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Bundestags-Aus - Die Niederlage der FDP ist ein Sieg des Liberalismus

Die Idee der Freiheit ist nicht auf die FDP angewiesen, sagt der Hamburger Philosophieprofessor Rolf W. Puster in einem Gastbeitrag für Cicero Online. Die FDP hat aus seiner Sicht den Liberalismus verraten und ist zu einer degenerierten Organisation verkommen

Autoreninfo

Rolf W. Puster ist Professor für Philosophie an der Universität Hamburg. Seine Ar­beits­schwerpunkte sind Geschichte der Philosophie, Metaphysik, Sprach- und Re­li­gions­philosophie sowie politischer Liberalismus und Libertarismus.

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Zum ersten Mal in der bundesrepublikanischen Geschichte ist die FDP im Parlament nicht mehr vertreten. Von der Regierungsbeteiligung mit fünf Ministern über Nacht in die außerparlamentarische Opposition katapultiert zu werden, ist bitter. Noch gar nicht eingerechnet sind in dieser niederschmetternden Bilanz die finanziellen Folgen ihres Wahldesasters.

Nicht wenige Kommentatoren wittern derzeit Morgenluft und möchten aus dem aktuellen Tief der FDP ihr baldiges Ende herauslesen. Mehr noch, man glaubt den Wahlausgang als Menetekel für den Liberalismus als solchen deuten zu sollen: Die Idee der Freiheit habe den Bonus ihrer lange zurückliegenden historischen Verdienste nun endgültig aufgezehrt und könne jetzt als Fußnote der Ideengeschichte zu den Akten gelegt werden.

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Doch Gemach. Solche Diagnosen und voreiligen Nachrufe bleiben an der Oberfläche und sind erkennbar von anti-liberalen Sehnsüchten diktiert. Wer anlässlich der tiefen Zäsur in der Geschichte der FDP über die künftige Rolle einer liberalen Partei ernsthaft nachdenken will, muss einerseits ihre innere Kompassnadel – die Idee der Freiheit – kennen und andererseits ihre äußere Lage im realpolitischen Umfeld einer Demokratie realistisch einschätzen.

Der Liberalist ist Anti-Etatist

In ihrem Kern steht die Idee der Freiheit für einen Zustand, in dem jeder tun kann, was er will. Da jeder von uns diesen Zustand nicht als isolierter Robinson realisieren kann oder mag, ist ein gesellschaftlicher Zustand der Freiheit ein solcher, in dem den Einzelnen ein Maximum an freiwilliger Kooperation offen steht. Aus diesem Grund ist in freiheitlichen Gemeinwesen die private Gewaltanwendung zur Beugung fremden Wollens unzulässig.

Hinter der Sicherstellung freiwilliger Kooperation steht die Einsicht, dass sie die Eigenart hat, vorteilsbedachte Akteure zu wechselseitigem Vorteil zu verbinden: Dadurch, dass man sein eigenes Tun in den Dienst fremden Wollens stellt und dafür im Tausch das fremde Tun in den Dienst des eigenen Wollens stellen darf, fahren beide besser, als wenn sie ihr je eigenes Tun ohne den Umweg der Kooperation in den Dienst ihres je eigenen Wollens gestellt hätten. Diese Einsicht schließt die weitere Einsicht ein, dass freiwillige Kooperation durch die Intervention Dritter nichts gewinnen, sondern nur verlieren kann. Und da der Staat als politischer Akteur seiner Natur nach ein eingreifender ist, hat jeder wohlverstandene Liberalismus von Haus aus einen anti-etatistischen Einschlag.

Bildung unter staatlicher Fuchtel

Es kennzeichnet unsere Gegenwart, dass die meisten Menschen – und damit auch die meisten Wähler – die zutiefst sozialen Pointen der Freiheitsidee nicht verstehen. Sie sind durchdrungen vom Glauben an das segensreiche Wirken des Staates und sehen in seinen Organen ohne Argwohn Werkzeuge der Gerechtigkeit. Verwundern kann diese Massenillusion nicht, da der Staat schon längst das Bildungssystem fast vollständig unter seine Fuchtel gebracht hat, in welchem vom Staat besoldetes Lehrpersonal ahnungslosen Kindern und Jugendlichen die Welt erklärt.

Die nachwachsenden Generationen erfahren früh und in tausendfacher Variation, dass staatliche Daseinsfürsorge etwas Gutes ist und dass Markt und Wettbewerb üble Relikte aus barbarischen Vorzeiten sind, die gegen den Widerstand ruchloser Kapitalisten überwunden werden müssen. Wer die Anreizsysteme des staatlicherseits betriebenen Bildungssystems versteht, braucht keinerlei Verschwörungstheorie zu bemühen, um dessen etatistische Selbstverstärkungslogik zu begreifen. Alle Beteiligten können wohlmeinend sein und sich selbst ehrlich für ergebnisoffen Urteilende halten, und dennoch bringt dieses System mit der Zuverlässigkeit eines Uhrwerks unerschütterliche Etatisten hervor. Die Zöglinge der staatlichen Bildungsanstalten sehnen sich nach sicheren Jobs im öffentlichen Dienst (oder meinen, dass alle Jobs so sicher sein sollten wie im öffentlichen Dienst) und betrachten die allgegenwärtige Umverteilung als gerechtfertigt, da sie zugunsten der Benachteiligten und zulasten der Privilegierten gehe. Sie wettern gegen alles, was nach Freiheit und Profit riecht und sonnen sich dabei in ihrem kritischen Bewusstsein, ohne zu erkennen, dass sie lediglich den Stoff brav wiederkäuen, mit dem sie jahrelang indoktriniert worden sind.

Vor diesem Hintergrund liegt es auf der Hand, dass die meisten Parteien sich darum bemühen, ihre Programmatik und ihre Wahlversprechen auf den vorherrschenden bieder-etatistischen Erwartungshorizont zuzuschneiden. Sie bauschen minimale Unterschiede zwischen den Parteiprogrammen zu Schicksalsfragen auf und pflegen allenfalls in ihrem Jargon gewisse Nuancen, um bestimmte Milieus an sich zu binden.

Eine sich als liberal präsentierende und damit auf ein gerüttelt Maß an Anti-Etatismus festgelegte Partei, die sich an diesem Spiel beteiligt, muss auf Dauer Schwierigkeiten mit freiheitlich gesonnenen Wählern bekommen. Wenn bei der FDP (wie es jetzt offenbar der Fall ist) die taktisch motivierte Stimmabgabe zur Beschaffung von Kanzlermehrheiten ausbleibt, ist sie auf die Treue der vergleichsweise kleinen Zahl von Wählern angewiesen, die dem etatistischen Wahn nicht verfallen sind und bei denen die hohlen Altruismus- und Gerechtigkeitsphrasen nicht verfangen. Diese wenigen Wähler reagieren empfindlich, wenn sie den Markenkern des Liberalismus immer weiter verwässert, immer mehr verbogen und schließlich sogar gänzlich verraten sehen.

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Es führt angesichts des derzeitigen Wahldebakels der FDP kein Weg an der Wahrheit vorbei, dass sie in diesem Punkt kläglich versagt hat. Die massive Wählerwanderung zur eurokritischen AfD markiert unübersehbar die von der FDP eingenommene Haltung zur Rettung bankrotter Banken und Staaten als die Stelle, an der sie die rote Linie selbst ihrer leidgewohnten Stammwählerschaft überschritten hat.

FDP bloß noch ein Machterringungsapparat

Die FDP hat in der Vergangenheit törichterweise so agiert, als buhle sie mit den Sozialdemokraten aller Parteien um die Gunst jener Wählermassen, die die unsozialen Spät- und Nebenfolgen der allgegenwärtigen Beglückungspolitik ohnehin nicht verstehen, und um das Wohlwollen der einflussreichen Leitartikler, die in ihrer Mehrzahl ebenfalls unbelehrbare Etatisten sind. Der Drang, auf weichen Abgeordnetenbänken und Regierungssesseln zu sitzen, auf vielen Ebenen einflussreich zu sein und Gefälligkeiten erweisen zu können, war am Ende stärker als das Bewusstsein, dass diese Annehmlichkeiten mit zu den Schattenseiten des Etatismus gehören, den zu bekämpfen das Anliegen liberaler Wähler ist. In diesem Sinne kann man in der krachenden Niederlage der FDP einen Sieg des Liberalismus sehen. Es ist ein Sieg des in den Köpfen und Herzen von Wählern verankerten Liberalismus über die leere Floskelproduktion einer zum bloßen Machterringungsapparat degenerierten Organisation und ihrer Protagonisten.

Wenn die FDP ihre nunmehrige Lage ohne Schönfärberei analysieren und Lehren daraus ziehen will, wird sie anerkennen müssen, dass die Idee der Freiheit gegenwärtig bei den ihr davongelaufenen Wählern besser aufgehoben ist als bei ihr. Das muss so nicht bleiben. Sie kann ihre Distanz zum Staat vergrößern und dadurch ihre Distanz zu liberalen Wählern verringern. Sie kann zur Kenntnis nehmen, dass Freiheit etwas ist, das nicht unablässiger Verbesserung und telegener Modernisierung bedarf, sondern der konsequenten und unerschrockenen Verwirklichung. Über eines jedenfalls sollte sich die leistungsgerecht geschrumpfte Partei bei ihrer fälligen Selbstbesinnung im Klaren sein: Dank der Freiheitssensitivität unverzichtbarer Wählerschichten ist die FDP auf die Idee der Freiheit angewiesen. Das Umgekehrte gilt hingegen nicht: Die Idee der Freiheit ist nicht auf die FDP angewiesen.

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