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Ankunft im Alltag - Vom politischen Ertrag der Obama-Visite in Berlin

Der US-Präsident hat in Berlin keine Visionen entwickelt, aber durchaus brisante realpolitische Themen angesprochen. Was wird von seinem Besuch bleiben?

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Windisch, Elke

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Darin waren sich die meisten Kommentatoren einig: Der ganz große Wurf war Obamas Rede am Brandenburger Tor nicht. Doch nimmt man den Berlin-Besuch als Ganzes, stößt man auf einige aktuelle politische Themen, die eine nähere Betrachtung verdienen.

Welchen Wert hat die neue Abrüstungsinitiative des US-Präsidenten?
Obama hat zwei neue Initiativen angekündigt, um die Zahl der Atomwaffen zu vermindern, beide an die Adresse Russlands gerichtet. Die eine war konkret: eine weitere Reduzierung der Langstreckenatomwaffen um ein Drittel. Die andere war nicht beziffert: Gemeinsam mit den Nato-Partnern wolle man auf eine kräftige Verringerung der taktischen Atomwaffen hinarbeiten.

Die Initiative hat sehr gemischte Reaktionen ausgelöst. Noch überwiegt Skepsis, obwohl deutsche Politiker wie der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, Ruprecht Polenz (CDU), zumindest auf längere Sicht Potenziale in dem Vorstoß sehen. Der Adressat Russland zeigte dem Angebot freilich zunächst die kalte Schulter. Am Donnerstag betonte Präsident Wladimir Putin auf einer Beratung zur Umrüstung der Armee in St. Petersburg, Russland könne nicht zulassen, dass „das Gleichgewicht der strategischen Abschreckung gestört und die Wirksamkeit unserer Atomwaffenkräfte gemindert wird“. Militäranalytiker warnten immer häufiger vor der Möglichkeit „eines entwaffnenden und enthauptenden Erstschlages“, vor dem nicht einmal Atommächte sicher sein können.

Ein klares Nein ist das allerdings nicht, es markiert womöglich eher eine Verhandlungslinie. Das Geschäft könnte so aussehen, dass Russland Obamas Vorschlag im Kern annimmt, sich das aber mit Zugeständnissen bei anderen Waffensystemen bezahlen lässt. Dabei könnten sowohl die US-Raketenabwehr als auch konventionelle Präzisionswaffen ins Spiel kommen, die die Russen als Bedrohung werten. Raketen mit normalen Sprengköpfen treffen ihre Ziele heute so genau, dass sie Atomwaffen für viele Zwecke überflüssig machen. Russland sorgt sich, dass es in diesem bisher ungebremsten konventionellen Rüstungswettlauf ins Hintertreffen geraten könnte oder gar in eine Lage, in der es mit der Drohung eines „Enthauptungsschlags“, wie ihn Putin erwähnte, erpressbar würde.

Das Abkommen, das bisher die Obergrenzen der Abschreckung markiert, ist der 2009 unterzeichnete „Neue START- Vertrag“. Darin hatten Moskau und Washington vereinbart, ihre Arsenale von strategischen, über Kontinente hinweg fliegenden Atomwaffen von je 2200 auf 1550 Sprengköpfe zu beschränken. Obamas neue Zahl wären 1000 Sprengköpfe. Dass die den USA reichen würden, um das Gleichgewicht des Schreckens zu erhalten, rechnen US-Militärfachleute schon länger vor. Dahinter steckt zugleich eine zweite Rechnung: Die strategischen Arsenale sind in die Jahre gekommen; sie komplett auf den Stand der Technik zu bringen wäre teuer.

Welche Chancen der Vorstoß hat, wird sich frühestens im September bei dem geplanten Besuch Obamas in Russland zeigen. Die Moskauer Tageszeitung „Kommersant“ schließt nicht aus, dass noch in diesem Jahr Verhandlungen zu einem Rahmenabkommen beginnen könnten.

Haben die Aussagen Obamas zum Prism-Abhörprogramm die Deutschen besänftigt?
Eher nicht. Nach wie vor wird Aufklärungsbedarf angemahnt – sowohl von der Opposition als auch aus den Regierungsfraktionen. „Die Auskünfte des amerikanischen Präsidenten lassen mehr Fragen offen, als sie beantwortet haben, denn vieles blieb unkonkret“, sagte die FDP-Innenexpertin Gisela Piltz. Sie wolle schon wissen, was mit amerikanischen Firmen auf deutschem Boden ist und mit deutschen Firmen, die einen Sitz in den USA haben. Sie erwarte, „dass wir da bald Antworten bekommen“. Die Äußerungen Obamas, dass etwa das Mitlesen von Mails auch in den USA unter richterlichem Vorbehalt stehe, seien wohl richtig, nur entspreche diese Regelung nicht ihren Vorstellungen von Daten- und Freiheitsschutz. „Die Anordnungen werden von Geheimgerichten getroffen, Rechtsschutz ist so nicht möglich“, erklärte Piltz.

Der innenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Michael Hartmann, bezweifelt, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) das Thema in aller Schärfe mit Obama besprochen hat. Er vermutet, Merkel habe es „mit der größtmöglichen Zurückhaltung angesprochen, denn die Angst der deutschen Dienste, nichts mehr von den Amerikanern zu bekommen, ist sehr groß“, sagte Hartmann. Den Fall habe es schon einmal gegeben: Während des Irak-Krieges seien die Drähte wegen des deutschen Nein zum Militäreinsatz nahezu gekappt worden.

Das Bundesinnenministerium hatte sich mit einem Fragenkatalog an die US-Botschaft gewandt. Doch nach Auskunft eines Ministeriumssprechers ist noch keine Antwort eingetroffen. Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP), die das Vorgehen der USA im Vorfeld des Obama-Besuchs kritisiert hatte, fordert ebenfalls weiter zügige Aufklärung. „Es ist gut, dass das Thema offen und kritisch angesprochen wurde. Jetzt braucht es Tempo und Fakten, um das Vertrauen der User in das Internet wiederherzustellen. Verhältnismäßigkeitsprüfung bedeutet, dass gerade die Freiheitsrechte angemessen berücksichtigt werden müssen.“ Das Thema Prism wird in der kommenden Woche mehrere Bundestagsausschüsse sowie das Parlamentarische Kontrollgremium beschäftigen.

 

 

Wie sind Obamas Äußerungen zu einem Drohnenkrieg mithilfe von US-Militärs in Deutschland zu bewerten?
Leider taugen sie nur als Lehrstück über Missverständnisse und Übersetzungsprobleme. Ausgangspunkt waren Berichte, dass die USA eine Funkstation in Ramstein und ihr Afrika-Hauptquartier bei Stuttgart dazu nutzen, Drohnenattacken in Afrika zu unterstützen und vorzubereiten. Dieser komplizierte Sachverhalt schrumpfte in der Frage einer Journalistin darauf zusammen, ob die USA „auch über Deutschland einen Drohnenkrieg“ führten. Obama versicherte, so die deutsche Simultanübersetzung, „dass wir Deutschland nicht als Ausgangspunkt für unbemannte Drohnen verwenden“.

Daraus wurde die Meldung, Obama habe dementiert, dass Drohnenangriffe von Deutschland aus gesteuert würden. Das war allerdings doppelt irreführend. Das Fernsehmagazin „Panorama“, Urheber der Berichte, weist extra darauf hin, dass es von „steuern“ nie etwas gesagt habe – es gehe darum, dass Amerikaner in Deutschland in die Attacken „eingebunden“ seien. Obama wiederum hatte auf Englisch erklärt, Deutschland sei kein „launching point“ für Killerdrohnen. Das als „Ausgangspunkt“ zu übersetzen, ist ein wenig unscharf: „launch“ meint im militärischen Fachjargon den Start eines Waffensystems. Obama hat also etwas dementiert, was niemand je behauptet hatte: dass von deutschem Boden aus Killerdrohnen in Richtung Afrika starteten.

Wie ist Obamas Berlin-Besuch in den USA angekommen?
Die US-Medien messen dem Auftritt des Präsidenten in Berlin keine herausragende Bedeutung bei. Das Interesse der Deutschen und die Resonanz seien weder mit Kennedys Rede 1963 noch mit Obamas Besuch als Präsidentschaftskandidat 2008 zu vergleichen. Die Zeiten seien heute eben andere. „Die Berliner sind weniger enthusiastisch“, urteilt das „Wall Street Journal“. Die Zeitungen führen dies teils auf die aktuelle Empörung in Deutschland über das Datenabschöpfungsprogramm der US-Geheimdienste zurück, teils auf „einen Graben zwischen der ehrgeizigen Rhetorik und der bescheidenen Realität seiner Außenpolitik“, wie die „Washington Post“ schreibt.

Im Detail gehen die US-Medien auf zwei Aspekte der Rede ein: den Vorschlag weiterer Abrüstung und das Versprechen „mutiger Taten“ zum Klimaschutz. Die Aussichten auf ein neues Abkommen zur Reduzierung der Atomwaffenarsenale bewerten die US-Medien angesichts der kühlen Reaktion aus Moskau als gering. Sie erwarten aber in den nächsten Wochen einen Vorstoß Obamas zur Verringerung der Emissionen von Kraftwerken, die 40 Prozent der Treibhausgase erzeugen.

Den spektakulärsten Einzelauftritt hat ausnahmsweise die deutsche Kanzlerin gehabt. Um den mitgereisten deutschen Journalisten brühwarm von den Gesprächen mit Barack Obama und Wladimir Putin zu berichten, fährt Angela Merkel mitten in der Nacht über den See. Vom Lough Erne Resort, dem Luxusgolfklub, in dem das G-8-Treffen der reichsten Industrienationen stattfindet, geht es per Boot auf die andere Seeseite ins Manor House und am frühen Dienstagmorgen wieder zurück.

Dominierendes Thema des Gipfeltreffens ist aber der Syrienkonflikt. Er beherrscht die für den Montagabend angesetzte außenpolitische Debatte und die Staats- und Regierungschefs beraten am Dienstagvormittag erneut darüber, nachdem ihre Berater die Nacht über an gemeinsamen Formulierungen gefeilt haben.

 

 

Anschließend verkündet Angela Merkel: „Bei Syrien gibt es eine Einigung.“

Am Vorabend sah es danach überhaupt nicht aus. Wie zwei Eisblöcke saßen Obama und Putin nach ihrem bilateralen Gespräch nebeneinander vor den Kameras. Der US-Präsident sprach von einer „nützlichen Konversation“, die sein russisches Gegenüber wiederum „offen“ nannte. Das aber schienen Allgemeinplätze zu sein angesichts der jeweiligen Körpersprache, die etwas ganz anderes sagte: Beide Präsidenten verzogen keine Miene, Obamas Scherz, man habe auch über Putins Judokünste und seine eigenen Basketballfähigkeiten geredet, geriet zum Rohrkrepierer. Das Gipfeltreffen schien, bevor es überhaupt richtig begonnen hatte, gescheitert zu sein.

Es folgt im größeren Kreis jedoch eine Debatte, die Beobachter später als „sehr interessant“ und „sehr konstruktiv“ bezeichnen. Drei Stunden lang wenden die Staatenlenker das syrische Dilemma hin und her. Diplomaten zufolge wird aber „nicht über Rüstungslieferungen geredet“, die nach dem Auslaufen des EU-Waffenembargos zugunsten der Opposition und der angekündigten militärischen Hilfe Moskaus für das syrische Regime das Klima zusätzlich vergiftet haben. Ohne für seine Unterstützung des Diktators Baschar al Assad offen kritisiert zu werden, lässt sich Putin doch noch drei wichtige Zusagen abringen.

Vergleichsweise einfach gelingt es, mehr Geld für die 1,6 Millionen Flüchtlinge außerhalb Syriens und die Millionen Vertriebenen im eigenen Land einzusammeln. Nach Angaben des britischen Premierministers David Cameron als Gastgeber kamen zusätzlich fast 1,5 Milliarden Dollar zusammen. „Das ist der größte Beitrag, den wir jemals für humanitäre Hilfe ausgegeben haben“, sagte Merkel, dies zeige „wie ernst“ die Lage sei.

„Unerwartet“ kamen jedoch auch für Cameron die Einigung auf eine unabhängige Untersuchung eines möglichen Chemiewaffeneinsatzes in Syrien sowie den weiteren politischen Prozess, der den Frieden bringen soll. So bald wie möglich soll es der Abschlusserklärung zufolge eine zweite Genfer Friedenskonferenz geben. „Das Ziel der Konferenz ist jetzt sehr klar“, sagte Merkel, „nämlich eine Übergangsregierung mit exekutiven Vollmachten.“ Für Russland ist dies nach Angaben von Diplomaten „ein sehr großer Schritt“. Denn es drückt nicht aktiv aus, dass auch Russland nun Assads Sturz befürwortet – dessen Name taucht nicht auf. Doch der von Putin unterstützte Text besagt, dass eine Übergangsregierung „im gegenseitigen Einvernehmen“ zwischen den Konfliktparteien gebildet werden soll. Für Cameron ist „unvorstellbar, dass Assad an einer solchen Regierung beteiligt ist“. Es wird aber erwartet, dass sein Regime in Genf repräsentiert sein wird Dazu soll beitragen, dass die G8-Runde eine Art Institutionengarantie für die Übergangsphase abgibt: „Wir ziehen die Lehren aus dem Irak. Jeder im syrischen Regime, der will, dass Assad geht, aber zugleich kein Chaos ausbricht, sollte das Statement genau studieren“, wirbt Cameron. Moskau soll Assad dazu motivieren, seinen Leuten in Genf freie Hand zu lassen und letztlich sein Erbe zu regeln: „Es ist ein wichtiger Schritt“, sagt Merkel, „dass alle G8-Staaten darauf hin arbeiten. Dem hat auch der russische Präsident zugestimmt.“

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