() Filmszene aus
Der ewige Deutsche
Opfergefühl, Selbstmitleid, Angst – warum nur plagen sich die Deutschen seit Jahrhunderten mit sich selbst am meisten herum? Das Psychogramm unserer Nation ist eine Fundgrube für Komplexe. Eine Spurensuche.
Der ewige Deutsche hasst nichts so sehr wie Deutschtümelei. Das ist eine internationale Schlechtestmarke. Kein Engländer schämt sich seiner Englishness, im Gegenteil, man ist froh, Brite zu sein – selbst in Schottland und Wales. Auch Amerikaner, Franzosen, Russen, Schweizer, Japaner, Türken, Iraker, ja selbst die als Selbsthasser notorischen Juden sind zumindest als Israelis stolz auf ihr Land und seine Flagge, seine Bräuche, seine Geschichte.
Allein wir Deutschen schämen uns. Unabhängig von unserer politischen Gesinnung. Die Linke verachtet den deutschen Patriotismus, ganz zu schweigen vom Nationalismus. Sie findet „dampfige“ deutsche Folklore vom Schützenverein bis zum Volkslied, das Hissen der deutschen Fahne und selbst das Singen der dritten, persilreinen Strophe der Nationalhymne „zum Kotzen“. Denn Schuld an allem Übel der Welt sind in ihren Augen die Patrioten, selbst und gerade, weil sie „Einigkeit und Recht und Freiheit“ für jenes „verfluchte“ deutsche „Vaterland“ erheischen. Die Rechte wiederum ist nicht weniger verbittert und verbiestert – über die deutsche Linke, in deren Fängen sie das Vaterland wähnt. Deren vaterlandslose Gesellen nützen mit masochistischer Lust jede Gelegenheit, der wehrlosen Heimat in den Rücken zu fallen und sie in die Niederlage und ins Elend zu stürzen. Der rechte deutsche Selbsthass hat einen Geburtstag und einen identifizierbaren Vater: Paul von Hindenburg. Der „Held von Tannenberg“ (1914) und spätere Chef der 3. Obersten Heeresleitung, der durch den „totalen Krieg“ gemäß der Strategie seines Quartiermeisters Erich Ludendorff den militärischen Zusammenbruch im Sommer 1918 besiegelt hatte, verkündete ein Jahr später vor dem Untersuchungsausschuss des Reichstages über die Gründe der Niederlage im Weltkrieg wider besseres Wissen, das Kaiserliche Heer wäre im Felde unbesiegt gewesen. Allein der Dolchstoß der linken Revoluzzer in den Rücken der Armee habe diese gefällt – wie dereinst der verräterische Hagen den Recken Siegfried.
Damit klettert endlich der Großvater der ewigen Deutschen aus dem musikalischen Orchestergraben auf die Bühne der Geschichte. In Richard Wagner fließen alle deutschen Säfte zusammen: Revoluzzer und Reaktionär, verhinderter Bombenleger und Barrikadenkämpfer, Adelsverächter, Antisemit und Speichellecker des naiven Märchenkönigs Ludwig II. sowie des jüdischen Komponisten Giacomo Meyerbeer, Bankrotteur und Schöpfer einer betörenden Musik sowie einer identitätsstiftenden Mythologie, die zum Fixstern seiner deutschen Landsleute aufstrahlen sollte.
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