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BND-NSA-Affäre - Misstraut Euch!

Die Bespitzelungs-Affäre hat einen neuen Höhepunkt erreicht: Der Bundesnachrichtendienst soll im Dienste der NSA europäische Rüstungskonzerne ausgespäht haben - mit stillschweigendem Einverständnis des Kanzleramts. Frank A. Meyer misstraut dem Bündnis aus Regierung und BND schon lange

Autoreninfo

Frank A. Meyer ist Journalist und Kolumnist des Magazins Cicero. Er arbeitet seit vielen Jahren für den Ringier-Verlag und lebt in Berlin.

So erreichen Sie Frank A. Meyer:

Die Regierung der Bundesrepublik Deutschland beruft sich auf ein Gutachten der Washingtoner Kanzlei Rubin, Winston, Diercks, Harris & Cooke. Es sollte die Frage klären, ob der flüchtige Geheimdienstmitarbeiter Edward Snowden gemäß amerikanischer Rechtslage vor den NSA-Untersuchungsausschuss des Bundestags nach Berlin geladen werden darf.

Und Rubin, Winston, Diercks, Harris & Cooke klärten die Deutschen auf. Ihr Gutachter, der Kanzlei-Partner Jeffrey Harris, übermittelte Berlin eine Analyse mit der zwingenden Schlussfolgerung, dass sich jeder nach US-Recht schuldig mache, „der dazu beiträgt, dass Snowden gestohlene (als geheim) klassifizierte Informationen enthüllt“.

America locuta, causa finita?

Deutsche Bundestagsabgeordnete würden also zu Kriminellen, wenn sie Grundrechtsverletzungen der US-Regierung in Deutschland aufzuklären suchten?

Regierung vs. Parlament
 

Lilian Harveys zauberhafter Schlager „Das gibt’s nur einmal“ hebt an mit den Worten: „Wein ich? Lach ich? Träum ich? Wach ich?“ Ja, man ist ratlos wie der Star der Zwanziger und Dreißiger, liest man, was die Bundesregierung dem Parlament zumutet. Ihrer Legislative! Der gesetzgebenden Staatsgewalt!

Ist größere Verachtung einer Regierung für das Parlament denkbar? Hat es diese Regierung doch zu kontrollieren, ist es ihr doch übergeordnet!

Wie wär’s damit: Die Regierung der Bundesrepublik Deutschland erteilt einer Moskauer Anwaltskanzlei den Auftrag für ein Gutachten in Sachen Krim/Ukraine – und leitet deren völkerrechtliche Schlussfolgerungen als Regierungsbescheid an den Auswärtigen Ausschuss des Bundestags weiter?

Rossia locuta, causa finita!

Der Fall Snowden/NSA entlarvt ein irritierendes Demokratieverständnis der Regierung in Berlin: Sie will bestimmen, welche geheimen Unterlagen der untersuchenden Parlamentarierkommission zur Verfügung gestellt werden. Und ihre Weigerung, mehr als das absolute Minimum aus den Tresoren zu holen, wird begründet mit Staatssicherheit und Staatsräson.

Das Sicherheitsargument
 

Wie ließ sich doch Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen vernehmen? „Wir müssen darauf achten, dass durch die Preisgabe von Informationen nicht die Sicherheit in Deutschland gefährdet wird.“

Et voilà!

Die unwiderruflich letzte, ewige Schutzbehauptung aller Geheimdienste, von Stasi und KGB bis BND und NSA: Wer Licht anknipst in unserer Dunkelkammer, vergeht sich an Volk und Vaterland.

Maaßen nimmt den Knüppel gleich aus dem Sack: „Mit den Informationen der Amerikaner ist es uns in der Vergangenheit im Vorfeld gelungen, Terroranschlagspläne, die auf dem deutschen Boden verübt werden sollten, rechtzeitig aufzudecken.“

Wer’s glaubt, zahlt einen Taler, wer’s nicht glaubt, erst recht.

Seit dem Anschlag vom 11. September 2001 auf das New Yorker World Trade Center verschattet der Begriff Sicherheit den Begriff Freiheit – den fundamentalen Begriff demokratischen Bewusstseins. Und was heißt hier Schatten? Sicherheit erstickt Freiheit, immer öfter. Wie auch im Deutschen Bundestag.

Wie herrlich aber reimt sich das Mantra Sicherheit auf das Mantra Vertrauen!

Bundesnachrichtendienstchef Gerhard Schindler lässt es sich nach eigenem Bekunden angelegen sein, „unsere Vertrauensbasis in der Gesellschaft zu verbreitern“. In den USA firmiert der Schnüffelapparat unter der pathetischen Bezeichnung „Homeland Security“ – Heimatschutz. Allein das Wort soll jedem kritischen Bürger den Widerspruch auf den Lippen ersterben lassen: Wer dem Heimatschutz misstraut – misstraut der Heimat.

Zum Wesen des demokratischen Rechtsstaats gehört Vertrauen nur sehr bedingt. Er ist vielmehr geboren aus Misstrauen gegenüber der Staatsgewalt. Dem Misstrauen verdanken wir Montesquieus geniales Staatsmodell der Gewaltenteilung, der „Checks and Balances“.

So verdient eine Regierung zwar Vertrauen, das aber gleichzeitig über die parlamentarische Kontrolle durch Misstrauen einzuhegen ist. Ebenso wie das Parlament durch das Misstrauen – Neuwahlen und Abwahlen – des Volkes.

Institutionalisiertes Misstrauen bildet die Hefe, welche die Demokratie aufgehen lässt.

Wer aber verdient mehr Misstrauen als alle anderen staatlichen Institutionen? Die Geheimdienste!

Sie sind der Demokratie wesensfremd, wenngleich notwendig – allerdings nie und nimmer in Ausmaß und Machtfülle, die sie heute für sich beanspruchen.

Ihnen gegenüber ist grundsätzlich Misstrauen angebracht. Auch und insbesondere ihren Chefs gegenüber.

Hans-Georg Maaßen mag ein vertrauenswürdiger Mensch sein, für seine Familie, seine Freunde, im zivilen Leben. Als Verfassungsschutzpräsident verdient er – Misstrauen.

Bundesnachrichtendienstchef Gerhard Schindler mag die Verkörperung persönlicher und privater Vertrauenswürdigkeit sein. Als BND-Boss verdient er – Misstrauen!

Der Vertrauensbonus der Kanzlerin
 

Angela Merkel hat die Kultur somnambulen Vertrauens zum politischen Erfolgsrezept gemacht. Ihr Schlusswort im TV-Wahlduell mit Peer Steinbrück eröffnete sie mit den schlichten Worten: „Sie kennen mich …“

Bescheidener kann man nicht um Vertrauen werben. Das Buhlen um Vertrauen ist stets mit einer Prise Demut versetzt.

Tugenden sind der demokratischen Sittlichkeit durchaus dienlich – und daher löblich. Dennoch ist die Demokratie nicht auf atmosphärischen Sand gebaut, vielmehr auf Überprüfung und Kontrolle, Sanktion und Abwahl. Laut Karl Popper, dem Philosophen der offenen Gesellschaft, beruht der demokratische Rechtsstaat auf Versuch und Irrtum – was Skepsis, was Misstrauen voraussetzt.

Und wäre ein gewisses Restvertrauen in Deutschlands Sicherheitsbehörden noch bis vor wenigen Jahren allenfalls zu rechtfertigen gewesen, seit sich die Geheimdienste per Internet systematisch vernetzen, von Washington über London bis Berlin, ist impertinentes Misstrauen erste Bürgerpflicht.

Demokratenpflicht.

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