- Drei Viertel sehen das Rennen als Show
Zwei Monate vor der Wahl präsentiert Cicero seinen ersten Wahlkampfindex: Der Volatilitätsindex liegt bei 33 Punkten, der Dynamikindex bei 43 Punkten. Das heißt: Ein Teil der Wähler ist noch unentschlossen, aber zugleich geht der Wahlkampf derzeit noch an vielen vorbei. Es ist für die Parteien noch viel zu holen.
Allmählich erreicht der Bundestagswahlkampf seine heiße Phase. Die Sommerinterviews mit den Spitzenkandidaten der Parteien, die derzeit auf allen Fernsehkanälen zu sehen sind, zeugen davon. Und mit der NSA-Affäre scheint auch – man ist fast geneigt zu sagen: endlich – ein Thema gefunden zu sein, dass das Format hat, dem Wahlkampf Schwung und Dynamik zu verleihen. Die Schlacht um die Wähler nimmt mehr Fahrt auf.
Cicero Online wird den Wahlkampf bis zum 22. September mit einem neuen und innovativen Umfrage-Tool begleiten, dem Cicero-Wahlkampfindex.
Kein Zweifel: Wahlkämpfe sind in der jüngeren Geschichte der Bundesrepublik wichtiger geworden. Die Wechselbereitschaft der Wähler in Deutschland ist höher denn je. Rund die Hälfte von ihnen hat sich eigenen Angaben zufolge erst im Lauf der Wahlkämpfe 2005 und 2009 „entschieden“. Doch Vorsicht: Was heißt in diesem Zusammenhang eigentlich – „sich entscheiden“? Es heißt nicht zwangsläufig „sich umentscheiden“. Vielmehr stellen immer mehr Menschen ihre Wahlentscheidung immer länger zur Disposition, sie sind also tatsächlich „unentschieden“. Viele von ihnen sind auch spät im Wahlkampf noch bereit zu einem Wechsel ihrer Wahlabsicht.
Ob es tatsächlich dazu kommt – wer weiß das schon. Eine Garantie dafür gibt es nicht. Das liegt letztlich in der Hand der Parteien und ihrer Spitzenkandidaten: Gelingt es ihnen, die grundsätzlich wechselbereiten Menschen tatsächlich im Wahlkampf zu einem Wechsel zu bewegen?
Von welch fundamentaler Bedeutung diese Frage ist, davon zeugt nicht zuletzt ein Vergleich der Wahlen 2005 und 2009: Die Zahl der wechselbereiten Wähler war zu Beginn des Wahlkampfes in beiden Jahren ähnlich hoch. Nur ist eben Steinmeier 2009 nicht gelungen, was sein Mentor Schröder vier Jahre zuvor so fulminant vollbracht hat: die Menschen für sich zu mobilisieren und zu gewinnen. 2005 gelang der SPD so eine Aufholjagd, 2009 nicht.
Was bedeutet das für den Wahlkampf? Was zeichnet also einen guten Wahlkampf aus? Ein Wahlkampf soll die Wähler einerseits erreichen, auch berühren, sie mit Informationen versorgen, ihnen eine Entscheidungshilfe sein. Aber es reicht natürlich nicht, sich nur das Angebot der Parteien anzuschauen, das uns mittlerweile allerorten begegnet. Es reicht nicht, die Wähler „nur“ zu erreichen. Die Menschen müssen zugleich offen sein für neue Impulse und Anregungen. Oder anders formuliert: Ein guter Wahlkampf schafft es, ein interessantes Angebot mit starker Nachfrage zu verbinden.
Und ist der derzeitige Wahlkampf in diesem Sinne ein guter Wahlkampf? Entwickelt er sich in die richtige Richtung? Um das zu erfahren und im weiteren Verlauf des Wahlkampfs zu beobachten, hat Cicero zusammen mit Wahlforschern der Universität Mainz und dem Meinungsforschungsinstitut Yougov den Cicero-Wahlkampfindex entwickelt.
In der Logik von Angebot und Nachfrage besteht der Cicero-Wahlkampfindex aus zwei Dimensionen. Die Angebotsseite bildet der Dynamik-Index ab: Kommt der Wahlkampf bei den Menschen an? Wie bewerten sie ihn? Werden die richtigen Themen angesprochen? Sind die Menschen interessiert an Inhalten? Reden die Menschen über den Wahlkampf? Finden sie das alles hilfreich? Freuen sie sich auf die Wahl? Sind sie gespannt auf den Wahltag? Insgesamt acht Fragen gehen in diesen Dynamik-Index ein.
Auf der Nachfrageseite zeigt der Volatilitäts-Index auf, wie (un-)entschlossen die Wähler sind. Wie sehr sind sie bereit, ihre Wahlentscheidung noch zu ändern, um etwa einer bestimmten Koalition zum Erfolg zu verhelfen? Insgesamt vier Fragen gehen in diesen Volatilitätsindex ein.
Insgesamt liegt dem Cicero-Wahlkampfindex also ein Set von zwölf Fragen zugrunde. Bis zum Wahltag wird der Index kontinuierlich erhoben. Am Ende stehen drei Zahlen zwischen 0 und 100 – je eine für den Dynamik-, eine für den Volatilitäts- und eine für den Gesamtindex als dem Mittelwert der beiden Dimensionen.
Stand der Dinge heute? Rund zwei Monate vor der Wahl liegen wir bei 33 Punkten für den Volatilitätsindex, 43 Punkten für den Dynamikindex und damit bei 38 von 100 Punkten insgesamt. Da ist also durchaus noch Luft nach oben auf beiden Dimensionen.
Was bedeuten diese Ergebnisse im Einzelnen? 58 Prozent der Menschen sind sicher, welche Partei sie am 22. September wählen werden – vor zwei Monaten waren es noch 54 Prozent. Der Entscheidungsprozess der Menschen ist also im Gange, aber zu holen ist für die Parteien immer noch eine Menge. 30 Prozent der Menschen schwanken noch zwischen zwei oder mehr Parteien. 30 Prozent der Menschen können sich vorstellen, sich aus wahltaktischen Gründen kurz vor der Wahl noch umzuentscheiden. Es bleibt spannend. Erst wenn der Volatilitätsindex bei 0 liegt, ist das Spiel zu Ende, dann haben sich alle entschieden. Aber er liegt bei 33.
Und das Angebot? Der Dynamik-Index liegt aktuell bei 43 Punkten. Für die Parteien ist das kein allzu guter Wert – der Wahlkampf kommt noch nicht in vollem Umfang bei den Menschen an. Nur 24 Prozent der Befragten berichten, dass derzeit in ihrem Bekanntenkreis viel über Politik gesprochen wird – immerhin aber sind das fünf Prozentpunkte mehr als noch vor zwei Monaten. 73 Prozent sind gespannt auf den Ausgang der Wahl (+12 Punkte gegenüber unserer Mai-Messung). Aber 73 Prozent glauben inzwischen auch, dass der Wahlkampf eine reine Schauveranstaltung sei – gegenüber nur 62 Prozent vor zwei Monaten.
Insgesamt führt dieses Bild zu einem Gesamtindex von aktuell 38 Punkten. Wir sind gespannt, wie sich dieser weiterentwickeln wird. Je mehr Leute sich entscheiden, desto stärker wird der Gesamtindex sinken – weil der Volatilitätsindex sinkt. Je mehr Wahlkampf die Parteien machen, desto eher wird der Gesamtindex steigen – weil der Dynamik-Index steigt und der Wahlkampf präsenter wird. Aber eine reine Schau darf der Wahlkampf auch nicht sein, das wäre nicht gut. Denn dann wenden sich unentschiedene Wähler insgesamt ab.
Die Parteien haben also kein leichtes Spiel – aber es hat ja auch keiner gesagt, Wahlkampf sei einfach. Es ist ein Spiel mit widerstreitenden Kräften – zwischen den Parteien, aber auch zwischen einer sich intensivierenden Wahlkampfdynamik und Wählern, die sich in ihrer Wahlentscheidung sicherer werden. Zwei Monate dauert der Wahlkampf noch, die Parteien können noch viel gewinnen und alles verlieren.
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Zum Weiterlesen: So entsteht der Cicero-Wahlkampfindex
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