- Lampedusa liegt in Berlin
Weil der Bund eine Reform des Asylrechts verweigert, müssen Kommunen das ausbaden. Das zeigt sich im Drama der Räumung der von Flüchtlingen besetzten Gerhart-Hauptmann-Schule in Berlin-Kreuzberg. Was hier passiert, geht die ganze Republik an
Lampedusa liegt auch in Deutschland. Das zeigt sich dieser Tage. Es ist ein Ort, an dem sich das jahrzehntelange Wegducken, Herunterspielen und Ignorieren in der Flüchtlingspolitik entzündet. Er liegt in Berlin-Kreuzberg, in der Ohlauer Straße, wo in den vergangenen Tagen der Konflikt um eine von Flüchtlingen besetzte Schule eskalierte. Am Dienstagnachmittag stand eine Räumung kurz bevor.
Was für sich genommen eine ungesetzliche Situation ist, ist für alle Seiten eine Tragödie. Für die Flüchtlinge, die einen dauerhaften Aufenthalt in Deutschland fordern, aber zusammengepfercht in einem verfallenen Schulgebäude ausharren. Für die Anwohner, die seit Monaten den Lärm und die Proteste ertragen müssen. Für die Polizei, die für Ordnung sorgen soll – und jetzt der Buhmann ist. Denn die grüne Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann hatte sich bis zuletzt geweigert, kontrolliert durchzugreifen. Als der „Tagesspiegel“ von einem Räumungsbefehl berichtete, twitterten die Berliner Grünen, man habe die Polizei lediglich um „Verhandlungen gebeten“.
Linksradikale nutzen die Flüchtlingsnot für ihre Sache
Herrmann hatte die Wahl zwischen Pest und der Cholera: Mit einem harrschen Durchgriff - wie ihn sich auch der Berliner Innensenator Frank Henkel (CDU) gewünscht hätte - verprellt sie ihr eigenes grünes Klientel. Im Netz wurde sie bereits überschüttet von Kritik an ihrem Räumungsbefehl. Denn eigentlich sympathisiert Herrmann mit den Flüchtlingen und unterstützt ihre Anliegen. Ihr Kollege aus dem Bundestag, der grüne Kreuzberger Abgeordnete Hans-Christian Ströbele, hat sich während der Proteste immer wieder klar auf die Seite der Demonstranten geschlagen. Andererseits: Hätte Monika Herrmann weiterhin aufs Nichtstun gesetzt, hätte sich die illegitime Situation weiter fortgesetzt. Und man hätte ihr zurecht Führungsschwäche vorgeworfen.
Umso mehr, als Linksradikale die Lage der Flüchtlinge für ihre Sache instrumentalisiert haben. Sie ließen den Bezirk vermüllen, beschimpften Polizisten als „Robocops“ und „Nazis“ – eine Beleidigung, gar Straftat.
Die Lösung, komplett auf die Forderungen der Besetzer einzugehen und allen Asyl zu gewähren, ist streng genommen auch keine: Denn dann hätte sich der Berliner Senat erpressen lassen – und einen Präzedenzfall geschaffen. Ein noch viel größerer Aufstand von weiteren Migranten, die auch einen Aufenthalt fordern, wäre dann die Folge gewesen. Das kann das Land nicht wollen.
Das Problem ist das Asylrecht
Die Verantwortlichen sind an viel höherer Stelle zu suchen: in der Bundesregierung. Kreuzberg kann nicht das Asylgesetz ändern. Das ist aber genau das, was Grüne, Linke, Piraten und auch die FDP fordern – und was längst überfällig ist. Doch im Bund wird das Thema seit Jahren geflissentlich ignoriert. Auch jetzt noch in der Großen Koalition: Justizminister Heiko Maas (SPD) und Innenminister Thomas de Maizière (CDU) wollen die Debatte kleinhalten. Sie beraten Flüchtlingspolitik in der EU lieber im Zusammenhang mit Terrorismus. Auch die Flüchtlingsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoğuz (SPD), vermeidet es bislang, Stellung zu nehmen.
Dabei müssten die Ressorts Justiz und Inneres aktiv werden. Denn das Asylrecht ist heute nur noch ein erbärmlicher Flickenteppich. Es wurde in den neunziger Jahren gerupft – im Angesicht von NPD-Aufmärschen und Ausschreitungen in Rostock-Lichtenhagen, Hoyerswerda, Solingen und Mölln.
Wer heute um Asyl bittet, muss sich einem erniedrigenden Verfahren unterwerfen. Eine Auflage ist beispielsweise die „Residenzpflicht“. Sie schreibt vor, dass Asylsuchende ihr Bundesland nicht verlassen dürfen. In Sachsen und Bayern wird dieser Passus noch strikter ausgelegt: Dort ist der Bewegungsradius der Betroffenen auf den Regierungsbezirk beziehungsweise noch auf einen Nachbarlandkreis beschränkt. Als sich die Flüchtlinge vor zwei Jahren auf ihren Marsch von Würzburg nach Berlin aufmachten – der Startpunkt der vielen Konflikte in der Hauptstadt, die jetzt in der Ohlauer Straße eskalieren –, war das auch ein Protest gegen diese restriktiven Bestimmungen.
Erniedrigendes Asylverfahren
Asylsuchende dürfen keine Arbeit aufnehmen, haben keinen Anspruch auf Eingliederungs- oder Sprachkurse. Das heißt, während der nervenaufreibenden Prüfverfahren, die sich mit den Gerichtsprozessen manchmal über Jahre oder Jahrzehnte hinziehen, dürfen Asylbewerber nicht einmal sich selbst versorgen. Sie werden zu Almosenempfänger reduziert. Das bedeutet: Sie können keine Steuern zahlen – was dem Klischee in rechten Kreisen, Ausländer würden sich nur beim Staat bedienen, falschen Vorschub leistet. Asylbewerber dürfen schlichtweg keiner Erwerbsarbeit nachkommen.
Über Jahrzehnte händigten viele Kommunen Asylbewerbern nur Lebensmittelpakete aus. Diese Praxis und die niedrigen Sätze für Asylbewerber hatte das Bundesverfassungsgericht im Juli 2012 für ungültig erklärt – und das Existenzminimum auf Hartz-IV-Niveau angehoben. Für Frust sorgt auch, dass immer wieder ganze Familien abgeschoben werden, die schon über Jahre in Deutschland gelebt und sich eingegliedert haben, deren Kinder zur Schule gehen und die nie ihr Heimatland gesehen haben.
Doch SPD und vor allem die CDU trauen sich an eine Reform des Asylrechts nicht heran. Zu groß ist gerade in der Union die Angst vor den Konservativen und der Alternative für Deutschland (AfD), die eine restriktive Ausländerpolitik befürwortet. Und so schaut der Bund weiter weg, wenn Flüchtlinge in Berlin-Kreuzberg drohen, vom Dach einer Schule in den Freitod zu springen.
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