- Der Islam ist ein Teil der CDU
Neu im Bundestag, erste Muslimin in der Unionsfraktion, jetzt mehr gefragt denn je. Cemile Giousouf will einen neuen deutschen Islam
Sie ist auf dem Weg, die Vorzeigetürkin ihrer Partei zu werden, dabei ist sie eigentlich Griechin, den Pass hat sie neben dem deutschen bis heute. Geboren ist sie jedoch in Leverkusen-Schlebusch, Tochter von Eltern, die zur türkischen Minderheit in Griechenland gehörten. Und jetzt, in den Tagen nach dem Charlie-Hebdo-Massaker, hat sie viel zu tun: Gespräch mit Christen, Juden und Muslimen im Bundestag, Teilnahme an der Islam-Konferenz, Gesicht zeigen bei der Mahnwache der muslimischen Verbände am Brandenburger Tor.
Kein Zweifel, die CDU-Politikerin Cemile Giousouf ist gefragt. Spricht man mit Parteifreunden, dann merkt man schnell, wie froh sie gerade jetzt sind, die 36 Jahre junge Frau gefördert zu haben.
„Ich war’s“, sagt Christoph Purps und outet sich als der Mann, der seiner Partei eine Premiere beschert hat: die erste muslimische Bundestagsabgeordnete der CDU. Er ist der CDU-Kreisvorsitzende im westfälischen Hagen. Jeder Dritte hat dort ausländische Wurzeln, jedes zweite Kind einen Migrationshintergrund. Als die Bundestagswahl 2013 anstand, fehlte den Christdemokraten ein Kandidat für Berlin.
Purps fragte Armin Laschet um Rat, in Nordrhein-Westfalen der CDU-Chef und zuvor Landesminister für Integration, der erste der Republik, ein Mann, der schon lange vertritt, was er jetzt wiederholt: „Natürlich ist der Islam heute Teil der deutschen Gesellschaft.“ Laschet empfahl eine Mitarbeiterin des Ministeriums, die ihm in Aachen in der Kommunalpolitik aufgefallen war, wo die Politologin erste Gehversuche in politischen Praxis unternahm: Cemile Giousouf. Sie sollte in Hagen ins Rennen gehen. Nicht alle waren begeistert von dem Import. Man habe die Reserven gespürt, sagt Norbert Lammert, Bundestagspräsident und ihr Wahlhelfer in NRW. Es war klar: Gegen die im Wahlkreis starke SPD würde sie direkt keine Chance haben, aber über die Landesliste hat es geklappt, eine Parteikarriere sozusagen im Hauruckverfahren.
„Quotenfrau“ oder „richtig dicker Gewinn“?
Nicht überraschend, dass es auch diese Stimmen gibt: „Ach, die türkische Quotenfrau“, sagt ein ebenfalls noch junger Fraktionskollege, der sich gerade erst durchgeboxt hat, nach langem Anlauf, und nennt sie die Frau, die aus dem Nichts kam. Abgesehen von der Missgunst ist das nicht völlig falsch: Jung, weiblich, Muslimin, Migrantin – das passte gerade ins Profil einer Partei, die nach langem Zögern die Zuwanderer als Wähler entdeckt hatte. Und das bescherte ihr gleich eine herausgehobene Funktion: Integrationsbeauftragte der CDU/CSU-Fraktion.
„Das war voll gerechtfertigt“, verteidigt sie Peter Hintze, Chef der NRW-Landesgruppe der CDU im Bundestag. „Sie ist ein richtig dicker Gewinn.“ Und aus Hagen meldet Christoph Purps über ihre Wirkung in der Stadt mit den vielen Migranten: „Sie ist die Brücke. Wir haben jetzt Zugang, das hat uns gestärkt.“
Einmal ist sie ins Stolpern gekommen, ausgerechnet mit einer Karikatur. Bevor Karikaturen in Paris zum Mordmotiv wurden, im November 2014, sprach sie sich, und das bei einem Ankara-Besuch, gegen den Abdruck einer Zeichnung in einem Schulbuch in Baden-Württemberg aus, in der der türkische Präsident Erdogan als Kettenhund dargestellt wurde.
Nein, sie wollte nicht Erdogan beispringen, beeilt sie sich in einem Radiointerview zu erklären, sie sei nur dagegen, dass man so eine Karikatur in einem Schulbuch abdrucke, ohne dass sie auch erklärt werde. Und im Gespräch für dieses Porträt will sie keinen Zweifel aufkommen lassen, dass Zuwanderer nicht reflexartig das Herkunftsland der Eltern verteidigen sollten: „Ich habe wenig Verständnis dafür, wenn man sagt, der türkische Ministerpräsident ist mein Ministerpräsident. Das kann ich nur schwer nachvollziehen.“ Vielmehr wünscht sie sich, „dass Migrantenorganisationen und Moscheevereine sich politisch, ideologisch und finanziell von den Herkunftsländern emanzipieren, damit wir uns um unser Leben in Deutschland kümmern können.“
Plädoyer für einen deutschen Islam
Giousouf beschreibt sich als gläubigen Menschen. Und geht gleichzeitig auf scharfe Distanz zu manchem, was in deutschen Moscheen geschieht. „Es gibt Extremisten in diesen Gemeinden, es gibt antisemitische Züge, und das müssen sie ganz klar als auch sie betreffendes Problem anerkennen.“ Sie ist nicht der Meinung, dass der Islam mit der Gewalt nichts zu tun hat. „Ich verstehe die Irritation. Im Namen keiner anderen Religion wird derzeit so viel Gewalt verbreitet.“
Aber genauso klar ist sie auch, was den Platz ihrer Religion hierzulande angeht: Sie will einen deutschen Islam. Sie fordert eine Islam-Akademie, einen Ort, „wo ein solcher innerislamischer-theologischer Diskurs und die theologische Ausgestaltung eines deutschen Islam stattfinden“. Islamistischer Terrorismus könne nur bekämpft werden, „wenn auch Muslime Verantwortung übernehmen“.
Neulich in Berlin ging sie mit Peter Tauber auf der Straße. Und wurde mit Umarmung von einem Türken begrüßt, der sich begeistert zeigte, dass sie im Bundestag sitzt. Wie sich herausstellte, war auch er CDU-Mitglied. Tauber, immerhin CDU-Generalsekretär, kannte er nicht.
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