Dieses Bild ist leider nicht mehr verfügbar
picture alliance

Europawahlkampf der Afd - Ritt auf der Rasierklinge

Die AfD dürfte erstmals in das Europaparlament einziehen. Dafür liebäugelt sie mit der Zusammenarbeit mit anderen rechten Parteien. Dennoch könnte die Partei scheitern – an eben jener Unzufriedenheit, die zu ihrer Gründung führte

Autoreninfo

Andreas Theyssen ist einer der beiden Gründer der Website opinion-club.com, eines digitalen Debattierclubs, der auf Kommentare, Analysen und Glossen spezialisiert ist.

So erreichen Sie Andreas Theyssen:

[[{"fid":"61702","view_mode":"full","type":"media","attributes":{"height":350,"width":257,"style":"width: 114px; height: 155px; margin: 5px 10px; float: left;","class":"media-element file-full"}}]]Dieser Text ist eine Kostprobe aus der Märzausgabe des Cicero. Das Magazin für politische Kultur ist in unserem Online-Shop erhältlich. Wenn Sie keine Ausgabe mehr verpassen wollen, können Sie hier das Abo bestellen.

 

 

 

Der Schrecken der deutschen Politik sitzt heute im Oberstübchen. Der Raum im Dachgeschoss des Restaurants Alter Stadtwächter in Potsdam ist karg. Um den Tisch haben sich rund 20 Leute versammelt, in der Mehrzahl Männer, einige über 60, andere sind nur halb so alt. Eine Frau hat Sohn und Tochter mitgebracht, beide in den Zwanzigern. Auf dem Tisch: Getränke, Bierdeckel, Stimmkarten. Und die Satzung. Das Regelwerk für den Kreisverband Potsdam der Alternative für Deutschland, der sich an diesem Abend gründet.

In Paragraf 11, Absatz 1, so bittet ein Teilnehmer, sei doch das Wort „Stimmberechtigte“ zu streichen. In Absatz 3 möge man bitte auch noch etwas korrigieren. Und so weiter, und so fort. Auch wenn man die Parteienlandschaft aufmischt, sind Regularien und die Details der Regularien wichtig. Wir sind schließlich in Deutschland.

Die AfD hat die deutsche Politik durcheinandergebracht. Erst im Frühjahr 2013 unter der Führung des Hamburger Wirtschaftsprofessors Bernd Lucke gegründet, scheiterte sie im Herbst bei der Bundestagswahl mit 4,7 Prozent knapp an der Fünf-Prozent-Hürde. Mit ihrem europakritischen Kurs gelang es ihr nicht nur, Union und FDP Wähler wegzunehmen, sondern auch der Linkspartei. Als Reaktion hat CSU-Chef Horst Seehofer sogar den Eurokritiker Peter Gauweiler in seinen Vorstand geholt.

In Umfragen bis zu 7 Prozent
 

2014 kann das Jahr werden, in dem sich die AfD im deutschen Parteiensystem etabliert. Dass sie am 25. Mai ins Europaparlament einzieht, ist wahrscheinlich. Bei der Wahl gilt nur eine Drei-Prozent-Hürde, und in Umfragen kommt die Partei je nach Institut auf 5, 6 oder 7 Prozent. Dass der frühere Chef des Bundesverbands der Deutschen Industrie und Talkshow-Dauergast Hans-Olaf Henkel einer der Spitzenkandidaten ist, dürfte den Aufschwung beflügeln. Er sei „eine Person, die an wirtschaftlicher Erfahrung und politischer Kompetenz ihresgleichen sucht“, sagt Parteichef Lucke.

Ende August sind Landtagswahlen in Sachsen, Brandenburg und Thüringen. Dort hat die AfD bei der Bundestagswahl jeweils mindestens 6 Prozent der Stimmen geholt und somit Chancen, in die Parlamente in Dresden, Potsdam und Erfurt einzuziehen.

Die AfD ist ein Phänomen. Einerseits, weil sie in Deutschland ein Stück europäische Normalität herstellen könnte: Mit ihr säße eine europakritische Partei in den Parlamenten – genau wie in Frankreich, Großbritannien, den Niederlanden oder Finnland. Und die AfD ist ein Phänomen, weil sie trotz des Wählerinteresses scheitern könnte – an sich selber wie zuvor Statt-Partei, Schill-Partei oder die Piraten.

Der Meinungsforscher Manfred Güllner hat die Wähler und Sympathisanten der AfD analysiert. Die überwiegende Mehrheit stammt demnach aus dem Kleinbürgertum, 70 Prozent ihrer Anhänger sind Männer, die meisten über 60 Jahre alt, gut situiert und von Verlustängsten geprägt. Überproportional viele von ihnen haben schon einmal rechte Parteien gewählt. Güllner, Chef des Instituts Forsa, sagt, dass die AfD das gleiche Wählerpotenzial anzieht wie in den achtziger und neunziger Jahren die rechtsextremen „Republikaner“. Mit ausländerfeindlichen Parolen hatten die es in viele Landtage geschafft. Heute spielt die Partei keine Rolle mehr, erhielt bei der Bundestagswahl gerade einmal 92.000 Stimmen. Doch ihr Wählerpotenzial existiert noch: Protestwähler. Das ist freilich nur ein Schlagwort. Wer genau sich in der AfD warum engagiert, lässt sich vor Ort besichtigen.

Potsdam, Alter Stadtwächter. Die Kandidaten für den Kreisvorstand stellen sich vor. Da ist Thomas Jung, der später zum Kreisvorsitzenden gewählt wird. Anwalt, sonore Stimme, etwas spröde Ausstrahlung. Er gehörte dem Wirtschaftsrat der CDU an, wie er erzählt, dann war er ein Dreivierteljahr bei der rechten Splitterpartei „Die Freiheit“. „Danach suchte ich eine neue Partei“, sagt er, „liebäugelte zunächst mit den Freien Wählern und bin seit März 2013 bei der AfD.“

Jung verkörpert eines der Probleme, mit denen die Partei zu kämpfen hat: mit der Abgrenzung gegenüber Radikalen. Ihr Vormann Bernd Lucke hat angeordnet, keine Ex-Mitglieder der „Freiheit“ aufzunehmen. Er fürchtet, dass die AfD in den Ruch gerät, Radikale in ihren Reihen zu haben. Dabei knöpft er sich sogar die CSU vor, um zu demonstrieren, dass seine Partei weder rechtspopulistisch noch ausländerfeindlich ist. Deren Slogan „Wer betrügt, der fliegt“, mit dem die Bayern Stimmung gegen zuwandernde Bulgaren und Rumänen machten, attestiert Lucke eine „in dieser Verkürzung aufbauschende Wirkung“.

Im Fall der Partei „Freiheit“ ist seine Sorge berechtigt. Gegründet wurde sie im Herbst 2010 von dem ehemaligen Berliner CDU-Abgeordneten René Stadtkewitz, der einen islamfeindlichen Kurs fuhr und den niederländischen Rechtspopulisten Geert Wilders zu Wahlveranstaltungen einlud. Seit einem Jahr beobachtet der Verfassungsschutz den bayerischen Landesverband der „Freiheit“. Im Herbst rief Stadtkewitz seine Parteifreunde auf, alle landes- und bundespolitischen Aktivitäten zugunsten der AfD einzustellen. Lucke reagierte alarmiert. Doch selbst im Parteivorstand hat er nicht genügend Rückhalt für diese Haltung. Alexander Gauland, einer von Luckes Stellvertretern, sagt: „Wir haben zum Beispiel in Brandenburg ehemalige ,Freiheit‘-Leute, mit denen ich gut zusammenarbeite. Und insgesamt sind es in der Partei so wenige, dass ich sie für ungefährlich halte.“

Die AfD ist eine Partei der Suchenden


Im Vorstand des neuen Kreisverbands Potsdam sind es schon zwei. Wilfried Rammelt stellt sich im Alten Stadtwächter vor. Er nähert sich dem Rentenalter und kandidiert für einen Beisitzerposten. Er engagiere sich, „weil ich möchte, dass meine Enkel noch ein ordentliches Land vorfinden“, erklärt er mit vor Ärger bebender Stimme.In der Wendezeit 1989 ist er der SDP beigetreten, den DDR-Sozialdemokraten. „Als der Euro kam, war mir klar: Da läuft schon wieder etwas schief“, sagt er mit Blick auf seine Erfahrungen in der Honecker-DDR. Ein Dreivierteljahr war er Mitglied der „Freiheit“, dann kam er zur AfD.

Da ist auch Lothar Wellmann, 38, Verwaltungswissenschaftler. Fast 20 Jahre lang war er in der CDU, seit einem Vierteljahr ist er bei der AfD. Er findet, dass „dieses Land es verdient, besser regiert zu werden“. Über sich selber sagt er: „Ich bin ein Renegat.“ Seine Lust an der Provokation ist unüberhörbar. Er wird zum stellvertretenden Kreisvorsitzenden gewählt.

Da ist Ingelore Lichtenberg-Lippert, die für das Amt der Rechnungsprüferin kandidiert und ihren Mann mitgebracht hat, ein Fördermitglied. „Ich war Kleinunternehmerin“, sagt die ältere Dame, „habe lange CDU gewählt, bin später der FDP beigetreten. Doch nach der Aktion Schäffler bin ich wieder ausgetreten.“ Wie die FDP-Führung damals mit dem liberalen Eurokritiker Frank Schäffler umging, das passte ihr nicht. Schäffler hatte die FDP 2011 fast gespalten, als er auf eigene Faust einen Mitgliederentscheid initiierte, um die deutsche Beteiligung an der Eurorettung zu stoppen. Lichtenberg-Lippert kam danach zur AfD. Sie ist stolz auf ihre niedrige Mitgliedsnummer, die 459.

Die AfD ist eine Partei der Suchenden. Sie sind irgendwie unzufrieden. Mit dem Euro. Mit der Zuwanderung. Mit der Aufwertung homosexueller Lebenspartnerschaften. Mit der politischen Klasse. Sie finden, dass es zu viel Europa gibt und zu wenig Nationalstaat. Sie hätten gerne die D-Mark wieder und dass Ehe und Familie vom Staat wieder den exklusiven Stellenwert erhalten, den sie einmal hatten. Auf der Suche nach Zufriedenheit irrlichtern sie durch die Parteien.

Einer dieser Suchenden ist Alexander Gauland, Luckes Stellvertreter und einer der Männer an der Parteispitze, die der AfD ein seriöses Image verleihen. Der 73-Jährige war einmal Staatssekretär in Hessen, galt in der Ära Helmut Kohl als einer der liberalen Geister der CDU. Die Partei hat er mittlerweile verlassen: „Nach Merkel ist die CDU eine leere Hülle“, sagt er.

Gauland ist einer der drei Autoren des AfD-Programmentwurfs für die Europawahl. „Früher habe ich mehr an Europa geglaubt“, sagt er über sich. „Heute sehe ich, dass es aber nicht funktioniert.“ Beim Verfassen des Programms hat ihn noch ein anderer Gedanke geleitet. „Für die AfD reicht der Anti-Euro-Kurs nicht mehr. Wir müssen auch auf Feldern wie Türkei-Beitritt oder Asylrecht Punkte setzen, und dabei stellt sich die Frage: Wie populistisch kann man auftreten?“ Das sei allerdings nicht einfach, da man bei diesem Ritt auf der Rasierklinge leicht runterfalle.

Das Prinzip Rasierklinge war nach dem Nein der Schweizer zu ihrem Zuwanderungsrecht zu beobachten. Lucke versicherte zwar, Deutschland brauche qualifizierte Zuwanderer. Zugleich empfahl er aber auch hierzulande eine Volksabstimmung, „die eine Einwanderung in unsere Sozialsysteme wirksam unterbindet“, und wandte sich dagegen, „abfällig über die Partei zu reden, die die Volksabstimmung durchsetzt“. Gemeint war die rechtspopulistische Schweizerische Volkspartei.

Auf dieser scharfen Kante reitet die AfD gen Europa. Der Euro soll durch die Zulassung kleinerer Währungsverbünde de facto abgeschafft werden. Keine Erweiterung der EU. Keine europäische Wirtschaftsregierung. Keine weitere Abtretung nationaler Kompetenzen an Brüssel. Sozialhilfen für Zuwanderer aus EU-Ländern soll es nur in der Höhe geben, die sie auch in ihren Heimatländern erhalten würden.

In anderen EU-Ländern haben es Parteien mit solchen Parolen längst in die Parlamente geschafft, auch ins Europaparlament. Marine Le Pen, Chefin der rechtsradikalen Front National aus Frankreich, und der niederländische Rechtspopulist Geert Wilders haben eine Kooperation auf europäischer Ebene vereinbart. Doch die AfD will sich ihnen nicht anschließen. „Wir werden mit keiner Partei zusammenarbeiten, die ausländerfeindlich ist“, sagt Hans-Olaf Henkel. Im Moment gibt es keine Kooperationen. „Das kann und wird sich aber ändern“, sagt Gauland. Auch Parteichef Lucke kann sich eine Zusammenarbeit mit manchen eurokritischen Parteien aus Osteuropa vorstellen. Noch lässt er offen, welche das sein könnten.

Zusammenarbeit mit Le Pen und Wilders?


Dass es nach dem Einzug ins Europaparlament Kooperationen geben wird, davon ist auszugehen. Denn die Begründung, warum sie derzeit angeblich nicht gehen, klingt reichlich bemüht. Man müsse erst sehen, was die jeweiligen Parteien in ihren Heimatländern für eine nationale Politik betreiben, sagt Gauland. „Da gilt derzeit äußerste Vorsicht.“ Beurteilen könne man sie erst, wenn man im Europaparlament sitze.

Nun ist es ziemlich gleich, ob man in Brüssel, Potsdam oder Wanne-Eickel sitzt. Allein durch Googeln lässt sich leicht herausfinden, was die anderen eurokritischen Parteien so treiben. Auch Gauland, der sichdem Internet komplett verweigert, hat zu etlichen Parteien eine klare Meinung. Eine Zusammenarbeit mit Le Pen und Wilders: „Ich glaube, das geht nicht.“ Le Pen: „Da war mal ein Bezug zum Antisemitismus.“ Wilders: „Hat ein Islamproblem.“ Mit den britischen Tories hingegen hält Gauland eine Zusammenarbeit für denkbar. Die stellen im Europaparlament die Hälfte der EU-kritischen konservativen Fraktion, den Rest füllen Abgeordnete der tschechischen ODS, der polnischen ­Kaczynski-Partei PiS und Unabhängige.

So viel Zurückhaltung passt nicht jedem in der Partei. Ende vergangenen Jahres reisten die AfD-Landeschefs von Brandenburg und Sachsen-Anhalt nach Wien, trafen sich mit Vertretern des BZÖ, der Partei des verstorbenen österreichischen Rechtspopulisten Jörg Haider. Auf einer gemeinsamen Pressekonferenz verlangten sie eine Zusammenarbeit mit der BZÖ.
 

Der Bundesvorstand rüffelte die Aktion der zwei Landeschefs, die daraufhin erst zurück- und dann aus der Partei austraten. „Wir sind ratlos“, sagt Gauland, als er im Alten Stadtwächter den Mitgliedern des Kreisverbands Potsdam davon berichtet. Er erntet kollektives Kopfschütteln. „Das ist ja ein Ding“, sagt einer. „Dieses Kleinklein“, stöhnt ein anderer.

Dabei sind solche Querelen der Normalzustand. In Nordrhein-Westfalen tobt ein Richtungsstreit. In Niedersachsen klagte der neue Landeschef, der Ex-ARD-Korrespondent Armin-Paul Hampel, über Beleidigungen und Denunziationen: „Zum Kotzen.“ Zwei Vorstandsmitglieder mussten dort wegen öffentlich bekundeter Sympathien für NS-Gedankengut abtreten. In Göttingen veruntreute der Schatzmeister 6000 Euro.

Besonders turbulent geht es in Hessen zu


Besonders turbulent geht es in Hessen zu. Erst zerlegte sich der Landesvorstand, eine Neuwahl scheiterte, weil der Parteitag nicht beschlussfähig war. Kaum war Mitte Dezember ein neuer Vorstand gewählt, stellte sich heraus, dass der Landesvorsitzende seine akademischen Titel zu Unrecht führte. Ein Parteiausschlussverfahren wurde eingeleitet, dem der falsche Professor durch Austritt zuvorkam. Der Landesschatzmeister wurde gefeuert, weil er im Zusammenhang mit kriminellen Migranten das Wort Ungeziefer benutzt hatte.

Gauland hat inzwischen den Brandenburger Landesvorsitz selber übernommen. Die Querelen nerven ihn. „Wir haben in einem riesigen Tempo Leute gesammelt. Darunter sind Leute, die nicht pragmatisch zusammenarbeiten, die einander nicht riechen können – und das leben sie aus“, analysiert er. Hinzu kommt in seinen Augen ein Spannungsverhältnis zwischen Mitgliedern, die aus volkswirtschaftlichen Gründen gegen die Europolitik sind, und Protestwählern. Diese kommen vornehmlich zur AfD, weil sie Zuwanderer und gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften ablehnen. Diese beiden Gruppen – hier die Intellektuellen, dort die ehemaligen „Republikaner“-Wähler – sind schwer zusammenzubringen.

So droht die Partei ausgerechnet an dem zu scheitern, was ihr so viel Zulauf brachte: der notorischen Neigung ihrer Mitglieder, unzufrieden zu sein. Gauland setzt deshalb große Hoffnungen auf die Europawahl und den Einzug in das Brüsseler Parlament. „Nach der Bundestagswahl kam eine Delle, weil sich die Leute untereinander bekriegten. Doch durch einen Sieg bei der Europawahl ist das geheilt.“

Oder auch nicht. Denn im Falle eines Wahlsiegs werden noch mehr Menschen in die Partei eintreten: Unzufriedene, die sie noch heterogener machen.

Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.