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Der Tag... - ...an dem Angela Merkel ohne FDP dasteht

Der Wettlauf um die Bundestagswahl im September 2013 geht los. Wer macht das Rennen? Und wer koaliert hinterher mit wem? Cicero greift den Dingen voraus und schildert die entscheidenden Stunden des Wahlsonntags aus der Sicht von Angela Merkel, Peer Steinbrück und Jürgen Trittin. Heute: Angela Merkel Kanzleramt, Wahlnacht, das Ergebnis liegt vor: Die FDP ist erledigt. Angela Merkel hat den Wunschpartner verloren. Abermals muss sie sich zur Retterin aus der eigenen Not machen

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Hefty, Georg Paul

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An Schlaf ist nicht zu denken. Die Nachwahlumfragen hatten ebenso wie die Hochrechnungen die größten Umwälzungen seit den achtziger Jahren angekündigt. Das vorläufige amtliche Endergebnis hat sie bestätigt. Für die Bevölkerung und die Theoretiker ist der Unterschied zu vorgestern geringfügig, für die Berufspolitiker hingegen umwerfend. Das Fünf-Fraktionen-Sechs-Parteien- Parlament ist im Grundsatz erhalten geblieben, an die Stelle der FDP sind die Piraten getreten, die wegen ihrer Unübersichtlichkeit ebenfalls als freiheitliche Demokraten gelten. Das haben die Liberalen sich selbst zuzuschreiben. Röslers oder doch Brüderles, Westerwelles, letztlich Genschers Partei ist mangels einiger Hundert Zweitstimmen an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert, die Piraten – kein Name außer dem Parteinamen selbst bedeutet da etwas – haben die Hürde mit derselben Anzahl von Stimmen übersprungen: Einige besonders Weitsichtige haben ihre Zukunft auf die neue Karte gesetzt.

Angela Merkel steht mitten im Kanzleramt vor den Trümmern ihrer amtlich verkündeten Politik, der erst beschworenen und dann viel zu lange gepriesenen Wunschkoalition mit der FDP. Dabei war der Wunsch der CDU, erst recht der CSU, mit der FDP zu koalieren, in den ersten Sekunden nach deren unverschämtem – Merkels columbushafter Entdecker hätte treffender gesagt: ganz und gar unerträglichem – Wahlerfolg von damals 14,6 Prozent im Herbst 2009 verflogen. Von da an war es die Pflicht der CDU-Vorsitzenden, die FDP nie mehr die Hälfte der Stimmenzahl der CDU erreichen zu lassen. Nun ist die CDU wieder um ein Vielfaches stärker als die FDP, aber die Kanzlerkandidatin steht ohne „natürlichen“ Koalitionspartner da. „Ihr Wunschpartner, verehrte Frau Bundeskanzlerin, hat sich in nichts aufgelöst.“ So hatte es die Linke-Vorsitzende Kipping in der Elefantenrunde und vor wenigen Minuten auch der Chefredakteur des Bayerischen Rundfunks gesagt. „Anstatt dass der mich dafür loben würde“, spottet sie, „mir ist doch gelungen, was Strauß gewollt, aber weder er noch seine Erben geschafft haben.“

Merkels Strategie ist nicht das Kämpfen für Erfolge, sondern das Beseitigen von Gegnern, dann stellen sich ihre Erfolge von selber ein. Ein Anflug von Stolz huscht im Kreis der Getreuen über ihr Gesicht. Für den Moment wirkt sie wieder so mädchenhaft wie auf dem Foto im Jubiläumsband des Aachener Karlspreises.

Doch nun ist nicht nur die FDP einstweilen erledigt, ihre eigene Zukunft steht auf dem Spiel. Während Pofalla, Gröhe, de Maizière und Kauder auf sie einreden und Beate Baumann wie Eva Christiansen ganz im Sinne der Chefin sich ein Mona-Lisahaftes Lächeln gönnen nach dem Motto „Wie mitleidheischend sind doch die Männer, wenn sie sich auf ihre eigene Potenz nicht verlassen können“, macht sich Angela Merkel daran, sich neu zu erfinden oder sich von neuem in die Rolle der Retterin aus eigener wie fremder Not hineinzufinden.

Seite 2: Merkel schweigt zur K-Frage

Ohne den alten Koalitionspartner ist das Fundament ihrer dritten Kanzlerschaft dahin, ihr Anspruch auf den Verbleib im Kanzleramt brennt umso mehr in ihr. Die Gedanken gehen zurück zu einem Artikel, der vor der Bundestagswahl 2009 beleuchtet hatte, wie verwegen ihr Entschluss war, aus der Koalition mit der SPD heraus nach der vermeintlich schwächeren FDP zu greifen. Noch nie hatte bis dahin ein Kanzler den Wechsel der eigenen Partei in eine andersfarbige Koalition politisch überlebt. Mehr noch: Seit 1963 hatte jedes neue Parteienbündnis seinen eigenen Kanzler, der spätestens mit dem Ende des Bündnisses selbst erledigt war.

Dies galt auch für Ludwig Erhard, den sich das „Mädchen“ im Amt der Bundesjugendministerin einst zum Vorbild genommen hatte. 1991 antwortete sie auf die Frage, was sie später einmal sein wolle, mit Unschuldsmiene: „Wirtschaftsminister wie Ludwig Erhard.“ Als ihr entgegengehalten wurde, Erhard sei der einzige Wirtschaftsminister gewesen, der es zum Bundeskanzler gebracht hatte, schwieg sie. Dass selbst große Beliebtheit im Volk nicht weit genug trägt, um die eigene Kanzlerschaft in eine andere Koalition hinüberzuretten oder, etwas anders gesagt, die eigene Kanzlerschaft mit einer neuen Koalition zu retten, dafür war Erhard Beweis genug. Solange auch nur ein Einziger in der eigenen Partei als kanzleramtsfähig gilt, wie Kurt Georg Kiesinger zur Zeit Erhards, ist der Amtsinhaber Spielball in den Händen zweitrangiger Parteifreunde.

Merkel lässt in sich gekehrt die Gefährdungen Revue passieren. Sie ist überzeugt, dass die SPD weder mit der Linken noch mit den Piraten regieren wolle. Also bleibt es an ihr, zwischen der SPD und den Grünen als Partner zu wählen. Den Joker Trittins, in Koalitionsverhandlungen die Macht der Grünen zu steigern, indem sie im Amt des Kanzlers den Wechsel zu Röttgen durchsetzen, hatte Merkel unter Mittun Seehofers aus dem Spiel genommen, sobald amtlich war, dass Röttgen nicht als Ministerpräsident an NRW gefesselt sein würde. Den Ehrgeiz der Sozialministerin von der Leyen, eine abermalige große Koalition für den eigenen Einzug ins Kanzleramt zu nutzen, hatte sie im Wahlkampf so unbarmherzig bloßgestellt, wie es einst Kohl mit den Kanzlerambitionen des Vaters Albrecht getan hatte. Wo bitte ist jetzt noch jemand in der Union, der als Regierungschef infrage käme? Merkel schließt die Augen, sogleich bangen die Herren rundum, die Chefin könnte doch amtsmüde sein. Sie hingegen zitiert jeden Einzelnen vor ihr geistiges Auge, ohne dass ihr Blick unwillkürlich verriete, an welchen der Herren sie gerade denkt. Von diesen droht keine Gefahr, nicht einmal von Schäuble, schon gar nicht von de Maizière! Sie wendet sich Christiansen zu. „Ich mach’s“, sagt sie, „aber lassen wir die anderen erst einmal zappeln. Es reicht, wenn ich darauf bestehe, dass eine Koalition gegen die CDU den Wählerwillen hintergehen würde.“ „Im Morgenmagazin“, schlägt Christiansen vor, „im Morgenmagazin“ bekräftigt Baumann. Merkel genügt es zu schweigen – wie 1991, als sie erstmals mit der K-Frage konfrontiert wurde.

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