Noch schöner mit Socken: die Birkenstock-Sandale / dpa

60 Jahre Birkenstock-Sandale - Der Schuh der Anywheres

Kein Schuh symbolisiert so sehr den Wertewandel in der westlichen Welt wie die Birkenstock-Sandale. Von der antibürgerlichen Protestlatsche der Ökos zum Modestatement des postmodernen Bürgertums in den gentrifizierten Altbauvierteln. Der Marsch durch Institutionen auf Korksohlen ist geglückt.

Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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Er ist der vielleicht deutscheste aller Schuhe: die Birkenstock-Sandale. Kaum ein anderes Kleidungsstück symbolisiert in vergleichbarer Weise, was Deutschland ausmacht, wie man hierzulande denkt und fühlt. Denn vermutlich wäre in keinem anderen Land dieser Welt ein Mensch auf den Gedanken gekommen, ein dermaßen hässliches, klobiges, unkultiviertes, dafür aber gesundes, praktisches und handwerklich perfektes Produkt auf den Markt zu bringen. Nur hierzulande verfügt man über die ästhetische Skrupellosigkeit, von Äußerlichkeiten abzusehen und stattdessen auf die gesunde Fußform zu achten. Dass das Produkt dieses Denkens inzwischen zum Symbol der Ideologie einer ganzen sozialen Klasse geworden ist, macht die Sache nicht besser.

Es ist das Jahr 1896, als der Schuhmachermeister Konrad Birkenstock in Frankfurt am Main zwei Schuhgeschäfte eröffnet und beginnt, Einlagen für Schuhe herzustellen. 1925 erwirbt er eine Schuhfabrik in Friedberg, die er systematisch erweitert und das „blaue Fußbett“ erfindet, das sich am Barfußlaufen orientiert. Aufgrund seiner natürlichen Form solle es für mehr Stabilität sorgen. Wichtig ist dabei das Wort „natürlich“. Denn Mode, das liegt im Wesen der Sache, ist ein Fest des Unnatürlichen, der Verfeinerung, des Künstlichen. Es gibt keine natürliche Mode. Allenfalls natürliche Kleidung. Aber genau die ist seit den ersten Lebensreformbewegungen um 1900 insbesondere bei Teilen der städtischen Jugend populär. Ein Zeitgeist, der durch die kulturellen Verwerfungen des Ersten Weltkrieges noch verstärkt wird.

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Dorothee Sehrt-Irrek | Sa., 15. Juli 2023 - 12:04

da ich ja weiss, was Körperumfang bedeuten kann, hoffe ich, dass es die Entscheidung für gutes Laufen war und nicht etwa so etwas, wie es uns in der Fabel vom Fuchs und den Trauben gezeigt wird.
Also, wer auch anders kann und möchte, bitte, mir war gutes Laufen wichtig.

Dorothee Sehrt-Irrek | Sa., 15. Juli 2023 - 12:10

Ecco oder Seidel tragen,
Weich und bequem, sonst bekam ich Schwielen und blutende Füße
Eine Prinzessin auf der Erbse?:)
Ein Sommerscherz!

Udo Dreisörner | Sa., 15. Juli 2023 - 12:33

Happy Birthday Birkenstock. Ich habe sie während meines Zivildienstes schätzen gelernt und bin seit dem im Privatbereich sehr gerne in den Birkenstöckern unterwegs. Birkenstock ist schon lange aus dem Öko Umfeld heraus, genau wie Dr. Martens aus der rechten oder linken Scene.

Franz Poschen | Sa., 15. Juli 2023 - 14:00

und über Geschmack kann man nicht streiten. Aber aus Vernunftgründen, seinen Füßen was gutes zu tun, sollte selbst der Schönheitsfraktion einleuchten.

Sabine Lehmann | Sa., 15. Juli 2023 - 15:12

Und dennoch zu Hause nicht mehr wegzudenken, für mich jedenfalls. Käme Karl Lagerfeld zu Besuch flögen sie sicher schnell in eine unsichtbare Ecke bevor ich die Tür öffnen würde;-) Und außer Haus sind sie bis heute ein No Go, aber sie sind halt so bequem und die Bandscheiben freut´s....

Heidemarie Heim | Sa., 15. Juli 2023 - 16:45

Das meine mich seit 65 Jahren meist mit höchster Zuverlässigkeit tragenden Füße nicht der deutschen naturangepassten (Birkenstock)-DIN Norm entsprechen. Denn bei keiner Latschenform oder was sonst an Fußkillern auf den Markt kam streiken meine antiken Füße mit ausgeprägt "altgriechischer" Zehenform (zweite und dritte Zehe länger als Großzehe), was in diesen Zeiten angeblich als Schönheitsideal galt welches man durch die entsprechende Sandale betonte, mehr und schneller als bei der natürlichen vorderen Bogenform und der harten, alle Abrollbewegungen konterkarierenden Gesundheitssandale mit dem B. Aschenputtel lässt zehentechnisch grüßen;). Ich hatte als Kind mal original holländische Holzschuhe in Universalgröße geschenkt bekommen, in denen ich schneller und ermüdungsfreier von der Stelle kam. Von dem abgesehen, sollte das Tragen bestimmten Schuhwerks ein (Haltungs)-Statement sein, so kann ich mir was ästhetischeres vorstellen als Hippie-Latschen. Z.B. meine knallroten Doc Martens;-).

Gunther Freiherr von Künsberg | Sa., 15. Juli 2023 - 17:39

Ich habe bisher davon abgesehen mir Birkenstock-Schuhwerk zuzulegen. Solange man mir nicht garantiert, dass die Korkeiche die das Korkmaterial geliefert hat nicht genmanipuliert war und das Rind, das den Lederriemen geliefert hat tierschutzgerecht und auch nicht genmanipuliert gehalten wurde, solange kann ich natürlich solche Schuhe nicht anziehen ohne mein typisches Deutsch-schlechtes Umweltmoralgewissen zu strapazieren, denn ich möchte mich guten Gewissens fortbewegen. Danke Grüne, dass ihr mir zum richtigen Umweltbewusstsein verholfen habt.

Armin Latell | Sa., 15. Juli 2023 - 19:14

Sehr geehrter Herr Grau, obwohl ich solche Hausschuhe (ausschließlich zu Hause) trage, haben sie für mich keinerlei politisches Signal. Ich gehöre nicht zum postmodernen Bürgertum in gentrifizierten Altbauvierteln, Müsli, Vegetarismus, Yoga spielen keine Rolle in meinem Leben, und ich bin auch definitiv kein anywhere! Also was mich betrifft, kann ich Ihnen da ganz entspannt Entwarnung geben. Schön, wieder einen Artikel von Ihnen gelesen zu haben!

Frank Klaus | So., 16. Juli 2023 - 10:19

Ob uns diese neue globale, sprich rein westliche Mittelschicht in eine friedlichere Zukunft führen wird, wird man nicht erst sehen. Nein, man weiß jetzt schon, dass uns diese soziale Klasse in eine kriegerische Zukunft führen wird. Zuhause Birkenstock und Lastenfahrrad, an der Front zur Verteidigung der "westlichen Werte" der woken Intoleranz aber Leopard-Panzer und Streumunition: dafür steht diese "neue globale Mittelschicht".