Berlin kann es einfach nicht: Eindruck von der „deals.com Fashion Challenge Summer Festival 2014“ / dpa

Basar der Stillosigkeiten - Warum verstehen die Deutschen nichts von Mode?

Als Inkubator möglicher Modetrends ist Deutschland eine klassische Fehlbesetzung. In keinem anderen Land Europas – vielleicht sogar der Welt – sind die Menschen geschmackloser gekleidet als hierzulande.

Autoreninfo

Dr. phil. Dominik Pietzcker studierte Philosophie, Geschichte und Germanistik. Von 1996 bis 2011 in leitender Funktion in der Kommunikationsbranche tätig, u.a. für die Europäische Kommission, diverse Bundesministerien und das Bundespräsidialamt. Seit 2012 Professur für Kommunikation an der Macromedia University of Applied Sciences, Hamburg. Er ist Visiting Scholar der Fudan University, Shanghai. Zahlreiche Veröffentlichungen, zuletzt „Was ist Schönheit? Eine kurze Geschichte der Ästhetik“ (Herder Verlag).

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In der Groteske „Die Hose“ von 1911 schreibt der deutsche Dramatiker Carl Sternheim sarkastisch: „Unmaß, Traum, Phantasien im Leib, nach außen Liederlichkeit und Verwahrlosung.“ Ganz egal, wie sich die Menschen hierzulande kleiden, alltäglich oder festlich, sorgsam oder nachlässig, das Ergebnis aller modischen Bestrebungen ist stets dasselbe. Es ist, in einem Wort, desaströs. Denn die Deutschen können sich einfach nicht anziehen. Sie konnten es noch nie.  

Geld kauft keinen Geschmack 

Zwar wird hierzulande ein Vermögen für Mode ausgegeben, aber – anders als im restlichen Europa – nur sehr wenig pro Bekleidungsstück. In Deutschland trifft die Mentalität des Schnäppchenjägers auf den Habitus der in früher Kindheit verinnerlichten Sparsamkeit. Eine modisch verheerende Mischung aus kapitalistischer Gier und protestantischem Geiz, die wenig geeignet ist, dem eigenen Auftreten ästhetische Souveränität zu verleihen. Hose, Ledergürtel, Hemd, Sakko: Warum sieht das Ergebnis dieser ebenso schlichten wie klassischen Kombination vollkommen anders aus, je nachdem, ob sie in Pöseldorf oder Palermo, Bielefeld oder Bordeaux getragen wird?

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Thomas Hechinger | So., 30. Juli 2023 - 09:43

Da ich mir gerne mal die Zeit mit Überflüssigem vertreibe, habe ich auch den Artikel von Herrn Pietzcker gelesen. Ich bekenne, daß ich von Mode nichts verstehe. Schlimmer noch: Ich bin darauf auch noch stolz. Ich bin ein Mode-Anarchist. Ich achte durchaus darauf, bei einem Festakt angemessen gekleidet zu sein, auch auf eine Beerdigung gehe ich nicht mit kurzen Hosen, Muscle Shirt und bloßen Füßen in Sandalen. Ob sich jetzt aber das Hellblau meines Hemdes mit dem Dunkelblau meiner Hose beißt und ob die Hose für den Anlaß zu weit oder zu eng geschnitten ist, ist mir herzlich egal. Und wenn jemand meint, dazu eine Bemerkung machen zu müssen, habe ich sie in dem Moment, in dem sie getan ist, wieder vergessen. Es mag eine Plattitüde sein, aber auf den Menschen hinter der Kleidung kommt es an. Ich habe schon Lumpen sowohl hinter bestsitzenden Anzügen als auch im Schlabberlook vorgefunden. Und charaktervolle Menschen ebenfalls. Und jetzt bin ich mit meinem überflüssigen Kommentar am Ende.

geht es dem Autor nicht um Mode, sondern schlicht und einfach um STIL, denn seit der Pandemie ist alles erlaubt – was nicht heißt, dass man stillos sein sollte. Auch wenn Karl Lagerfeld einst sagte, dass, wer in Jogginghosen rumlaufe, die Kontrolle über sein Leben verloren habe – kann selbst eine Jogginghose toll aussehen. Entscheidend ist, wie sie sitzt, was man dazu trägt und was sie zum Gesamtbild beitrage. Nach der Pandemie fanden zwar wieder Schauen in den Metropolen statt (Berlin zählt nicht dazu), aber das Gezeigte unterliegt keiner Richtlinie mehr. Man kann auch sagen: Erlaubt ist, was gefällt – ABER: Ohne Stil geht es nicht, never. Wer das beherzigt, kann gar nicht unmöglich aussehen, es sei, denn, er oder sie wollen unmöglich aussehen.

Die Cathy | So., 30. Juli 2023 - 09:50

.. des letzten Jahrhunderts waren Pisa und Florenz die hochproduktiven Zentren angesagter, italienischer Topmode. Inzwischen haben die ehemaligen Couturiers ihre Werkstätten an Chinesen und Vietnamesen vermietet, die dort die geschmacklosesten Applikationen auf ihre minderwertige Standardware aus ihrer Heimat aufbringen und in großen Mengen, fast ausschließlich an deutsche Klamotten -Billig-Discounter, verkaufen. Keine anderen europäischen Bekleidungshändler kämen auf die Idee, diesen Schrott ihren Landsleuten anzubieten.

Wolfgang Borchardt | So., 30. Juli 2023 - 10:15

sind im allgemeinen auch nicht besser. Beim Anblick vieler Vorgärten möchte man weder die Hausbewohner kenne lernen, noch sie für wahlberechtigt halten.

Maria Fischer | So., 30. Juli 2023 - 10:17

Es ist eine Form von Selbsthass.
Minderwertigkeitskomplexe zu vermarkten, ist ein Erfolgsschlager in Deutschland.
Ästhetik und Eleganz gelten als Auffälligkeiten, die man zumindest relativieren muss, am besten aber ganz aus dem Diskurs raushaut.
Daher gibt es kaum öffentliche Vorbilder.
Man versucht permanent das äußere Erscheinungsbild seiner Gesinnung anzugleichen. Entsprechend wird gewählt.
Das war nicht immer so, Jil Sander, Strenesse, Karl Lagerfeld die gesamte Bauhausästhetik grandios. Puristisch, sinnlich, schön.

Maria Arenz | So., 30. Juli 2023 - 10:20

"Unmaß im Leib, nach außen Liederlichkeit und Verwahrlosung". Besser kann man Habeck bei der
Feier zum 60. Jahrestag des Elysée-Vertrages nicht beschreiben.

Naumann | So., 30. Juli 2023 - 10:44

Natürlichkeit ist doch auch was.Suchen Sie mal einen FKK Strand in Italien oder Frankreich- Natur pur und sehr nachhaltig ist ein Nacktbadestrand - und ansonsten : ein hübscher Körper kann auf Raffinesse verzichten- ein Sackkleid aus Leinen tut es auch -

Günter Johannsen | So., 30. Juli 2023 - 15:04

Antwort auf von Naumann

ist doch ein modisches Vorbild ... ?!

hermann klein | So., 30. Juli 2023 - 10:45

Als alter immer noch Modebewusster sachlicher Mensch, schaue ich mir gerne auf YouTube „Italien Fashion For Sommer-How To Express Confidence And Beauty-Street Milan“ an.
Ich bin immer wieder begeistert wie dort nach wie vor die Leute selbstbewusst und stolz in erstklassiger Kleidung und Accessoires, durch die nicht Autofreien Straßen an den Geschäften vorbei flanieren.
Im Land der Schnäppchenjäger, im Basar der Stillosigkeit „Deutschland“ hat immer noch „Geiz ist geil“ u. „Ich bin doch nicht blöd, billig will ich“ Hochkonjunktur - das war allerdings schon vor der fatalen grünen, linken Zeitenwende der Fall.

Kai Hügle | So., 30. Juli 2023 - 10:57

Ein wichtiges Mosaiksteinchen, das noch fehlte im Cicero: Auch Mode und Stil kann Deutschland nicht.
Wir sind dem Untergang geweiht…

Günter Johannsen | So., 30. Juli 2023 - 15:02

Antwort auf von Kai Hügle

In Ihrem Traumland DDR gab es "geschmackvolle" Jugendbekleidung in der "Jugendmode" (abfällig JuMo genannt).
Gestern war ich in de Riem-Arcaden: dort sieht man die zunehmend von grün-rot empfohlene Mode für die Deutschen: Kopftuch und Burka mit Augenschlitz (für die geschminkten Augen der Frauen) zu den feinen kunstledernen Turnschuhen ... !
Absoluter Mode-Trend in unserem Land!

Jürgen Rachow | So., 30. Juli 2023 - 11:46

...Offenbarung was sich unsere weibliche politische "Elite" so als Mode vorstellt.

Besonders die linksgrüne scheinbar geschlechtslose Weiblichkeit demonstriert ihr zwanghaftes Anderssein im Bundestag gerne mit einer von den Schultern bis knapp über den Knöcheln endenden selbst gestrickten "Pferdedecke".

Das männliche Pendant dazu war beispielsweise der SPD-Volksvertreter, der kürzlich in Turnschuhen und Hemd und Hose, die mal eben für einen Kneipenbesuch gereicht hätten, einen flegelhaften Auftritt im Bundestag inszeniert hatte.

Gisela Hachenberg | So., 30. Juli 2023 - 14:04

Man sieht an den Kommentaren, werter Herr Dr. Pietzcker, wie auch hier im Forum die Meinungen, was Kleidung anbetrifft, auseinandergehen. Aber das ist ja auch normal! Ich bin aber bei Ihnen. Ja, die (meisten) Deutschen sind schlecht gekleidet, und haben mit Mode nichts am Hut. Aber leider, und das finde ich ist ein wichtiger Aspekt, wissen viele nicht mehr, wie man sich zu gewissen Anlässen kleidet. Sie gehen mit zerrissenen Jeans ins Konzert oder in die Oper. Auf einem Foto in unserer Stadtzeitung sah ich einen Mann, der in einem karierten Baumfällerhemd auf einem Ball im Kurhaus tanzte! Nein, das gehört sich nicht! Und in diesem „Aufzug“ hätte man ihn gar nicht hereinlassen dürfen. Aufschrei bei Andersdenkenden? Nein, das ist meine Meinung! Vor einigen Tagen saß ich auf unserer einstigen (!) tollen Einkaufsstraße beim Eis und beobachtete die Vorbeigehenden. Fast hätte ich Depressionen bekommen 🥺. Und eins haben Sie vergessen: die vielen hässlichen Tätowierungen an Arm und Bein!

liebe Frau Hachenberg?
Sind Mitglieder der Triaden nicht "bemalt"?
Ich kenne das nur aus Filmen, aber damit geht eine spezielle Ertüchtigung des Körpers oder besonderer Schutz einher?
Ich betrachte es in gewisser Weise als Bekleidung.
Es steht manchen Männern sehr gut, aber Frauen haben so etwas doch auch.
Sagen wir statt Goldkettchen um das Fußgelenk ein Vögelchen am Schienbein?
Das kann sehr geschmackvoll aussehen, aber ich würde es niemandem zumuten wollen.
Anders sieht es mit abwaschbaren aus.
Ich finde es schon gut aussehend und kommt mir vor wie eine Annäherung z.B. an den Schmuck von Vögeln.
Ich selbst käme nie auf die Idee und wohl auch nicht auf Mode, aber ich finde es schon bemerkenswert, was es auf den Gebieten so alles gibt.

Gisela Hachenberg | So., 30. Juli 2023 - 14:15

2. Teil meines Kommentars:
Auch diese zur Schau getragenen üppigen Tätowierungen, die aus zu engen und kurzen Hosen oder Shirts schauen, tragen für mich zu dem leider hässlich anzuschauenden Straßenbild bei. Wie gerne saß ich in Italien beim Espresso, und habe mir die gut gekleideten und fröhlich aussehenden Frauen und Männer angesehen!
Und ja, Herr Hügle, ein kleiner Mosaikstein beim Cicero, der (mir) noch gefehlt hat! Sie können ja immer nur „austeilen“ und jeden Artikel mies kommentieren. Armer Mensch!
Dank an Herrn Dr. Pietzcker für diesen angenehmen Artikel.

Bettina Jung | So., 30. Juli 2023 - 14:43

Das Straßenbild ist tatsächlich eine Katastrophe und nun wird es zunehmend ergänzt durch Hindukusch-chic. Ich bewahre mir meinen guten Kleidungsstil, auch wenn ich dafür gerne mal von Öko-Fahrradmuttis attackiert werde.
Mittlerweile ist man selbst in der Philharmonie overdressed.

Romuald Veselic | So., 30. Juli 2023 - 14:58

Republik geworden?

Es ist nicht so lange her, als jemand mich fragte, wie ist das möglich, dass die D-Politikerinnen nicht nur so hässlich aussehen, sie kleiden sich auch hässlich an?

Kann man damit die abgestürzte Natalität in D begründen?

Nun, rückblickend, niemand sah so geschmacklos aus, wie die aktuelle Altkanzlerin-Baba. Mit der Frisur beginnend und mit der Körperhaltung endend. Wie eine Schreckensgestalt, die aus der Geisterbahn entflohen ist.

und gut beschrieben. Auch das war in der DDR üblich und sozialistisch:
Elastik, Silastik, Plastik nicht nur im Hirn der Modeschöpfer, sondern auch im Spatzenhirn der Genoss*?*innen SED und MfS! ... Ach sorry, ich vergaß den Beton!

Sabine Lehmann | So., 30. Juli 2023 - 17:09

Mit der Salonfähigkeit der deutschen Jogginghose begann der Untergang des Abendlandes in Sachen Stil, Mode und Würde;-) So oder ähnlich hat es mal Stil-Ikone Karl Lagerfeld formuliert, der meinte, wer Jogginghose trüge, hätte die Kontrolle über sein Leben verloren. Nun, so weit würde ich nicht gehen, aber der Autor dieses Artikel hat m.E. fast voll ins Schwarze getroffen. Ich bin nur noch nicht ganz davon überzeugt, ob das Straßenbild in anderen europäischen Metropolen besser gekleidete Menschen zeigt, als hier bei uns. Auffällig für mich ist jedenfalls fast überall eine spezielle Klientel, die scheinbar ausschließlich und überall Jogginghose und ähnlich stillose Kleidungsstücke trägt. In der Bronx nannte man das früher den "Gangster-Style;-)
Die deutsche Kartoffel kombiniert das gerne noch mit weißer Socke im Birkenstock oder bunten Hemden, die nicht mal Magnum tragen würde. So, ich muss los und mich vorher umziehen... wo ist bloß meine Joggpants mit dem Glitzerstreifen......;-))

PetraKel | Mo., 31. Juli 2023 - 10:14

Nach 20 Jahren in Frankreich kann ich dem Autor nur beipflichten: die Lust auf die Repräsentation der eigenen Person durch Make-up, Frisur, Kleidung und andere Accessoires ist hierzulande nur rudimentär vorhanden. Dabei ist es ein Ausdruck von Respekt anderen Personen gegenüber!
"Style is a way to say who you are, without having to speak."
oder
"What you wear ist how you present YOURSELF to the world, especially today, when human contacts are so quick. Fashion is instant language." (Miuccia Prada)
In Deutschland kleidet man sich gern funktional mit Sportkleidung. Und das ist schon der Best Case. Aber der erste Eindruck ist nun einmal der optische und nicht der intellektuelle...