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() Symbol des Parlaments, der Demokratie und Berlins - die Reichstagskuppel
Der Stil der Berliner Republik

Historiker Arnulf Baring schrieb in Cicero, dass die Berliner Republik ihren Stil noch nicht gefunden habe, und plädierte für den Umzug des Bundespräsidenten ins neu zu errichtende Berliner Stadtschloss. Der Präsident des Deutschen Bundestages widerspricht

Lesen Sie auch: Arnulf Baring: Die stillose Berliner Republik Zehn Jahre sind vergangen, seit Parlament und Regierung nach Berlin gezogen sind. Die Berliner Republik lebe allerdings in einem Gefäß, das sie noch nicht füllt, konstatierte Arnulf Baring in der vorigen Ausgabe des Cicero und beklagte ihre Stillosigkeit. Aber hat die Republik ihren demokratischen Stil nicht längst gefunden? Ich will dies an zwei Aspekten verdeutlichen: an der Architektur im Parlamentsviertel und am Umgang des Deutschen Bundestages mit Kunst wie Geschichte. „Stil“ definiert der Brockhaus als die „jeweils besondere Art und Weise der Formung und Gestaltung, in der Haltungen, Verhalten, Vorstellungen von sozialen Gruppen oder Individuen erscheinen“. Der Stil der Demokratie, wenn es ihn überhaupt gibt, zeichnet sich aus durch Attribute wie Bürgernähe, Transparenz, Sachlichkeit, Pragmatismus, Zurückhaltung, jedenfalls kann er nicht darauf gerichtet sein, Macht auf eindrucksvolle Weise sichtbar zu machen. Wenn Arnulf Baring in der Hauptstadt Berlin „die starke Geste einer selbstbewussten Demokratie“ vermisst, an anderer Stelle gar eine „demonstrative Schmucklosigkeit“ beklagt und dafür die im Spreebogen entstandene Architektur als Beleg anführt, so ist das ein persönliches Geschmacksurteil, das man respektieren, aber nicht teilen muss. Erstaunlich viele Besucher wie Experten empfinden dies offensichtlich anders. Tatsächlich ist das Ensemble, das mit dem „Band des Bundes“ im Spreebogen entstanden ist, eine bemerkenswerte und durchaus starke architektonische Geste unserer Demokratie, die auch international viel Anerkennung gefunden hat. In diesen Gebäuden spiegelt sich das demokratische Selbstverständnis der Berliner Republik auf überzeugende Weise: Die Bauten atmen ein gelassenes Selbstbewusstsein, ohne auftrumpfend zu wirken, sie sind offen, der Stadt und den Menschen zugewandt. Glas ist in den Neubauten ein bevorzugtes Bauelement – das erlaubt nicht nur die Sicht nach draußen, sondern umgekehrt den Bürgern auch einen Einblick in die Arbeit der Volksvertreter, denen sie fast auf den Schreibtisch schauen können. Mit ihrer klaren Formensprache und ihrer schlichten Eleganz setzen die Gebäude des Parlamentsviertels einen attraktiven Akzent in der Berliner Stadtmitte, den die Besucherströme Tag für Tag belegen. Das Quartier zwischen Tiergarten und Spreebogen ist ein lebendiger Ort in der Hauptstadt. Man muss nur einmal an einem Sommerabend entlang dem Spreeufer flanieren: Dann sitzen auf den Freitreppen die Berliner und ihre Gäste und lassen das Flair dieses metropolitären Raumes auf sich wirken. Dabei habe ich über den „Star“ des Ensembles – das Reichstagsgebäude und seine von Norman Foster auf ausdrücklichen Wunsch des Parlaments entworfene grandiose Kuppel – noch gar nichts gesagt. Allein die Tatsache, dass nach internationaler Ausschreibung Entwurf und Planung des Umbaus einem ausländischen Architekten anvertraut wurden, war eine souveräne Geste der Berliner Republik. Wann immer ich aus meinem Büro­fenster schaue, kann ich eine lange Schlange von Besuchern sehen, die das Gebäude und vor allem die Kuppel besuchen wollen. Die Reichstagskuppel ist – wir nehmen das inzwischen bloß schon gar nicht mehr bewusst wahr – längst Symbol des Parlaments, der Demokratie und Berlins geworden. Die gläserne Kuppel ist die beliebteste Sehenswürdigkeit der Hauptstadt. Über 20 Millionen Besucher wurden seit 1999 im umgebauten Reichstagsgebäude gezählt – kein anderes Parlament der Welt zählt so viele Besucher. Ein eindrucksvoller Beleg einer bürgernahen parlamentarischen Demokratie. Über die Kunst im Bundestag gibt es ganz unterschiedliche Urteile. Darüber lässt sich trefflich streiten. Das Kunstkonzept des Bundestages ist allerdings nicht primär auf das Ziel angelegt, sich „freudig mit Deutschland identifizieren“ (Arnulf Baring) zu können; der Bundestag sucht in Berlin wie schon in Bonn den Dialog mit der Gegenwartskunst, bereits seit 1969 hat er eine eigene Kunstsammlung. Deshalb war es auch der explizite Wunsch, bei der Restaurierung des Reichstages wie bei der Errichtung der Neubauten von Anfang an Künstler an der Gestaltung von Treppenhäusern, Foyers und Sitzungssälen zu beteiligen. Künstler begleiten und kommentieren gewissermaßen mit ihren Werken die Arbeit der Parlamentarier, nutzen das Parlament als Bühne zur Darstellung ihrer durchaus eigen-, oft widerständigen Positionen. In Berlin verfügt der Bundestag nun endlich auch über einen eigenen Kunst-Raum, der für Ausstellungen zeitgenössischer Kunst genutzt wird und so das Fenster zur aktuellen Kunstszene offen hält. Meines Wissens gibt es kein anderes Parlament auf der Welt, das sich so intensiv mit Gegenwartskunst auseinandersetzt. Auch das ist für mich eine starke Geste der Demokratie. Die Hinweise darauf, das Parlament dürfe sich – bei allem Respekt für die Gegenwartskunst – nicht allein auf diese beschränken, sondern müsse am historischen Ort auch geschichtliche Zusammenhänge sichtbar und erfahrbar machen, sind längst aufgegriffen worden. Seit einigen Monaten wird im Durchgang zwischen Reichstagsgebäude und Paul-Löbe-Haus eine Ausstellung über die Geschichte der deutschen Verfassungen und des Parlamentarismus gezeigt. Ausführlich informiert darüber auch die ständige Ausstellung „Wege – Irrwege – Umwege“, die im Deutschen Dom zu sehen ist. Am Reichstagsgebäude erinnert eine Gedenktafel an Ungarns Beitrag zur Öffnung der Mauer, demnächst wird auch mit einer Tafel und einem Stück Originalmauer aus der Danziger Werft an die wichtige Rolle der polnischen Solidarnosc-Bewegung für den europäischen Demokratisierungsprozess erinnert. Straßennamen im Parlamentsviertel weisen auf wichtige Daten der Demokratie (Platz des 18.März), und die Neubauten tragen Namen verdienter Demokraten und Parlamentarier. Ob es der Selbstdarstellung der Demokratie guttun würde, das wieder aufzubauende Berliner Stadtschloss als Amtssitz des Bundespräsidenten zu nutzen, bezweifle ich ausdrücklich, denn damit würde das republikanische Staatsoberhaupt ausgerechnet dort amtieren, wo einst preußische Könige und deutsche Kaiser herrschten. Dies täuscht mehr Kontinuität vor, als der demokratische Verfassungsstaat ernsthaft beanspruchen sollte. Außerdem passt Schloss Bellevue, das übrigens schon seit über 50 Jahren (zunächst zweiter, ab 1994 erster) Amtssitz des Bundespräsidenten ist, mit seinen unspektakulären Dimensionen besser zu unserem demokratischen Selbstverständnis. Eine nicht unwesentliche Voraussetzung für das Gelingen der Deutschen Einheit war die in Bonn gepflegte Bescheidenheit. Sich dieser Haltung auch in der Berliner Republik zu erinnern, ist sicher nicht verkehrt. Der Bundestag hat entschieden, dass das Berliner Stadtschloss von keinem Verfassungsorgan genutzt wird, sondern es wird – wie es einer Demokratie gut zu Gesicht steht – öffentlicher Raum sein. Das Humboldt-Forum im Architekturmantel des alten Schlosses wird allen Bürgerinnen und Bürgern offen stehen – als Forum für die Kulturen der Welt. Eine kluge Entscheidung einer selbstbewussten Demokratie, die beweist, dass sie das Gefäß, in dem sie lebt, eben doch gut auszufüllen weiß. Foto: Picture Alliance

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