- Ansichten eines Selbstbetrügers
CICERO ONLINE schaut zurück auf ein Jahr voller interessanter, bewegender, nachdenklicher oder einfach schöner Texte. Zum Jahreswechsel präsentieren wir Ihnen noch einmal die meistgelesenen Artikel aus 2011. Im November: Karl-Theodor zu Guttenberg wollte sich geläutert geben, unverstellt, ehrlich. Dafür hat er sich zum Interview-Buch mit Giovanni di Lorenzo bereit erklärt. Nun präsentiert er aber wieder nur seine alte Geschichte vom unverstandenen Chaoten - anstatt endlich sein Plagiat zuzugeben. Ein Kommentar
Es ist die Geschichte mit der Brille, die einen stutzen lässt. Eine „reizende indische Ärztin“ habe in den USA festgestellt, dass Karl-Theodor zu Guttenberg auch ganz ausgezeichnet ohne seine Brille sähe. Diese trägt der „bedeutende Staatsmann“, unter welcher Bezeichnung er in den USA zur Zeit gehandelt wird, seit „etwa sieben oder acht Jahren“, wie er selber sagt. Damals war der junge Bundestagsabgeordnete neben der Politik vor allem mit einem beschäftigt: dem Verfassen seiner Doktorarbeit, die ihm im vergangenen Jahr so viel Ärger bereitet hat. Da kam ihm eine Brille und der damit einhergehende akademische Flair vielleicht gerade recht, denkt man sich.
Zwei unterschiedliche Sehstärken an den Augen hätten dazu geführt, dass er damals eine Brille gebraucht hätte, nach seinem Rücktritt hat sich dieses Missverhältnis aber wundersamerweise wieder ausgeglichen. So präsentiert sich zu Guttenberg heute quasi als neuer Mensch: Geläutert, ausgeschlafen und mit klarem, unverstellten Blick auf sein Gesicht. Helfen tut dies allerdings alles nicht.[gallery:Karl-Theodor zu Guttenberg – Aufstieg und Fall eines Überfliegers]
Einen ersten Eindruck von diesem Phönix der deutschen Politik durfte sich Giovanni di Lorenzo, Chefredakteur der Zeit vor einigen Wochen machen. Ihn traf Guttenberg in einem Londoner Hotel und stand ihm Rede und Antwort für ein gemeinsames Interview-Buch. Das wird unter dem bezeichnenden Titel „Vorerst gescheitert“ am 29. November in den Buchläden erhältlich sein.
Das Timing war gut gewählt. Passend zum Vorabdruck, der an diesem Donnerstag in der Wochenzeitung erschien, verkündete die Staatsanwaltschaft in Hof, von einem Strafverfahren gegen Guttenberg wegen Urheberrechtsverletzung abzusehen. Guttenberg will wieder loslegen. Das sind die Nachrichten der vergangenen Tage. Eine Rückkehr in die Politik schließt er denn auch im Interview keineswegs aus. Seiner hiesigen Partei, der CSU, macht er Druck mit der Bemerkung, er sei „zurzeit“ noch Mitglied dieser Partei. Es macht ihm offensichtlich Freude, seine zwangsweise gewonnene Unabhängigkeit von der deutschen Politik auszuspielen. Auch von der Idee einer ganz neuen Partei in der politischen Mitte distanziert er sich nicht. Vielmehr, so bemerkt Guttenberg süffisant, fänden „manchmal die lustigsten und skurrilsten Kontakte statt“.
Mit dieser deutlichen Botschaft einer möglichen Rückkehr hat Guttenberg wieder einmal sein Wesen offenbart. Es ist die Kombination aus Hochmut und Eitelkeit, die er sich selber attestiert und als „verheerend“ einschätzt – allerdings nur in Bezug auf die Plagiatsaffäre. Dass er aber auch gut daran getan hätte, noch ein wenig über das Geschehene nachzudenken und nicht sofort wieder auf die Schienen zu brettern, bemerkt der Leser schon in den ersten Zeilen des nun erschienenen Interviews.
Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum das Interview zeitweise zur Peinlichkeit gereift
Ein Sommer in den USA hat Guttenberg vielleicht geholfen, seine Fehler – wie er meint – verarbeitet zu haben: In Deutschland ist man aber noch lange nicht so weit, zu verzeihen. So rät ihm auch der Politikberater Michael Spreng zu weniger Ungeduld. Der gefallene Held aber scharrt mit den Hufen. Und so gibt er einem der glaubwürdigen Vertreter seiner Zunft, di Lorenzo, die Chance, all die Fragen zu stellen, die einem zu dem Thema so einfallen. Und di Lorenzo lässt Guttenberg so lange nicht aus den Fängen dieser Fragen, dass man irgendwann möchte, dass dieses peinliche Herausreden ein Ende hat.
Quälend lang erläutert Guttenberg seine These von 80 Datenträgern und vier Computern, auf denen er immer wieder Passagen für seine Dissertation gespeichert hätte, über Jahre hinweg, so dass seine „chaotische“ Arbeitsweise ihm jeglichen Überblick genommen habe. Auf keinen Fall habe er bewusst getäuscht. Karl-Theodor zu Guttenberg hat sich die bestmöglichen Erklärungen einfallen lassen. Alleine, sie täuschen nicht über den Eindruck hinweg, dass er die Unwahrheit sagt. Gegen Ende des ersten Teils seines Interviews, das mit „Die Doktorarbeit“ betitel ist, bleibt trotz aller Beteuerungen das Gefühl: Dieser Mann hält uns für blöde. Und das ist kein gutes Zeichen für einen Politiker, der die Sympathien seiner Wähler braucht.[gallery:Karl-Theodor zu Guttenberg – Aufstieg und Fall eines Überfliegers]
Im zweiten Teil, dem „Skandal“ dann berichtet Guttenberg von seinem Schockzustand und erarbeitet sich einen Teil seiner Glaubwürdigkeit zurück, als er sagt, dass die Befragung zu den Plagiatsvorwürfen im Bundestag zu einem der „erniedrigendsten und bittersten Momente“ gehört, die er bisher erleben musste. Er habe in jenen Tagen eigentlich „immer die falsche Option gewählt“ – wie auch heute –, möchte man hinzufügen, denn eine ehrliche Aufarbeitung seiner Verfehlungen, so wird sich der Leser gewahr, ist von diesem Interviewband nicht zu erwarten. „Er muss sich selbst gegenüber jetzt rückhaltlos offen sein“, hatte Spreng vor dem Erscheinen des Interviews geraten. Diese Chance hat er vergeben. Und es war vermutlich die letzte.
Nach zwei langen Seiten der Anklage darf der Gefallene endlich über Politik sprechen, über „alte Parteien“ und „neue Parteien“, über die Gefahr einer populistischen Bewegung – „es fehlen begabte Demagogen“ –, über Volksparteien, denen die Wähler abhanden kommen und dass das auch für seine alte CSU gilt. Versöhnlich spricht Guttenberg von Horst Seehofer, er gibt den weisen Staatsmann, dessen Rolle er in den vergangenen Monaten in den USA eingeübt haben dürfte.
Angebote aus allen Teilen der Welt, aus der Wirtschaft, von NGOs – ja „sogar aus der akademischen Welt“ – habe er alle abgelehnt. „Deutschland ist meine Heimat. Und ich bin viel zu verliebt in diese Heimat, als dass ich ihr einfach so den Rücken kehren könnte.“
Er kommt also zurück. Wann, das lässt Guttenberg offen. Er wird vermutlich die Reaktionen auf seine Äußerungen ganz genau beobachten, um richtig zu reagieren. Das sei ihm auch geraten, denn ein besonderes Gespür für die richtige Verhaltensweise ist ihm abhanden gekommen – wenn er es denn je besessen hat.
So ist das auch bei dieser Brillenfrage. Auf di Lorenzos Frage, wo sie denn sei, antwortet Guttenberg, böse Zungen würden jetzt behaupten, er habe sich „vor lauter Eitelkeit die Augen richten“ lassen. Dass er einen solchen Vorwurf als schlimmsten anzunehmenden Fehler ansieht, spricht einmal mehr für die Fehleinschätzung seines Publikums. Seine Eitelkeit hat er selber ja längst eingestanden. Was Guttenberg nicht eingesteht, ist seine Tendenz, die Menschen zu blenden und etwas anderes sein zu wollen, als er ist. Von ihm bleibt das Bild eines Mannes, der eine Brille trug, obwohl er sie nicht brauchte. Und der einen Doktortitel verwendete, der ihm nicht gebührte.
Das ist ein viel größeres Problem. Und das hat er noch immer nicht erkannt.
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