Bild vom Hartz-IV-Beziehenden, der das Kindergeld versäuft (das er zwar nicht bekommt, aber so genau nimmt es Otto Normal-Wähler nicht), ist weit verbreitet. Es sind solche Dämonisierungen, mit denen nicht nur die CDU oder die CSU bis heute erfolgreich Klientelbindung betreibt. Und auch die Personalie Kristina Schröder ist dieser dringend notwendigen Klientelbindung zuzuschreiben. Nach dem Elterngeld und der radikalen Kehrtwende in der Kitapolitik unter der Schirmherrschaft Ursula von der Leyens, ist eine wie Kristina Schröder vermutlich Balsam auf die geschundene Seele vieler rechts-konservativer Wähler. Für die war die jetzige Arbeitsministerin nämlich eine komplette Zumutung. Sie entmystifizierte aktiv die Rolle der Mutter in der Kindererziehung, sie setzt sich bis heute für eine harte Frauenquote ein und hält offenbar auch das Private für politisch relevant.
Schröder hingegen verfolgt eine ganz eigene Agenda. Im Bereich Jugendpolitik thematisierte sie die sogenannte „Deutschenfeindlichkeit“ junger Migranten. Im Bereich Senioren und Familie haben wir jetzt die Familienpflegezeit. Um das Geschlechterverhältnis auf dem Arbeitsmarkt zu entkrampfen, dessen Ungleichgewicht vor allem an die traditionelle Aufteilung der Familienarbeit geknüpft ist, hat sie das Modell der „Vollzeitnahen Teilzeit“ vorgeschlagen. Darin sieht sie eine zukunftsfähige Arbeitsform, in der beide Geschlechter 30 Stunden arbeiten und den Rest ihrer Zeit für Familie verwenden könnten.
Ein Modell, das ihrer Meinung nach auch für Führungspositionen anwendbar ist. Sie selbst versucht als Ministerin vorzuleben, dass die althergebrachte Präsenzkultur ausgedient hat. Als erste Ministerin, die während der Amtszeit ein Kind bekam, versucht sie ein modernes Familienbild vorzuleben. Trotzdem will sie nach eigenen Angaben noch vor der Sommerpause einen Gesetzesentwurf für das Betreuungsgeld vorlegen. Denn zwei Ideale ihrer Partei verkörpert Kristina Schröder auf das Penibelste: Erstens die Parteiresponsivität – also ein Verpflichtungs- und Verantwortungsgefühl gegenüber der eigenen Basis und ihren Entscheidungen. Hinter diesen muss ein einzelner Abgeordneter oder Minister auch zurückstehen mit seiner Meinung. Das zweite Ideal ist das nonegalitaristische Grunddenken. Ein, wie Schröder in ihrer Doktorarbeit empirisch nachwies, zutiefst christdemokratisches Weltbild.
Die Schere zwischen den Reichsten und den Ärmsten in der Gesellschaft ist dabei völlig in Ordnung – so lange es allen auf dem Existenzminimum gut gehe. Ungleichheit ist demnach auch kein Problem gesellschaftlicher Strukturen – es bedarf keines Eingriffes. Eine alte liberale Denkweise. Die Flexi-Quote steht dafür exemplarisch. Mit ihrer Empörung über sogenannte „Deutschenfeindlichkeit“ und der Fokussierung auf „Linksterrorismus“ bedient Schröder zudem eine CDU-Klientel, die nach dem Absturz von Roland Koch dringend einer neuen Repräsentationsfigur bedurfte. Schröder ist also rechts-liberal, nonegalitaristisch und sie setzt auf die Privatisierung der Verantwortung für gesellschaftlichen Auf- und Abstieg und für die weibliche Emanzipation. Dabei sollen wir alle unseres eigenen Glückes Schmied sein. Dass jene, die es nicht schaffen auch genauso selber Schuld sind, wie sie und ihre Freundinnen selber emanzipiert – sagt sie natürlich nicht dazu.
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