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BND-Kooperation - Muss die NSA-Affäre neu bewertet werden?

Der BND hat 500 Millionen Daten über Ausländer an die US-Partner geliefert. Das stellt Enthüllungen von Edward Snowden in ein anderes Licht. Muss die NSA-Affäre neu bewertet werden?

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Robert Birnbaum ist Redakteur im Ressort Politik beim Tagesspiegel

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Seit der flüchtige US-Geheimdienstmitarbeiter Edward Snowden sich zu Wort gemeldet hat, steht ein ungeheuerlicher Verdacht im Raum: Hat der US-Geheimdienst NSA die Bürger seines engen Verbündeten Deutschland ausgespäht, heimlich, in großen Massen und auf deutschem Hoheitsgebiet? Seit gut zwei Monaten beherrscht der Verdacht die Nachrichtensendungen und Internet-Foren, prägt den Wahlkampf und bringt die Regierung in Erklärungszwang. Doch seit ein paar Tagen geht ein anderer Verdacht in der Berliner Politik-Szene um. Noch spricht ihn keiner laut aus, noch fehlen Belege, auf seine Weise ungeheuerlich wäre auch er Wenn nämlich die Massenüberwachung der Deutschen im eigenen Land womöglich so gar nicht stattgefunden hätte.

War der „deutsche“ Teil der Abhöraffäre ein Irrtum?

Die neue Frage hat ausgerechnet der „Spiegel“ aufgeworfen. Das Magazin verfügt über Zugang zu einigen der Materialien, die der Computerexperte Snowden aus der NSA-Zentrale in Fort Meade hat mitgehen lassen. Der „Spiegel“ gab denn zunächst auch den Ton vor: von „Totalüberwachung“ war die Rede und davon, dass die NSA „jeden Monat“ die Daten von 500 Millionen Telefon- und Computerverbindungen „aus Deutschland“ speichere.

Diese Woche präzisierte das Magazin sein Wissen: Die rund 500 Millionen Verbindungen beziehen sich in Snowdens Dokumenten auf den Dezember 2012, und die Daten stammen aus zwei Sammelstellen, Tarnkürzel US-987LA und LB. Das Interessante daran ist, dass jemand in Deutschland die gut kennt: Der Bundesnachrichtendienst (BND) bestätigte, dass sich hinter den Kürzeln seine – seit zehn Jahren gemeinsam mit der NSA betriebene – Abhörstation im bayerischen Bad Aibling und die Fernmeldeaufklärung in Afghanistan verbergen.

Der BND leitet die von ihm erhobenen Metadaten – also Telefonnummern oder Computer-Adressen – von dort auch an die NSA weiter. Allerdings besteht der Dienst darauf, dass es lediglich um „Auslandsverkehre insbesondere in Krisengebieten“ gehe und dass man vor der Weitergabe alles stufenweise um personenbezogene Daten bereinige, die auf deutsche Staatsbürger hindeuten würden.

Wenn das so ist, liegt ein Schluss zumindest nicht so fern: Womöglich hat nicht die NSA massenhaft Deutsche belauscht, sondern BND und NSA haben gemeinsam massenhaft in die Länder hinein gelauscht, die George Bush einst die „Achse des Bösen“ nannte: Wer telefoniert mit wem in Afghanistan oder Irak? Die Daten stammten dann zwar vielleicht technisch „aus Deutschland“ – aber es sind nicht die Daten von Deutschen. Und der Techniker Snowden konnte diesen feinen Unterschied in den „Prism“-Datenbänken vermutlich nicht erkennen.

Wäre die Bundesregierung damit entlastet?

Angela Merkels Regierung und ihrer CDU gefällt der Gedanken natürlich sehr, dass die Affäre eine solch unerwartete Wende nehmen könnte. Doch noch will auch in der Regierung niemand so weit gehen, die vermeintliche Staatsaffäre zum Luftballon zu erklären. Alle verweisen nur darauf, dass Kanzleramtsminister Ronald Pofalla (CDU) am Montag im geheimen Parlamentarischen Kontrollgremium (PKGr) des Bundestages alles erläutern werde. Und bis dahin, sagen Leute, die es wissen sollten, hat Pofalla noch einiges zu tun.

Welche Fragen zur NSA-Affäre sind noch offen?

Erledigt wäre die NSA-Affäre freilich auch dann nicht, wenn der Massen-Angriff auf den eigenen Verbündeten in dessen Hoheitsgebiet nicht stattgefunden hätte. Dass die Amerikaner jedenfalls einzelne Personen in Deutschland ausspähen, bestätigen Informanten in Washington. „9/11 war der Auslöser“, sagt ein ehemaliger Mitarbeiter der NSA. Seit klar war, dass die Attentäter aus Hamburg kamen, betreibe der US-Geheimdienst neben klassischer Regierungsspionage auch die Telefon- und Internet- Überwachung von Teilen der deutschen Bevölkerung. Bis heute stehe Deutschland auf der Liste der Spähziele. Daten aus Deutschland umfassen demnach die BND- Zulieferungen, die auf Krisengebiete gerichtete Aufklärungsaktivitäten der NSA in Deutschland selbst und die auf Deutschland gerichtete Spionage. „Wir spionieren selbstverständlich“ sagte der frühere NSA-Chef Michael Hayden bei einer Cybersecurity- Veranstaltung des Bipartisan Centers in dieser Woche in Washington, „wir machen das besser als alle anderen.“

Außerhalb der Zuständigkeit deutscher Justiz und Politik schöpft die NSA Deutsche sowieso ab. Wer seine Mails über Yahoo sendet, seine Kontakte bei Google speichert und seine Steuererklärung in der Dropbox, begibt sich unter das oft recht lockere Recht der Länder, in denen die globalen Daten-Multis ihre Server betreiben. Auch Snowdens Behauptung, in Europa seien Regierungsstellen belauscht und EU-Büros verwanzt worden, steht ungeklärt weiter im Raum.

Aber selbst das 500-Millionen-Paket „aus Deutschland“ wirft weitere Fragen auf. Hans-Christian Ströbele, für die Grünen im PKGr, rechnet vor, dass der BND dem Kontrollgremium für die letzten drei Jahre zwischen 2,9 und 37 Millionen überwachte Kommunikationsvorgänge seiner „Strategischen Fernmeldeaufklärung“ aufgezählt habe – wo da eine halbe Milliarde in einem einzigen Monat herkommen sollten, verstehe er nicht. Freilich hat der BND selbst die 500 Millionen in seinen Erklärungen gar nicht erwähnt. Woher die Masse stammen soll, ist offen.

Welche Auswirkungen könnte das alles auf den Wahlkampf haben?

Selbst wenn Details unklar blieben – sollte sich der Vorwurf der „Totalüberwachung“ im eigenen Land im Kern zerschlagen, wäre die Opposition um ein Wahlkampfthema ärmer. Ob die Affäre dazu jemals taugte, darüber gibt es im Herausforderer-Lager unterschiedliche Einschätzungen. SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück ging so weit, Kanzlerin Merkel den Bruch des Amtseids zu unterstellen. Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier war stets leiser. Er kennt sich aus, er war in der Zeit nach den Terroranschlägen vom 11. September Chef in Gerhard Schröders Kanzleramt. Er hat 2002 eine Kooperationsvereinbarung zwischen BND und NSA abgesegnet. Koalitionäre nehmen das – in seltener Eintracht mit der Linken – nun zum Anlass, Steinmeier in das Licht des Tür- und-Tor-Öffners für jedwede Spioniererei zu rücken – auch das wohl nur Retourkutsche im Wahlkampf. In der Abmachung, erinnern sich Zeitzeugen, seien klare Grenzen gezogen worden, um deutsches Recht einzuhalten. Wie so etwas praktisch aussieht, wurde im BND-Untersuchungsausschuss 2006 beispielhaft klar. Zwei BND-Agenten in Bagdad meldeten während des Kriegs gegen Saddam Hussein GPS-Daten von Zielpersonen nach Hause – in Washington landeten sie zeitverzögert und so verstümmelt, dass sie nicht mehr als Zielvorgabe für Cruise Missiles taugten.

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