- „Ein Patient jenseits jeder Rettung“
Die ehemalige Gymnasiallehrerin Isabell Probst berät Lehrer, die es an staatlichen Schulen nicht mehr aushalten. Das System, sagt sie, ist unheilbar krank. Allzu oft geben gerade die Leidenschaftlichen und Engagierten auf.
Wer in dem beschaulichen Wohnviertel eines Bonner Vororts anruft, hat meistens schon Monate des inneren Ringens hinter sich. Kann ich wirklich nicht mehr Lehrer sein? Habe ich mich so überschätzt? Ist das System verrückt oder bin ich’s? Und was wird die Familie sagen, wenn ich die Brocken endgültig hinschmeiße?
„Scham spielt eine große Rolle“, erklärt Isabell Probst, die siebeneinhalb Jahre lang als Gymnasiallehrerin Englisch und Geschichte unterrichtete. Die 1981 geborene Rheinländerin berät ihre aussteigewilligen Klienten meist per Videokonferenz, „vor allem, wenn schon die eigenen Eltern im Lehrbetrieb waren. Der Vater Studienrat, die Mutter an der Grundschule, und man selbst gibt auf? Unvorstellbar!“ Beim Ausstieg aus dem Lehrberuf brächen Lebensentwürfe zusammen, ganze Identitäten, denn es seien vor allem die Leidenschaftlichen, die anrufen, die ernsthaft Engagierten, die am System der Regelschule in heutiger Gestalt scheitern – absurderweise vor allem deshalb, weil sie die offiziellen Ziele wirklich ernst nehmen.
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Wir sorgen uns lieber um klimageschädigte Wirtschaftsmigranten, retten die Welt auf dem Mittelmeer und rennen aus Bequemlichkeit und Übersättigung mal Merkel, mal Greta und aktuell dem Virus hinterher.
Beamtenkritik ist in. Lehrer sind Faulenzer, haben doch die langen Sommerferien frei, sind häufig nur morgens in den Schulen und nutzen die beamtenrechtlichen "Vorteile" weidlich aus. Beamte überhaupt sind alles faule Säcke. Redet man konkret, diskutiert mit ihnen mal detailliert, wird plötzlich geschluckt, wird es still beim Bashing. Hört man Sätze wie: Das habe ich nicht gewusst. Ist das wirklich so krass."
Lehrer brauchen heute neben ihrer Ausbildung/Studium inzwischen auch eine juristische Ausbildung. Alles was sie tun, steht auf dem Prüfstand. Sie werden inzwischen wegen alles und wegen jedem verklagt. Müssen nicht nur mit fast täglich neuen ministeriellen und/oder administrativen Änderungen kämpfen, sondern sich auch gegen übergriffige Eltern wehren. Wo bleiben die Kinder? Eben.
Dieser Diagnose muß man leider zustimmen, wenn man das System von innen her kennt.
Einer unserer Söhne hat zusammen mit Isabell Probst in Bonn Geschichte als Lehrfach studiert u. war mit ihr u. anderen zusammen auf Studienfahrt (Geschichte des Deutschen Ordens) in Polen. Er hat Frau Probst als angenehme u. vernünftige Studienkollegin in Erinnerung u. war daher nicht erstaunt, als er jetzt aus dem CICERO erfuhr daß sie - ebenso wie er - inzwischen der Schule den Rücken gekehrt hat. Beide haben sie übrigens noch das alte, bewährte akademische Studium mit Staatsexamen abgeschlossen, während es heute ausschließlich Bachelor-/Masterstudiengänge gibt.
Ja, unser Schulsstem ist systematisch "kaputt-reformiert" worden. Engagierte Lehrer mit hohen Zielen u. Ansprüchen an sich selbst sowie an ihre Schüler müssen daran verzweifeln, weil ihnen Autorität u. die Freiheit fehlen, eigenverantwortlich Unterricht zu gestalten u. sie durch Aufbürdung "unmöglicher" Aufgaben total überfordert werden.
Dass unser Schulsystem teilweise (es ist nicht flächendeckrnd so schlecht, wie es oft dargestellt wird) an sinkendem inhaltlichem Niveau krankt und unter Methodenmoden zu leiden hat, von denen alle paar Jahre eine neue zur alleinseligmachenden Mode erklärt wird, ist altbekannt. Aber ich bin mir nicht ganz so sicher, ob die Lehrer, die von diesen Dingen genervt sind, zu Frau Probsts "Kunden" gehören. Das sind eher zwei getrennte Baustellen. Die von bildungsreformerischen Schwachheiten Genervten sind in der Regel keine "Schulflüchtlinge". Es flüchten oft die, die nicht trennen können. Das alte Sprichwort "Dienst ist Dienst und Schnaps ist Schnaps" muss man auch als Lehrer beherzigen können, wenn man vor hat, auch denjenigen Schülern, die man in den letzten Jahren vor der eigenen Pensionierung unterrichten wird, noch ein mitfühlender, aufmerksamer, zuhörender, fachlich und menschlich interessierter Lehrer zu sein. Man darf sich nicht ständig im Namen des Guten selbst ausbeuten.